Bären in Deutschland: Kann das gut gehen?

Seit fast 200 Jahren gibt es in Deutschland keine Bären mehr. Streift heutzutage ein Exemplar durch die Grenzregionen, liegen Freud und Leid nah beieinander. Doch woher rührt die Angst – und ist sie begründet? Was macht einen Bären zum „Problem“?

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 28. Juni 2023, 09:28 MESZ
Ein Europäischer Braunbär frisst Blätter und Gras

Rund 18.000 Braunbären sind laut Statistica in europäischen Wäldern heimisch – Russland und Belarus nicht eingerechnet. Die größte europäische Population ist mit beinahe 8.000 Tieren in den Karpaten anzutreffen. So wild und weit die Landschaft hier auch ist – Mensch und Bär treffen immer häufiger aufeinander.

Foto von giedriius / adobe stock

Blätter rascheln, ein Ast bricht, große braune Tatzen nähern sich: Die Angst, während des Waldspaziergangs einem Bären zu begegnen, ist hierzulande unberechtigt. Denn Braunbären gibt es in Deutschland seit bald 200 Jahren eigentlich keine mehr. 

Anders sieht es etwa in Rumänien aus, wo wieder mehr Bären zum Abschuss freigegeben werden, weil sie den Menschen zu nahekommen. Im Norden Italiens hatten Menschen nach einem tödlichen Angriff tagelang Angst vor Bärin Gaia. Und auch uns kommen die Bären wieder näher: In den bayerischen Grenzgebieten gab es im Mai dieses Jahres mehrere Sichtungen eines Bären – der auf seiner Wanderschaft möglicherweise sogar drei Schafe riss.

Negativschlagzeilen wie diese kratzen am Image der europäischen Braunbären. Um dieses wieder aufzupolieren, rief die Stiftung für Bären im Jahr 2007 den Bärengedenktag aus. Seitdem wird jährlich am 26. Juni an alle Bären erinnert, die auf deutschem Boden ihr Leben lassen mussten. Doch während Tierschützer*innen daran arbeiten, Akzeptanz für Bären zu schaffen, schlagen Weideviehbesitzer*innen Alarm. 

Entfremdung vom Bär: Die Angst vor dem Unbekannten

Vor fast 200 Jahren – genauer im Jahr 1835 – wurde der letzte in Deutschland heimische Bär in der Nähe vom bayerischen Ruhpolding erlegt. Eine jahrhundertelange Jagd auf die großen Beutegreifer ging zu Ende. Der europäische Braunbär war damit deutschlandweit ausgerottet. Seitdem ist es hierzulande still geworden um Meister Petz. 

Die Angst blieb – obwohl ihm im Gegensatz zum Wolf in Märchen oder als Teddybär eher positiv behaftete Rollen zugeschrieben wurden. Wenn sich doch einmal ein Bär über die anliegenden Grenzgebiete auf deutschen Boden wagt, herrschen statt Sachlichkeit hauptsächlich negative Gefühle vor: Angst, Unbehagen, Skepsis. 

Nach der jahrhundertelangen Jagd auf den Bären blieb die Angst vor dem Tier. 

Foto von Franz Joseph Dobiaschofsky, 1818-1867

Laut Uwe Friedel vom BUND Naturschutz spielt dabei vor allem die Angst vor dem Unbekannten eine große Rolle. Der Bärenexperte beschäftigt sich schon lange mit Bären und ihrer Rolle in der Gesellschaft. „Es gibt eine evolutionäre Urangst vor Beutegreifern – bei einer potenziellen Gefahr stehen dementsprechend erstmal die Negativszenarien im Vordergrund“, sagt er. Fakt sei aber: Wildtiere – auch Bären - seien grundsätzlich scheu und vorsichtig geworden.

„Die allermeisten Begegnungen von Mensch und Bär bemerkt der Mensch gar nicht. Dank seiner feinen Nase und dem guten Gehör bemerkt der Bär Menschen frühzeitig und entfernt sich, um möglichen Gefahren aus dem Weg zu gehen“, sagt der Artenschutzexperte. Menschen werden grundsätzlich nicht als Beute angesehen, aber „jahrhundertelange Angst schürende Geschichten sind tief in der Gesellschaft verwurzelt.“ Das Resultat: Der verdrängte Europäische Braunbär kann sich hier nur noch schwer heimisch fühlen, die Tiere fehlen seit gut 200 Jahren im deutschen Ökosystem.

Lediglich in den Alpenregionen tauchen hin und wieder Bären auf, die über die Nachbarländer nach Deutschland gelangen – etwa aus der kleinen Population in Kärnten und Tirol, die aus bis zu acht Individuen besteht. In diesem Zusammenhang kommen in unregelmäßigen Abständen sogenannte Schafrisse vor. So werden Übergriffe auf Nutztiere genannt, die mutmaßlich von Beutegreifer wie etwa Wölfe oder Bären erfolgen.

