Pro und Contra: Sollte man Wölfe schneller abschießen dürfen?

Die Zahl der Wölfe in Europa steigt – und damit die Sorge der Weidetierhalter. Jetzt will die EU-Kommission den Abschuss erleichtern.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 10. Jan. 2024, 10:55 MEZ
Nahaufnahme eines Wolfs, der direkt in die Kamera schaut.

Der Wolf ist Deutschlands größtes Landraubtier.

Foto von szczepank / Adobe Stock

Es ist eine Erfolgsgeschichte des Artenschutzes: Bis vor wenigen Jahren war der Wolf in weiten Teilen Europas ausgestorben. Heute leben wieder mehr als 20.000 Exemplare in 23 der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Und es werden immer mehr. Allein in Deutschland gibt es aktuell 184 Rudel. Vor fünf Jahren waren es 77.

Ein Wolfsrudel besteht in der Regel aus drei bis elf Tieren: den Eltern und den Nachkommen der letzten beiden Jahre. Daneben streifen auch Paare und Einzeltiere durch Deutschlands Kulturlandschaft. Die meisten Rudel leben in Brandenburg (52) gefolgt von Niedersachsen (39) und Sachsen (38).

Der Wolf ist zurück, aber sein Comeback polarisiert. Vor allem Weidetierhalter fürchten um ihre Herden. Im Jahr 2022 wurden hierzulande mehr als 4.300 Nutztiere durch Wolfsübergriffe verletzt oder getötet. Meist handelte es sich um Schafe und Ziegen.

Aktuell ist der Wolf europaweit durch die Berner Konvention streng geschützt. In Deutschland dürfen auffällige Tiere nur in Ausnahmefällen „entnommen“ werden, wie die offizielle Bezeichnung für die gezielte Tötung lautet. Die Umweltministerien von Bund und Ländern haben sich dazu im vergangenen Herbst auf eine neue Regelung verständigt. 

Galerie: Deutschlands wilde Wölfe

Der Wolf: Vom Jäger zum Gejagten?

Konkret bedeutet das: Hat ein Wolf in einer Region mit vermehrten Weidetierrissen einen Schutzzaun überwunden und ein Nutztier getötet, dürfen 21 Tage lang Wölfe im Umkreis von 1.000 Metern geschossen werden. Einen DNA-Nachweis braucht es künftig nicht mehr. Vielen Landwirten und Weidetierhaltern geht dies nicht weit genug. Sie fordern gezielte Jagden. Doch dazu müsste man die Schutzregeln für den Wolf lockern.

Nach den Plänen der EU-Kommission soll das bald der Fall sein. Die Behörde schlägt vor, den Schutzstatus des Wolfs von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herunterzustufen. Dies würde die Voraussetzung dafür schaffen, die Jagd auf Wölfe zu genehmigen, sofern dadurch nicht der Bestand gefährdet wird. Die EU-Kommission kommt damit den Forderungen von Landwirten und Weidetierhaltern entgegen.

Die Dichte der Wolfsrudel in einigen europäischen Regionen sei inzwischen „zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für die Nutztierhaltung“, erklärt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Nun liege es an den Mitgliedstaaten, über den Vorschlag zu entscheiden.

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    Bauernverband hält Wolfsjagd für überfällig

    Landwirte und Nutztierhalter begrüßen die Initiative. Der Deutsche Bauernverband (DBV) etwa hält dies für einen längst überfälligen Schritt. Die Weidetierhaltung werde ohne gezielte Bejagung des Wolfs nicht mehr funktionieren. Schutzzäune allein seien keine Lösung. 

    Bislang gebe es keine in der Fläche umsetzbare, praktikable Form der Einzäunung, die tatsächlich wolfssicher sei. Auf Almen und Deichen funktioniere das Konzept überhaupt nicht. Zwar könnten Herdenschutzhunde in Einzelfällen helfen, Wölfe fernzuhalten. Dies sei allerdings sehr teuer.

    „Endlich erkennt die EU-Kommission an, dass das Schutzniveau des Wolfes nicht mehr gerechtfertigt ist“, sagt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken.

    Galerie: Allein unter Wölfen

    Naturschutzbund: „Generelle Jagd auf den Wolf ist ein Irrweg“

    Tierschutzverbände dagegen kritisieren den Vorstoß der EU. Ihre Argumentation: Nicht die hohe Zahl der Wölfe führe zu Konflikten zwischen Artenschutz und Weidetierhaltung. Hauptproblem sei der mangelnde Herdenschutz.

    „Risse an ungeschützten Weidetieren sind besonders problematisch, weil Wölfe dabei lernen, wie leicht ein Schaf oder eine Ziege auf einer Weide zu erbeuten sind“, betont Thomas Norgall vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). 

    Untersuchungen in der Slowakei hätten gezeigt, dass eine Bejagung von Wölfen die Zahl der Nutztierrisse nicht messbar verringere. Einzelabschüsse könnten zwar punktuell zur Entlastung führen, das Problem aber nicht grundsätzlich lösen. „Die generelle Jagd auf den Wolf ist ein Irrweg“, sagt Norgall. 

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