Klimawandel: Weltklimarat zeigt fünf mögliche Szenarien für die Zukunft auf

Wie wird sich das Klima bis zum Ende des 21. Jahrhunderts verändern und welche Folgen hat das für Erde und Menschen? Der neue Bericht des Weltklimarats gibt auf diese Fragen fünf mögliche Antworten.

Von Madeleine Stone
Veröffentlicht am 23. Aug. 2021, 14:36 MESZ
Pflanzen klettern an den roten Rankgittern der Gardens by the Bay in Singapur empor.

Pflanzen klettern an den roten Rankgittern der Gardens by the Bay in Singapur empor. Sieht so unsere Zukunft aus?

Foto von Andrew Moore, Nat Geo Image Collection

Der aktuelle, von der UN veröffentlichte Stand zur Lage des Klimas ist eine eindringliche Warnung vor einer Zukunft, in der verheerende Naturkatastrophen zum Alltag gehören. Noch gibt es auf dem Weg dorthin aber einige Stellschrauben, an denen man drehen kann: Je nachdem, wie sich Technologie, Weltwirtschaft und -politik entwickeln – und vor allem wie radikal der CO2-Ausstoß weltweit reduziert wird –, könnte die Welt zum Ende des 21. Jahrhunderts vollkommen anders aussehen, als es diese Prognose vorzeichnet – oder eben nicht.

Mitte August 2021 veröffentlichte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der sogenannte Weltklimarat, den ersten Teil seines Sechsten Sachstandsberichts – in vollständiger Form wird der Bericht erst im Jahr 2022 erscheinen. Sein erstes Kapitel hat die physikalische Wissenschaft des Klimawandels auf Basis fünf verschiedener Klimaszenarien zum Inhalt. Diesen zugrunde liegen eine Reihe von Variablen, die – miteinander kombiniert –einen Einfluss auf die zu erwartende Erderwärmung und die Anpassungsfähigkeit der Menschen haben. Dazu zählen neben dem Reduzierungsgrad der CO2-Emissionen zum Beispiel auch Fortschritte bei der Entwicklung von Technologien, die bei dieser Reduzierung helfen, sowie sozioökonomische Entwicklungen.

Manche Szenarien enden versöhnlich: Der Menschheit ist es beispielsweise gelungen, sich gegen den Klimawandel zu stellen und sie bemüht sich fortlaufend, Armut in der Welt zu bekämpfen und Lebensstandards überall zu verbessern. Die Erde ist in diesen Szenarien zwar auch wärmer und die sind Wetterlagen gefährlicher als heute, aber die größten Bedrohungen durch den Klimawandel konnten abgewendet werden. Den Menschen gelingt es, sich an die Situation anzupassen.

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In anderen Szenarien ist die Weltgemeinschaft am Nationalismus zerbrochen, es herrscht Armut, der Ausstoß von CO2steigt, die Erde ist unvorstellbar heiß.

Die verschiedenen Emissionsmengen, die den Modellen zugrunde liegen, ziehen eine unterschiedlich starke Erderwärmung und damit auch unterschiedliche Konsequenzen für den Planeten nach sich. Der Einfluss sozioökonomischer Faktoren wird im zweiten und dritten Teil des Berichts verstärkt betrachtet werden. Laut Jessica Tierney, Klimawissenschaftlerin an der University of Arizona und Co-Autorin des Berichts, stehen im vierten Teil Klimaanpassung und Abwanderung im Fokus.

„Wie gut wir uns anpassen werden können, hängt extrem davon ab, ob die Weltgemeinschaft zusammenarbeitet und ob reiche Länder den armen helfen“, so Jessica Tierney. „In den Szenarien wird auch der Einfluss des technologischen Fortschritts auf den Klimaschutz betrachtet. Auf diesen Teil des Berichts bin ich schon sehr gespannt.“

Basierend auf aktuellen Entwicklungen in Bezug auf den weltweiten Energieverbrauch und die Klimapolitik ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten, bei manchen Szenarien größer als bei anderen. Den Autoren des Berichts war es jedoch wichtig, eine große Bandbreite an möglichen Zukunftsversionen abzubilden, um sowohl der Politik als auch der Bevölkerung die Wahlmöglichkeiten, die noch bestehen, deutlich vor Augen zu führen – und was auf dem Spiel steht, wenn wir uns falsch entscheiden.

