Tauben im Schlaflabor: Wie Tiere träumen

Nicht nur Menschen träumen – auch Tiere verarbeiten Erlebtes im Schlaf. Wie ähnlich sich das Gehirn von schlafenden Vögeln und Menschen verhält, zeigt eine deutsche Studie.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 12. Juni 2023, 09:51 MESZ
Eine Taufe sitzt schlafend auf einem Zaun.

Ob Fliegen oder Balztanz: Während ihrer Träume zeigen die Gehirne von schlafenden Tauben deutliche Anzeichen dafür, dass sie Gefühle und Alltagssituationen durchleben.

Foto von sosnytskyi / Adobe Stock

Etwa drei bis viermal pro Nacht versinken Menschen in einen Tiefschlaf, in dem ihr Gehirn besonders aktiv ist. Äußerlich sichtbar ist die sogenannte REM-Phase durch die namensgebenden, schnellen Augenbewegungen. Gleichzeitig spielen sich Szenarien im Gehirn ab, mit denen Erlebtes aus dem Alltag oder der Vergangenheit verarbeitet wird: Wir träumen. 

Lange Zeit wurde dieses Verhalten nur Menschen zugeschrieben – mittlerweile konnte die Wissenschaft das Träumen auch bei anderen Säugetieren, Vögeln und sogar Spinnen nachweisen. Wie sehr sich die Prozesse im Gehirn von Menschen und Tauben während des Schlafens ähneln, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz nun erstmals herausgefunden.

Die Studie liefert neue Erkenntnisse über die wichtige Rolle des Schlafes und die Vorbeugung von kognitivem Verfall – bei Vögeln wie beim Menschen.

Schlafphasen helfen bei Gehirn-Reinigung

Um die Prozesse der Gehirne von 15 schlafenden Tauben sichtbar zu machen, überwachte das Wissenschaftsteam deren Wach- und Schlafphasen. Mittels Infrarot-Videokameras konnten so die REM-Phasen bestimmt werden. Gleichzeitig zeichneten sie die Hirnaktivitäten der Tiere mit der funktionellen Kernspintomographie auf. 

Neben dem Träumen ist Schlaf auch zu etwas anderem gut. Wenn sich die aktive REM-Phase mit dem Non-REM-Schlaf abwechselt, werden die metabolischen Prozesse des Gehirns heruntergeschraubt. Statt zu träumen, spült das Gehirn die sogenannte Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch sämtliche Gehirnstrukturen. Auf diese Weise werden schädliche Substanzen wie Proteinablagerungen heraus geschwemmt, die etwa zur Entstehung von Alzheimer beitragen. So zumindest der Ablauf beim Menschen. 

Ganz ähnliche Vorgänge zeigten die fMRT-Aufzeichnungen erstmals auch bei Tauben. Die Bewegung der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit stieg wie beim Menschen während der Non-REM-Phase an. Allerdings nahm sie mit dem Eintreten des sehr aktiven REM-Schlafs der Vögel rapide ab. Ein damit zusammenhängendes eingeschränktes Ausspülen der Gehirnstrukturen wäre die Folge. Doch die Studie bewies, dass die starke Hirnaktivität des REM-Schlafs bei Vögeln gleichzeitig für einen gesteigerten Blutfluss und erweiterte Blutgefäße sorgt – was den Abtransport von Abfallprodukten dennoch ermöglicht.

Dieser bedeutende Unterschied zum menschlichen Hirn könnte damit zusammenhängen, dass die Nervenzellen von Vogel-Gehirnen deutlich dichter vernetzt sind – was die häufigeren Spülzyklen erklären würde. Die Tauben wiesen zudem häufigere Wechsel zwischen den Schlafphasen und damit einen ständigen Wechsel zwischen Tiefschlaf und einem wachähnlichen Zustand auf.

BELIEBT

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    Wovon träumen Tauben? 

    Auch auf die große Frage danach, was Tauben träumen, haben die Forschenden Hinweise gefunden. So waren während des REM-Schlafs hauptsächlich die Bereiche des Gehirns aktiv, mit denen die Tiere visuelle Reize verarbeiten, „darunter auch Areale, die analysieren, wie sich die Umgebung einer Taube während des Flugs bewegt“, sagt Mehdi Behroozi, Mitautor von der Ruhr-Universität. Die Tauben träumen also vom Fliegen.

    Dazu besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Vögel im Schlaf ihre vorherigen Flugaktivitäten nacherleben. Das Team begründete diese Vermutung mit gemessenen Aktivitäten in Gehirnarealen, die Nervensignale des Körpers verarbeiten – etwa der Flügel während des Fliegens. 

    Training für detaillierte Traumdeutung

    Außerdem durchleben die Vögel während des Träumens sehr wahrscheinlich Emotionen. Hinweise dafür liefert besonders ein Gehirnareal: Die sogenannte Amygdala, in der Gefühle verarbeitet werden. Zeitgleich konnte durch die Infrarotkamera festgestellt werden, dass sich die Pupillen der Tiere wie beim Balzverhalten oder unter Aggression teilweise schnell zusammenziehen.

    „Das deutet darauf hin, dass auch Vögel in ihren Träumen Gefühle empfinden, sofern sie etwas erleben, das unseren menschlichen Träumen ähnelt“, sagt Gianina Ungurean aus der Forschungsgruppe Vogelschlaf am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz.

    Ob ihre Vermutungen stimmen und inwiefern sich die Traumerlebnisse von Tauben und Menschen ähneln, möchte das Team zukünftig genauer untersuchen. „Wir hoffen, die Vögel so trainieren zu können, dass sie uns vermitteln können, ob und was sie gerade gesehen haben, wenn sie aus dem REM-Schlaf erwachen“, sagt Gianina Ungurean.

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