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    Oftmals kommt es bei den Schafrissen auch zu Mehrfachtötungen, bei denen mehr Tiere einem Angriff erliegen – allerdings werden diese und andere Schafrisse hauptsächlich vom Wolf verursacht. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) verzeichnet im Jahr 2021 durchschnittlich etwa 3,5 geschädigte Tiere nach insgesamt rund 1.000 Wolfsangriffen. Die Schäden durch Bären sind deutlich geringer – nicht zuletzt deshalb, weil sie hauptsächlich vegetarisch ernähren.

    „Ungefähr drei Viertel ihrer Ernährung ist pflanzlich“, sagt Friedel. „Der Rest ist tierisch – wobei die tierische Ernährung hauptsächlich aus kleineren Tieren besteht und zu einem großen Teil aus Insekten besteht.“

    So würden ein Bär vor allem Ameisen, Beeren, Früchte, Pilze, Getreide oder Mais verspeisen – aber auch von Wildtierfütterungen oder Aas angelockt werden. „Und er kann als großer Beutegreifer ebenso Wild- und Weidetiere reißen. Grundsätzlich gehören Bären im deutschen Ökosystem als Spitzenprädatoren dazu – wirken sich also auf das Nahrungsnetz aus, das unter ihnen ist“, sagt Friedel. Dabei jagten sie jedoch eher kranke und alte Tiere und trügen damit zur Gesundheit der Beutetierpopulationen bei. „Wie eine Art Gesundheits-Polizei für Rehe oder Hirsche.“

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    Dort, wo Beutetiere jedoch in großer Anzahl eingezäunt sind und nur selten Menschen nach dem Rechten sehen, können auch Bären hin und wieder nicht widerstehen. Zum Bedauern für Schafherden und deren Besitzer. Denn vor allem ungeschützte Schafe sind laut Uwe Friedel gefährdet. Hin und wieder komme es dabei auch zu Fällen des sogenannten Surplus Killing: dem Töten mehrerer Tiere gleichzeitig. Mit Blutrunst habe das allerdings nichts zu tun – der Bär würde dies eher als Vorrat für die nächsten Wochen ansehen. 

    Im April 2023 kam es etwa zum Riss mehrerer Schafe bei Oberaudorf. Bei Besitzer*innen von Schafherden macht sich daraufhin Frust und Entsetzen breit. Denn besonders sichere, elektrische Schutzzäune mit hoher Voltzahl sind teuer. Der Unterhalt für speziell trainierte Herdenschutzhunde ist eine mögliche zusätzliche Lösung, allerdings an besondere Bedingungen geknüpft und ökonomisch nur für größere Herden sinnvoll.

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    Damit solche Fälle sich nicht häufen, steht seit 2007 ein umfangreicher Managementplan zur Verfügung. Dieser wurde im Jahr nach dem Auftreten von JJ1 – wie „Problembär“ Bruno offiziell benannt wurde – von einer Reihe von Behörden, Institutionen, Verbänden und Vereinen erstellt. Der Plan soll einen Handlungsrahmen für Ausgleichszahlungen bei Schäden bieten und Zuständigkeiten im Fall eines Bärenangriff regeln, sowie „ein möglichst konfliktarmes Miteinander von Mensch und zu- bzw. durchwandernden  Bären erreichen“. Auch eine „Entnahme“ – also die Tötung eines Bärens, der Mensch oder Tier gefährdet – ist im Rahmen des Plans möglich.

    Nicht jeder Bär ist automatisch ein Problembär

    Friedel warnt vor einer generellen Vorverurteilung der Bären. So hatten die beiden Bären, die in 2022 und 2021 in Süddeutschland zu Besuch waren, laut ihm im Gegensatz zu ihrem diesjährigen Kollegen keine Nutztiere gerissen. 

    Anders im Falle der Bärin Jurka, der Mutter des bekannten „Problembären” Bruno. Diese war im Jahr 2000 im italienischen Naturpark Brenta-Adamello ausgesetzt worden, um die dortige Population aufrechtzuerhalten. Nachdem sie durch Menschen angefüttert wurde, verlor sie immer mehr die Scheu vor ihnen und gab dieses furchtlose Verhalten daraufhin an ihre Jungen weiter. Wie verhängnisvoll dieser leichtsinnige Umgang mit großen Beutegreifern enden kann, zeigten die Schicksale ihrer Kinder.

