Fakten und Mythen über Wolfshybride in Deutschland

Paaren sich ein domestizierter Hund und ein wilder Wolf, ist das Ergebnis ein Wolfshybrid. Wie viele dieser Mischlinge gibt es hierzulande? Und sind sie wirklich so gefährlich, wie es ihnen nachgesagt wird?

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 7. Mai 2024, 12:22 MESZ
Ein Wolfshund steht auf einem Weg im Wald.

Wolf? Hund? Hybrid? Beim Anblick dieses Wolfhundes lassen sich für Laien optisch kaum Anzeichen für eine zweifelsfreie Identifizierung feststellen.

Foto von mjurik / Adobe Stock

Den deutschen Wölfen geht es prächtig. Für das Monitoringjahr 2022/2023 konnten insgesamt 184 Rudel, 47 Wolfspaare und 22 Einzelgänger bestätigt werden. Insgesamt kommt die Wolfspopulation damit auf 1.339 Individuen. Was den Artenschutz freut, ist anderen ein Dorn im Auge. Simultan mit der Ausbreitung der Tiere steigt die Angst vor den streng geschützten Raubtieren: Immer wieder kommt es zu illegalen Tötungen.

Vor allem ein Thema scheint die Gemüter zu erhitzen: Die Vermutung, es komme immer häufiger zu Kreuzungen zwischen Wölfen und Hunden. Doch: Ist die Angst vor den sogenannten Hybriden begründet? Und gibt es sie hierzulande überhaupt?

Zwischen Fantasie und Realität: Woher rührt die Angst vor Wolfshunden?

Die Argumente zu den scheinbaren Risiken von Wolf-Hund-Hybriden ähneln denen von angeblichen Problembären: So wird ihnen weniger Scheu vor und Distanz zu Menschen nachgesagt sowie der vermehrte Riss von Nutztieren. Auch Überzeugungen, dass Herdenschutzmaßnahmen nicht greifen würden, die Weidehaltung massiv bedroht sei und die Behörden die Größe und Verbreitung der Populationen gezielt verschleiern würden stehen im Raum. Wenn es nach Wolfsgegnern, Jagdverbänden und Nutztierhalter*innen geht, geht von den Wolf-Hund-Hybriden also ein erhöhtes Risiko für Konflikte aus. Sie fordern eine rasche Entnahme der Tiere, wie zuletzt etwa im Dezember 2022 in Fürstenwalde oder in der Röhn.

Laut Carsten Nowak vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main handelt es sich dabei allerdings um Gerüchte, die nicht nur über die Sozialen Medien, sondern auch durch Vortragsverantstaltungen und Medienberichte geschürt werden. „Es gibt gut organisierte Vereinigungen, die es sich zum Ziel gemacht haben, die weitere Ausbreitung des Wolfs in Europa einzugrenzen, um Schäden an Nutztieren und Jagdwild zu verhindern“, sagt der Wildtiergenetiker. 

Tatsächlich stimmt nur wenig von dem, was über die Tiere behauptet wird. Laut Nowak zeigen etwa Daten aus der Toskana, dass sich die Lebensweisen der Hybriden kaum von reinrassigen Wölfen unterscheiden: „Sie haben dort das gleiche Nahrungsspektrum und halten sich auch nicht näher an menschlichen Siedlungen auf.“ Dies liege vor allem daran, dass bei Hybridisierungsereignissen zwischen Wolf und Hund zumeist Wölfe die Mütter sind – Hybriden werden also „wölfisch sozialisiert“. Zwar gebe es auch Studienergebnisse, die zeigen, dass Hybriden in Gehegehaltung etwas weniger Scheu vor Menschen zeigen, allerdings sind diese Verhältnisse nicht mit Sicherheit auf wildlebende Wolfshybriden übertragbar.

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    Woher rührt dann die Angst vor den Wolf-Hund-Mischlingen? Carsten Nowak erklärt sich dies so: „Der Wolf-Hund-Hybrid ist ein durch menschliches Zutun erzeugtes Mischwesen aus Wild- und Haustier. Das regt unsere Fantasie an und eignet sich in vorzüglicher Weise dazu, Ängste zu erzeugen.“

    Wolfshybriden in Deutschland: Gibt es sie überhaupt?