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RCP und SSP: Grundlagen der Klimamodelle

Der Fünfte Sachstandsbericht des Weltklimarats erschien in den Jahren 2013 und 2014. In diesem wurde erstmals der Begriff des repräsentativen Konzentrationspfads, kurz: RCP für „representative concentration pathways“ eingeführt. Die verschiedenen Pfade, die der Bericht beleuchtete, waren, wie nun wieder im sechsten Bericht, Grundlage für verschiedene Klimaszenarien mit unterschiedlichem Ausgang – je nachdem, wie bemüht die Menschheit in den Modellen war, den Klimawandel zu stoppen. Die im Bericht aufgeführten Szenarien reichten von RCP2,6 (viel Klimaschutz bei niedrigen Emissionen) bis hin zu RCP8,5 (kein Klimaschutz bei hohen Emissionen). Die Zahl steht für den Strahlungsantriebswert, der anzeigt, wie viel zusätzliche Energie unsere Emissionen dem Klimasystem hinzufügen. Gemessen wird er in Watt pro Quadratmeter. Die durch den Strahlungsantrieb zugefügte überschüssige Energie ist verantwortlich für die steigenden Temperaturen.

Zusätzlich zu diesen Faktoren werden in den Szenarien des Sechsten Sachstandsberichts auch menschliche Faktoren berücksichtigt, die die Modelle etwas komplexer machen. Ähnlich den RCP-Szenarien beziehen auch sie die Entwicklungen der Emissionen in Verbindung mit dem Strahlungsantrieb mit ein. Die für den sechsten Bericht hinzugezogenen Werte reichen von einem Best-Case-Szenario mit 1,9 W/m² bis hin zu 8,5 W/m², einem Wert wie aus einem düsteren Science-Fiction-Katastrophenfilm.

In dem 1,9-Szenario ist die Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzt. Laut Zeke Hausfather, Leiter der Bereiche Klima und Energie am Breakthrough Institute, einem Umweltforschungszentrum, das auf technologische Lösungen spezialisiert ist, war seine Verankerung im Pariser Klimaschutzabkommen der Grund, warum dieser Wert vom Weltklimarat mit einbezogen wurde. Andere Basiswerte – 2,6 W/m², 4,5 W/m² und der desaströse Wert 7 W/m² – tauchten schon im fünften Bericht auf.

Eine große Verbesserung des neuen Berichts gegenüber seinem Vorgänger ist, dass er sich nicht ausschließlich auf die Emissionen konzentriert, sondern sie mit geteilten Sozioökonomiepfaden, kurz: SSP für „shared socioeconomic pathways“, verknüpft. Hinter diesen verbirgt sich ein globales Entwicklungsmodell des 21. Jahrhunderts mit Prognosen in Bezug auf das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie technologische und geopolitische Trends. All diese Aspekte beeinflussen sowohl den Emissionsausstoß als auch die Fähigkeit der Menschheit, ihn zu reduzieren und sich an den resultierenden Klimawandel anzupassen. Jedes SSP-Szenario lässt sich mit verschiedenen RCP-Szenarien kombinieren, sodass eine große Zahl an möglichen Versionen der Zukunft entsteht.

Fünf davon hat der Weltklimarat für seinen Bericht ausgewählt: zwei relativ optimistische Szenarien (SSP1-1,9 und SSP1-2,6), ein moderates (SSP2-4,5), eine düstere Zukunftsvision (SSP3-7,0) und eine absurde (SSP5-8,5).

