Ungewisse Zukunft: Der Tschadsee verschwindet

Der Tschadsee ist eine lebenswichtige Quelle für Wasser, Nahrung und den Lebensunterhalt für zunehmend mehr Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden – und er wird langsam zu Sand.

Von Sarah Stacke
bilder von Jane Hahn
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:33 MEZ
Luftaufnahme der Inseln im Tschadsee
Eine Luftaufnahme der Inseln im Tschadsee, aufgenommen über Baga Sola, Tschad.
Foto von Jane Hahn

Die koreanisch-amerikanische Fotografin Jane Hahn befindet sich seit über zehn Jahren in Afrika. Sie berichtete über Gesundheitskrisen, politische Gewalt und humanitäre Probleme. Sie hat während dieser Arbeit durchaus einige beunruhigende Dinge erlebt und gesehen. Eines der verstörendsten Erlebnisse, erinnert sich Hahn, hatte sie, als sie auf einer Sanddüne stand und begriff, dass die Wüste, die sich weit über ihr Blickfeld hinaus erstreckte, vor dreißig Jahren noch mit Wasser bedeckt war.

Die von Land umschlossene Republik Tschad im Norden Zentralafrikas sieht sich sowohl von der sich ausbreitenden Sahara als auch von Boko Haram bedroht. Beide Faktoren stellen auch eine bedeutende Bedrohung für das Ökosystem des Tschadbeckens dar. Der Tschadsee, der sich im Herzen des Beckens befindet, ist ein flacher Süßwassersee, dessen Ufer aktuell hauptsächlich in Tschad und Kamerun liegen. Ursprünglich erstreckten sie sich aber bis nach Nigeria und Niger.

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Im Februar begab sich Hahn eine Woche lang auf eine Reise per Auto, Boot und zu Fuß entlang des Abschnitts des Tschadsees, der sich innerhalb der Landesgrenzen von Tschad befindet. Dort hielt sie die Beziehung zwischen dem schrumpfenden See und der wachsenden Zahl an Menschen fest, die für ihr Überleben auf ihn angewiesen sind.

Boko Haram, die ihren Ursprung in Nigeria hat, ist eine der tödlichsten Terroristengruppen der Welt. Ende 2014 begannen sie, ihre Angriffsziele auch jenseits der Grenzen Nigerias in den Länder des Tschadbeckens zu suchen. Hunderttausende Menschen aus dem Becken, die in Nigeria oder nahe der Grenze lebten, flohen vor der Gewalt. Sie fanden schließlich Zuflucht in den Dörfern und Camps in Tschad, Niger und Kamerun. In Tschad hat der Zufluss von vertriebenen Tschadern und Flüchtlingen die Ressourcen des Sees strapaziert, die sowohl von diesen beiden Gruppen als auch von den Einheimischen genutzt werden. In Kombination mit der sich ausbreitenden Wüste ist die Zukunft des Sees nun ungewisser als je zuvor.

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    Die Einheimischen, mit denen Hahn gesprochen hat und deren Familien oft schon seit vielen Generationen in der Gegend leben, erzählten ihr, dass sie jedes Jahr mehr und mehr Sand sehen. Ganze Dörfer sind umgezogen, immer dem Ufer des Sees hinterher. „Die Verwüstung ist die eine Sache, vor der die Leute, mit denen ich gesprochen habe, wirklich Angst haben. Die Leute, die das am eigenen Leib erfahren“, sagt Hahn.

    Man weiß, dass der Flächeninhalt des Tschadsees jahreszeitlich fluktuiert und dass seine Masse sich über die Jahrhunderte hinweg stark verändert hat. Hahn berichtet allerdings, dass „Dürre, Wüstenbildung, Entwaldung und falsches Ressourcenmanagement zusätzlich zum Klimawandel zu seinem drastischen Schrumpfen um 90 Prozent in den letzten 60 Jahren beigetragen haben“. Sie glaubt, dass der See nicht in der Lage ist, sich wieder aufzufüllen. Das liege zum einen an dem Rekordtiefstand des Wassers und zum anderen an der Bevölkerung, die größer als je zuvor ist und das Grundwasser zur persönlichen Nutzung oder für Bewässerungsprojekte benötigt. „Wenn man dann noch die sich ausbreitende Wüste mit einrechnet, dann stirbt das Becken“, sagt Hahn. Die Fische werden kleiner und weniger. Da zunehmend mehr Leute sich selbst und ihr Hab und Gut im See waschen, wird er außerdem zu einer Gesundheitsgefahr für jene, die direkt daraus trinken. Es entstehen Krankheiten und schlimme Mangelernährung.

    Die zurückweichenden Wassermassen und Boko Haram durchtrennen auch eine wirtschaftliche Lebensader zwischen Tschad und Nigeria. Maiduguri in Nigeria ist zwar der Geburtsort von Boko Haram, aber es war auch einst ein lebhafter Handelsposten für Fischer, Bauern und Händler, die die Grenze von Tschad überquerten, um auf den Markt nach Maiduguri zu kommen. Durch den niedrigen Wasserstand und die Routen, die durch die Unsicherheit rund um Boko Haram abgeschnitten wurden, können Boote Maiduguri nun nicht mehr erreichen. Dadurch seien nun „Tausende ohne ihren wichtigsten Markt für den Handel“, sagt Hahn.

    Das Verschwinden des Sees hat jedoch ein einziges Geschenk gebracht: Die Natronablagerungen, die zurückbleiben, wenn das Wasser verdampft. Das Einsammeln von und Handeln mit dem Mineral versorgt die entsprechenden Arbeiter mit einem Einkommen – zumindest, bis ihre Handelsrouten unbegehbar werden.

    Trotz der drohenden Katastrophe sei die Landschaft des Tschadsees bemerkenswert schön, so Hahn. Wenn die Sonne über dem fruchtbaren Land jenseits des Wassers aufgeht, warten die Frauen auf die Fischer, die mit dem Tagesfang zurückkehren. Sie schützen sich vor der kühlen Luft, indem sie kleine Feuer entfachen. Vögel begleiten die Boote ans Ufer und kreisen über den Köpfen, während die Fische für ihren Zielort vorbereitet werden. Manche werden geputzt und auf den Markt gebracht, andere getrocknet und zu Tschads Hauptstadt N‘djamena geschickt. Während der Geruch des Fangs noch in der Luft schwebt, drehen die Frauen dem See den Rücken zu und gehen landeinwärts. Nach kaum 100 Metern wird das satte Grün zu Sand. Urplötzlich sind die Frauen von der Sahelzone umgeben – der Übergangszone vor der Sahara – uns stehen knöcheltief im Sand.

    Der Wind weht hier noch stärker und trägt die Sahara wortwörtlich mit sich, hin zum See.

    Hahns Arbeit wurde von der Open Society Initiative for West Africa (OSIWA) unterstützt.

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