Seltene Gäste: Geier im Nationalpark Eifel

In Deutschland lassen sich die Gänsegeier nur selten blicken. Mangelt es den deutschen Ökosystemen an Aas? Ein Großprojekt in 16 deutschen Nationalparks untersucht die wichtige Rolle von Kadavern in der Landschaft.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 30. Juni 2023, 15:20 MESZ
Die Geier versammeln sich um den Reh-Kadaver.

Wo es nach Aas riecht, sind Geier meist nicht weit – zumindest in der Theorie. Im Rahmen eines kadaverökologischen Großprojektes zeichnete eine Wildtierkamera 21 Gänsegeier auf, die sich über einen präparierten Tierkadaver hermachten.

Foto von Sönke Twietmeyer / Nationalpark Eifel

Ein Tier ist verletzt, erkrankt oder alt – und stirbt. Was zunächst traurig klingt, leitet einen weiteren, wichtigen Kreislauf des Lebens ein. Denn der Kadaver bildet die Nahrungsgrundlage für Bakterien, Pilze, Insekten, Säugetiere oder aasfressende Vögel. Die deutschen Ökosysteme können diesen Bedarf an Aas allerdings kaum erfüllen. Die Folge: Aasfressende Arten wie Gänsegeier lassen sich hierzulande nur selten nieder. 

Ein Förderprojekt zur sogenannten Wildkadaverbelassung soll deshalb als erstes seiner Art die wichtige Rolle von Aas in geschützten Lebensräumen beleuchten. Durchgeführt wird das auf drei Jahre angelegte Großprojekt seit 2022 von Forschenden der Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit allen 16 deutschen Nationalparks. Nun konnte das Team erste Erfolge vermelden: Eine Wildtierkamera im nordrhein-westfälischen Nationalpark Eifel erfasste stolze 21 Gänsegeier auf einmal.

Nur zu Besuch: Junge Gänsegeier aus Frankreich und Spanien

Im Laufe des Projektes wird jeweils acht mal pro Jahr Aas an verschiedenen Stellen in den Nationalparks ausgelegt, um aasfressende Tiere anzulocken. Die Gänsegeier, die nun im Nationalpark Eifel beobachtet wurden, zeigen: Das Projekt trägt Früchte. Sie sammelten sich um einen Reh-Kadaver, den die Forschenden zuvor im Park ausgelegt hatten. Das Tier war kurz zuvor durch einen Wildunfall zu Tode gekommen. Nur wenige Stunden nach der Auslegung hatten die Tiere das Reh bis auf einige Knochenteile verspeist.

Einer der 21 Gänsegeier, den die Fotofalle auf der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel festhalten konnte.

Foto von Sönke Twietmeyer / Nationalpark Eifel

Festgehalten wurde dieses Ereignis von einer Kamerafalle, die in der Nähe des Kadavers aufgestellt wurde. Auf dem Bildmaterial konnte der verantwortliche Projektbetreuer Sönke Twietmeyer insgesamt 21 Tiere ausmachen. Laut dem Wildtierforscher handelte es sich dabei hauptsächlich um jugendliche Gänsegeier. Bei drei Tieren konnte Twietmeyer sogar ihre Beringung erkennen und damit Spanien und Frankreich als deren Herkunftsländer ausmachen. In diese Himmelsrichtung verließen die frisch gestärkten und ausgeruhten Tiere die Eifel daraufhin am nächsten Tag schon wieder. 

Solch kurze Aufenthalte sind mittlerweile die Norm. Denn während Gänsegeier bis ins Mittelalter noch als in Deutschland heimische Art galten, erstreckt sich ihr natürliches Verbreitungsgebiet mittlerweile eher über den Süden Europas – von Spanien, Sardinien und den Ländern der Balkanhalbinsel über den Mittleren Osten bis nach Nordindien. 

Wildtierkadaver: Hotspots des Lebens

Ein erhöhtes Nahrungsangebot in Form von Aas könnte das ändern. Dieses wird im Idealfall auf natürliche Weise als Essensreste von großen Beutegreifern im Lebensraum verteilt. Da die Bestände von Bär und Wolf hierzulande mittlerweile jedoch gering sind, fehlen auch die Tiere, die sich von Aas ernähren. 

Deshalb helfen die Forschenden im Rahmen ihres Projektes nach. Neben der willkürlichen Verteilung von Aas haben sie zusätzlich in drei Nationalparks –  Bayerischer Wald, Berchtesgaden und Niedersächsisches Wattenmeer – feste Luderflächen eingerichtet. Deren regelmäßige Bestückung mit totem Rehwild lockt bereits seltene Tiere wie Scheinstutzkäfer, Luchse oder Seeadler an – ein voller Erfolg.

BELIEBT

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    Die Forschenden hoffen nun, dass die Maßnahmen dazu führen, dass Deutschland für die Geier bald wieder mehr wird als nur ein Zwischenstopp. „Ein erstaunlich geringer Aufwand – Auslegung eines ansonsten in gängiger Praxis schnell beseitigten Wildunfallkadavers unter Kamerafallenbeobachtung – kann selbst diese zunächst unerwarteten Arten in hoher Individuenzahl in unsere Schutzgebiete zurückführen“, sagt Projektkoordinator Christian von Hoermann von der Universität Würzburg. 

    Nach Ablauf des Projektes hoffen die Beteiligten, genaue Handlungsempfehlungen geben zu können, wie viel Aas in den deutschen Wäldern und Wiesen belassen, oder gar zugefügt werden sollte. Womöglich kommt dies dann auch den Geiern zugute.

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