    Bruno riss zahlreiche Tiere, machte auch vor einem Hühnerstall in einer Siedlung bei Garmisch nicht halt. „Den Fall Bruno konnten wir damals nur schwer einschätzen, weil wir wenig Informationen bekamen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Abschluss damals angemessen war“, sagt Uwe Friedel. Wichtig ist dem Bärenexperte zu betonen, dass der Fehler in der vorangeschrittenen Konditionierung der Bären lag. Ein menschengemachtes Problem, das im April dieses Jahres ein Menschenleben kostete: Brunos Schwester Gaia tötete einen Jogger in Italien.

    Bär Bruno im Museum Mensch und Natur in München. 

    Foto von Hellerhoff / Wikimedia Commons

    Während Bruno „entnommen“ wurde und nun ausgestopft im Münchner Museum Mensch und Natur steht, kam Muttertier Jurka 2010 über Umwege in einen Bärenpark im Schwarzwald. Das Schicksal von Gaia ist unterdessen noch nicht besiegelt, ein Gericht beschloss, sie zumindest vorerst am Leben zu lassen. 

    Begegnungen mit Bären: Respekt ausstrahlen und Ruhe bewahren

    Die Wahrscheinlichkeit, in der DACH-Region auf einen Bären zu treffen, ist insgesamt weiterhin eher gering. Bären werden hier hauptsächlich über Wildtierkameras, Pfoten- oder Fraßspuren aufgespürt. Zur Risikogruppe zählen laut Uwe Friedel vor allem Jäger – die sich im Wald meist selbst sehr ruhig verhalten. 

    Dennoch sollte man vor allem in den Wäldern und Bergen der Grenzregionen zu Bärengebieten aufmerksam sein. Kommt es zu einer Begegnung mit einem Bären, heißt es in jedem Fall zunächst: Stehen bleiben und schon von Weitem auf sich aufmerksam machen. Ansonsten könnte das Nähern oder ein Überraschungsmoment den Bären dazu bringen, sich verteidigen zu wollen.

    “Auf den Wegen bleiben ist super. Ein kleines Glöckchen oder ein lautes Gespräch sind ebenso hilfreich – das hört ein Bär in der Regel von Weitem und macht sich von selbst aus dem Staub.”

    von Uwe Friedel
    BUND Naturschutz

    Sämtliche darauf folgende Bewegungen sollten ebenso bedacht und langsam erfolgen. Denn jegliche Versuche, das Tier zu verscheuchen oder sich fluchtartig von ihm zu entfernen, sind kontraproduktiv. Ruhiges Sprechen und ein gemächlicher, kontrollierter Rückzug mit ständigem Blick auf den Bären helfen, sicher aus einer potenziell gefährlichen Begegnung zu gelangen.

    Falls es doch zu einem Schein- oder tatsächlichen Angriff kommt, sollte man sich laut Uwe Friedel flach mit dem Rücken nach oben auf den Boden legen und die Hände schützend in den Nacken legen. Bärenspray ist laut dem Experten ebenfalls hilfreich, falls es kritisch wird. Jägern rät er unterdessen von Schüssen ab: „Wenn man den Bär nur verletzt oder vorbeischießt, kann aus einer relativ harmlosen Situation eine wirklich gefährliche Situation entstehen“, sagt Friedel.

    Ausblick – Sicherheit für Mensch und Bär

    Ängste vor einem Anstieg der Bären in Deutschland sind nicht ganz unberechtigt: Rumänien, die Heimat der europäischen Bären, steht aktuell mit schätzungsweise 8.000 heimischen Bären innerhalb der EU an der Spitze – und verzeichnete im Jahr 2022 154 Angriffe auf Menschen, die 158 Verletzte und 14 Tote zur Folge hatten. 

    In Deutschland kommt es laut Uwe Friedel deshalb darauf an „inwieweit wir Menschen bereit sind, unser eigenes Verhalten an das Vorkommen von Wildtieren anzupassen.“ Wollen die Deutschen ein Nebeneinander von Bär und Mensch, braucht es in erster Linie die Akzeptanz der Bevölkerung – und in gewisser Weise auch Einschränkunge im Bereich Tourismus und Tierhaltung, um die Gefährdung von Mensch und Tier zu minimieren. „Im Trentino war es tatsächlich so, dass den Leuten bei Beginn des Auswilderungprojektes gesagt wurde, dass sie sich nicht einschränken müssen“, sagt Friedel. Die Auswirkungen eines solchen Umgangs kennen wir nun. 

    Der Dialog dürfe jedenfalls nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg passieren, so Friedel. „Das würde die Akzeptanz zu sehr einschränken und das wäre auch nicht fair. Grundsätzlich ist das Ziel der Naturschutzgesetzgebung in Deutschland allerdings, dass alle heimischen Tiere einen Platz haben. Dazu gehört potenziell auch der Bär.“

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