Amazonas-Regenwald – das Ökosystem könnte kippen

Nach den großen Bränden in diesem Sommer: Ist der brasilianische Regenwald noch zu retten? Im Gespräch: Dr. Elke Mannigel, Teamleiterin für internationale Projekte bei der Tropenwaldstiftung OroVerde in Bonn.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 22. Nov. 2019, 14:27 MEZ
Brasilianischer Küstenregenwald
Von unten undurchdringlich, von oben wunderschön: Diese Bäume im Brasilianischen Küstenregenwald (Mata Atlantica – Minas Gerais) blühen in einem zarten Lila.
Foto von OroVerde, E. Mannigel

Frau Mannigel, die Bilder des brennenden Amazonas-Regenwaldes haben in diesem Sommer weltweit für Entsetzen gesorgt. Wie ist die aktuelle Situation?

Aktuell sind keine Rauchwolken mehr zu sehen, die Brände sind erloschen. Das liegt daran, dass die ersten großen Regenfälle eingesetzt haben. Aber das Abholzen und Zerstören geht weiter. Schuld daran ist vor allem die aktuelle Politik der brasilianischen Regierung, die gezielt die Agrarlobby und großindustrielle Landwirtschaft fördert.

Die promovierte Biologin Elke Mannigel ist Teamleiterin für internationale Projekte bei der Tropenwaldstiftung OroVerde mit Hauptsitz in Bonn.
Foto von FDN, J. Marquez

Prognosen zufolge könnte der Regenwald im Amazonasgebiet allein in diesem Jahr um mehr als 10.000 Quadratkilometer schrumpfen. Das ist viermal so viel wie die Fläche des Saarlands – ein neuer Höchstwert. Einige Experten warnen bereits vor einer endgültigen Zerstörung in zwei Jahren. Ist die Lage wirklich so dramatisch?

Noch ist viel Wald erhalten. Doch der Entwaldungsgürtel im Süden des Amazonasgebietes schreitet immer weiter voran. Das bringt den Wasserhaushalt durcheinander, der aber enorm wichtig für den Erhalt des Regenwaldes ist.

Ein intakter Regenwald bildet einen eigenen Wasserkreislauf. Er produziert letztlich das Wasser, das er selbst benötigt …

… und durch die fortschreitende Entwaldung speichern die Wälder dann nicht mehr genug Wasser. Schon seit einigen Jahren beobachten wir eine zunehmende Trockenheit in diesen südlichen Gebieten. Das führt dazu, dass Bäume schneller absterben, weil sie ja einen hohen Wasserbedarf haben. Auszuschließen ist nicht: Das Ökosystem könnte kippen.

Wann droht dieser Kipppunkt?

Ob und wann, ist schwer zu sagen und auch nicht konkret zu belegen. Doch es gibt Studien, wonach die Bäume innerhalb von zwei bis drei Jahren absterben, wenn nicht mehr ausreichend Regen fällt.

Galerie: Amazonas-Regenwald – das Ökosystem könnte kippen

Lässt sich ein solch fragiles Ökosystem überhaupt wieder aufforsten? Es ist die Rede davon, dass sich Regenwälder erst nach vielen Jahrzehnten wieder regenerieren.

Er dauert tatsächlich lange, bis sich Regenwälder dahingehend regenerieren, dass sie wieder komplette ökologische Funktionen – etwa für den Wasserkreislauf – übernehmen können. Es gibt aber auch im Regenwald schnell wachsende Pionierarten, mit denen man die Aufforstung beginnen kann. All das braucht jedoch einen langen Atem und langfristige Programme. Grundsätzlich ist das Vermeiden von Entwaldung immer das bessere Mittel, nicht zuletzt auch mit Blick auf den Klimaschutz.

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Der brasilianische Präsident Bolsonaro scheint allerdings nicht sonderlich viel von Umwelt- und Klimaschutz zu halten. Erst vor wenigen Tagen hat er auch das Verbot für den Zuckerrohranbau im Pantanal, einem der weltweit größten Binnenfeuchtgebiete, gekippt. Welche Lösungswege zum Schutz der Regenwälder sehen Sie?

Ein wichtiger Ansatz für den Tropenwaldschutz besteht darin, lokale Initiativen zu stärken und die Landrechte so regeln, dass die lokale Bevölkerung mit und von dem Wald leben kann. Gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort sehen wir, dass die Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden ein ganz wichtiger Punkt ist. Es gibt viele lokale Projekte mit Menschen, die sich engagieren, die etwas ändern wollen, die alternative ökologische Bewirtschaftungsmodelle mit Kleinbauern aufbauen. Außerdem müssen wir sehen, wohin die großen Agrarimporte gehen, die die Entwaldung hauptsächlich verursachen ...

… Rindfleisch und Soja, die zu großen Teilen in der EU vermarktet werden.

Ja. Und damit kommen wir zu einem weiteren Lösungsansatz: Importverbote für Produkte, die zur Umweltzerstörung in anderen Regionen beitragen. Das wäre ein wichtiges Signal an die brasilianische Regierung.

Brandrodungen in der brasilianischen Amazonasregion finden oft für die Ausweitungen landwirtschaftlicher Flächen wie hier für Viehzucht oder für den Sojaanbau statt.
Foto von OroVerde, E. Mannigel

Haben Sie Hoffnung, dass sich etwas zum Guten ändern wird? Was bringt Sie hier persönlich weiter voran?

Wenn ich keine Hoffnung hätte, könnte ich meine Arbeit nicht machen. Ich habe schon unsere lokalen Partner und Initiatoren vor Ort erwähnt, die mit viel Herzblut für den Erhalt der Regenwälder kämpfen. Das treibt mich an, daraus ziehe ich meine Energie. Durch meine Arbeit sehe ich, dass es nicht nur in Deutschland viele Menschen gibt, die sich engagieren, sondern auch, dass es weltweit weiter voran geht.

Über OroVerde – Die Tropenwaldstiftung

Seit 30 Jahren setzt sich OroVerde für den Erhalt der tropischen Regenwälder ein. Die Naturschutzorganisation mit Hauptsitz in Bonn konzipiert Schutzprojekte, die gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen in den Tropenländern umgesetzt werden. Naturschutz und Entwicklungszusammenarbeit sollen dabei Hand in Hand gehen. Mit Hilfe von Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit in Deutschland will OroVerde einen nachhaltigen und regenwaldfreundlichen Konsum fördern. OroVerde ist politisch unabhängig, gemeinnützig anerkannt und trägt als eine der ersten Umweltorganisationen deutschlandweit das DZI-Spendensiegel (Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen).

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