Blick in die Zukunft

In beiden optimistischen Szenarien wird das im Pariser Klimaschutzabkommen beschlossene Ziel, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu halten, erreicht. Die Regierungen handeln sofort und reduzieren den Einsatz fossiler Brennstoffe radikal. Die weltweiten Emissionen liegen Mitte des 21. Jahrhunderts bei null und erreichen sogar einen negativen Wert, nachdem es der Menschheit gelungen ist, mithilfe von neuen Technologien große Mengen CO2 aus der Luft zu filtern. Zum Ende des Jahrhunderts hat sich die Erde im ersten Szenario um 1,4 °C, im zweiten um 1,8 °C erwärmt. Die Differenz beruht auf der unterschiedlichen Geschwindigkeit, mit der CO2-reduzierende Technologien entwickelt werden.

Zwar sind häufige extreme Wetterlagen in diesen Szenarien nicht vermeidbar, doch die besonders verheerenden Folgen des Klimawandels können verhindert werden. Parallel dazu zeigt sich in beiden Szenarien ein starkes Wirtschaftswachstum und eine Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen, begünstigt durch weitreichende Investitionen in Bildung und Gesundheitsversorgung. Würden diese Zukunftsvisionen Realität, wäre die Welt am Ende des 21. Jahrhunderts reicher und gerechter als heute. Die Bevölkerung würde sich leichter an die Folgen des Klimawandels anpassen, als es ohne globale Zusammenarbeit und das Teilen von Ressourcen der Fall wäre.

Das moderate Szenario bietet etwas weniger rosige Aussichten. In ihm bleiben die CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf einem hohen Niveau, danach sinken sie. Am Ende des 21. Jahrhunderts hat sich die Erde so um 2,7 °C erwärmt. Laut Zeke Hausfather entspricht dieses Szenario grob dem Zeitplan, den sich die Länder gesetzt haben, die sich dem Pariser Klimaschutzabkommen angeschlossen haben. Es bildet somit am ehesten die Zukunft ab, auf die wir zusteuern, sollte es im Hinblick auf die Emissionen nicht zu einem radikalen Umdenken kommen.

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Auch in Bezug auf die historischen Muster der sozioökonomischen Entwicklung ist es der Realität am nächsten. In dem moderaten Szenario ist das globale Wirtschaftswachstum nicht ausgeglichen: einige Länder erlangen immer mehr Wohlstand und soziale Gleichheit, während andere in dieser Hinsicht zurückfallen. Die Weltbevölkerung wächst weiter und erreicht gegen Ende des Jahrhunderts mit etwa 9,5 Milliarden Menschen ihren Höchststand. Zu diesem Zeitpunkt ist die Welt kaum gegenüber den schlimmen Folgen des Klimawandels geschützt.

In der düsteren Zukunftsvision des Weltklimarats gibt es keine internationale Zusammenarbeit mehr. Der Nationalismus hat die Länder fest im Griff. Wirtschaftswachstum und sozialer Fortschritt stagnieren. In den vielen armen Nationen bleiben die Geburtenraten auf einem hohen Niveau, was dazu führt, dass die Weltbevölkerung von heute 8 Milliarden Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts auf über 12 Milliarden anwächst. Die CO2-Emissionen steigen im Laufe des Jahrhunderts weiter an, sodass die Temperaturen an der Schwelle zum Jahr 2100 3,6 °C über dem vorindustriellen Wert liegen. Sowohl Dürren als auch Fluten werden häufiger und heftiger, das arktische Sommereis verschwindet und Hitzewellen, die sonst etwa alle 50 Jahre auftreten, kommen jetzt fast vierzigmal häufiger vor.

Das letzte Szenario ist so seltsam, dass es fast wie Science-Fiction anmutet. In ihm misslingt es der Menschheit nicht nur, die Emissionskurve umzukehren, sie verdoppelt durch einen energieintensiven Lebensstil sogar noch den Bedarf an fossilen Brennstoffen. Indem die Länder das gesamte Jahrhundert über immer mehr Kohle abbauen und verbrennen, erwärmt sich die Erde um unvorstellbare 4,4 °C und ist somit heißer, als sie es seit Millionen von Jahren war.