    Besonders verbreitet werden Angst schürende Theorien laut Carsten Nowak in Gegenden, in denen sich der Wolf weiter ausbreitet, beispielsweise im Alpenraum oder in Skandinavien. Auch in Deutschland, wo Wölfe vermehrt in ihren Platz im Ökosystem zurückkehren, halten sich die Gerüchte über die vermeintlich gefährlichen Wolfshunde hartnäckig. 

    Dabei gibt es hierzulande kaum Wolfshunde – und diejenigen, die es gibt, sind nicht nachweislich gefährlicher als Wölfe. Nachgewiesen wurden Hybriden in Deutschland erstmals im Jahr 2003 in Sachsen. Damals kam es laut Nowak zur Paarung von einer Wölfin und einem Schäferhund. Diese haben sich laut Nowak aber höchstwahrscheinlich nicht weiter vermehrt. „Zwei Hybriden wurden eingefangen und in ein Gehege in Bayern gebracht, wo sie bald starben, über den Verbleib der weiteren Tiere ist nichts bekannt“, sagt er. Weitere Fälle gab es 2017/2018 sowie 2022 in Thüringen und 2023 in Brandenburg.

    Im internationalen Vergleich sind dies bedeutend wenige Fälle; die Hybridisierungsrate liegt hierzulande bei weniger als einem Prozent. Und dieses verschwindend geringe Ergebnis ist nicht etwa auf mangelnde Untersuchungen zurückzuführen. Laut Nowak werden im deutschen Wolfsmonitoring werden jährlich 6.000 DNA- und Genomuntersuchungen anhand von Kot- und Haarproben oder tot aufgefundenen Wölfen durchgeführt. Durch diese können Forschende etwa die Verwandtschaft und den Hybridisierungsgrad der Tiere bestimmen.

    “Trotz Hybridisierungsereignissen und jahrtausendelanger Koexistenz mit Haushunden ist der Wolf genetisch ein echtes Wildtier geblieben.”

    von Dr. Carsten Nowak
    Zentrum für Wildtiergenetik, Senckenberg Forschungsinstitut

    Straßenhunde und gesetzliche Hürden im Wolfsmanagement

    Anderswo, etwa in Süd- oder Osteuropa sieht es anders aus. Laut Carsten Nowak werden etwa in italienischen Regionen wie der Toskana und Dalmatien oder in der Türkei und dem Nahen Osten deutlich höhere Hybridisierungsraten vermutet. Schuld sei ein im Gegensatz zu Deutschland fehlendes oder unzureichendes Wolfsmonitoring und -management. Gleichzeitig erhöhen dort vor allem unkastrierte Straßenhunde das Risiko für Wolf-Hund-Mischlinge: Meist sind es weibliche Wölfe, die durch streunende oder ausgerissene Hunde trächtig werden. Äußerlich sind ihre Nachkommen vor allem für Laien kaum von reinrassigen Wölfen zu unterscheiden. 

    Ein optisches Erkennungsmerkmal für Hybriden ist laut Nowak beispielsweise ein dunkler gefärbtes Fell. Doch vor allem wenn sich Mischlinge erneut mit Hunden oder Wölfen paaren, sind die Nachkommen teils nur schwer ohne Laboruntersuchungen auszumachen. Eine Entnahme, wie sie von Wolfsgegnern gefordert wird und die vom Bundesnaturschutzgesetz für den Arterhalt des Wolfes durchaus vorgesehen ist, ist dementsprechend ein aufwändiger Prozess. Laut diesem dürfen Hybriden nur mittels naturschutzrechtlicher Ausnahmegenehmigung entnommen, also getötet werden. Daher ist eine zweifelsfreie Identifizierung laut Nowak unerlässlich. 

    Denn: Laut Gesetz genießen die Mischlinge aus Wolf und Hund trotz ihrer negativen genetischen Auswirkungen auf die Wolfspopulation bis in die vierte Generation denselben Schutz wie reinrassige Wölfe. „Dies soll wohl das Umgehen des strengen Artenschutzrechts verhindern, das vor dem illegalen Wildtierhandel mit bedrohten Arten schützen soll“, sagt Nowak.

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