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Doch in dem Szenario wird viel für die globale Wirtschaft und den sozialen Fortschritt getan. Dadurch profitieren die Menschen auf der ganzen Welt von dem Nutzen der fossilen Brennstoffe. Zeke Hausfather zufolge hat das gegen Ende des Jahrhunderts eine Gesellschaft zum Ergebnis, die „sehr reich, sehr gleichberechtigt und technologisch sehr weit fortgeschritten“ ist. Die Erde wird höllisch heiß sein, doch die Menschen sind darauf vorbereitet und besser in der Lage dazu, sich an diese Umstände anzupassen, als sie es in einer armen, ungerechten Welt unter dem Einfluss des Nationalismus wären.

Heute unwahrscheinlich, morgen Realität?

Diese absurde Welt mag ein interessantes Gedankenexperiment sein, doch dass die Menschheit in diesem Jahrhundert mehr Kohle verbrennt, als die Erde überhaupt in Reserve hat, ist äußerst unwahrscheinlich – insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sowohl der Markt als auch die Klimapolitik in den wohlhabenden Nationen eigentlich auf den Kohleausstieg drängt. Dies jedoch mit unterschiedlichem Erfolg: In den USA wird aktuell zwar weniger als 20 Prozent des Stroms aus Kohle gewonnen – im Jahr 2007 waren es noch 50 Prozent –, doch in Deutschland gab es 2021 eine Trendumkehr: Im ersten Quartal des Jahres stieg der Verbrauch von Kohle zur Energiegewinnung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 26,8 Prozent.

Der Weltklimarat entschied sich trotz dieser gemischten Tendenzen dafür, das Szenario in den Bericht aufzunehmen. Zum einen, um den vorangegangenen Bericht weiterzuführen – SSP5-8,5 ähnelt in großen Teilen RCP8,5 – zum anderen, weil es bei der Erforschung der Folgen der globalen Erderwärmung „oft hilfreich ist, die Klimamodelle mit der vollen Breitseite zu treffen“, so Zeke Hausfather.

Auch ohne eine Renaissance der Kohleindustrie könnten solche Rückkopplungen im Klimasystem – wie etwa ein plötzlicher Anstieg von CO2- oder Methanemissionen durch das Abtauen des Permafrosts – die Welt in ein Worst-Case-Szenario stürzen. Derselbe Fall könnte eintreten, wenn sich das Klima als sensibler gegenüber menschengemachter CO2-Emission zeigt, als es die Wissenschaftler derzeit ihren Berechnungen zugrunde legen.

„Aus Sicht des Weltklimarats muss man auch die Extreme am Ende des Spektrums einbeziehen“, sagt Jessica Tierney. „Wenn man sich nur die wahrscheinlichsten Szenarien ansieht, hat man keinen Überblick über die ganze Bandbreite der möglichen Konsequenzen.“

Das optimistische Szenario, in dem die Erderwärmung weniger als 1,5 °C beträgt, erscheint unwahrscheinlich in Anbetracht des schneckenartigen Tempos, mit dem Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels umgesetzt werden. Doch das könnte sich ändern.

Mehrere Nationen, die gemeinsam für ungefähr zwei Drittel der globalen Emissionen verantwortlich sind, haben sich dazu verpflichtet, diese Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf null zu bringen. Wenn es ihnen gelingt, ihr Wort zu halten, und wenn die Entwicklungsländer ihrem Beispiel folgen, ist laut Zeke Hausfather eine Erwärmung im Bereich von lediglich 1,5 °C bis 2 °C theoretisch möglich.

„Die Entscheidung, welchen Pfad wir wählen, liegt noch in unseren Händen“, sagt er.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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