Emscher-Umbau: Die Rettung des dreckigsten Flusses Deutschlands

Bereits vor mehr als hundert Jahren war die Emscher im nördlichen Ruhrgebiet tot: kein Fluss mehr, sondern eine Kloake. Seit Anfang des Jahres 2022 gilt sie als abwasserfrei. Wie wurde das geschafft?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 8. Sept. 2022, 08:58 MESZ
Von März 2015 bis Dezember 2019 wurden auf einer knapp zwei Kilometer langen Versuchsstrecke der Emscher ...

Von März 2015 bis Dezember 2019 wurden auf einer knapp zwei Kilometer langen Versuchsstrecke der Emscher in Dortmund-Deusen die ökologischen Auswirkungen der Umbaumaßnahmen untersucht, um diese anschließend auf andere Gewässerteile zu übertragen.

Foto von Ute Jäger / EGLV

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die nach all den umwelt- und klimaverwandten Hiobsbotschaften dieses Sommers ein wenig Hoffnung macht: Mit einem Festakt am Wasserkreuz in Castrop-Rauxel, Nordrhein-Westfalen, wurde Ende August 2022 der offizielle Abschluss des Generationenprojekts Emscher-Umbau gefeiert. Bereits seit Anfang des Jahres 2022 gilt der ehemals „dreckigste Fluss Europas“ als abwasserfrei – doch bis dieser Meilenstein erreicht war, vergingen Jahrzehnte.

Vom Naturparadies zur Kloake

Die Quelle der Emscher entspringt bei Holzwickede, südöstlich von Dortmund. In ihrem ursprünglichen Zustand mündete sie nach rund 109 Kilometern bei Duisburg in den Rhein. Auf ihrem Weg dorthin durchquert sie heute unter anderem die Stadtgebiete von Gelsenkirchen, Essen, Bottrop und Oberhausen und ist damit das zentrale Fließgewässer des nördlichen Ruhrgebiets. Aufgrund ihres geringen Gefälles fließt die Emscher eher träge und mäandert stark. Die Auen entlang ihrer verschlungenen Pfade prägten früher feuchte Heiden, Auen- und Bruchwälder, die Artenvielfalt war groß, das klare, fischreiche Wasser trat bei starkem Regen regelmäßig über die Ufer.

Schwarz-Weiß-Fotografie Emscher bei Dortmund.

Im Jahr 1900 mäandert die Emscher noch in Kurven und Schlingen durch das Dortmunder Gebiet. Überschwemmungen waren an der Tagesordnung, heute sichern Deiche auf einer Gesamtlänge von rund 120 Kilometern die angrenzenden Wohngebiete.

Foto von Archiv Emschergenossenschaft

Schon immer leiteten die direkten Anwohner der Emscher ihre Abwässer in den unbefestigten Fluss. Da die Mengen zunächst gering waren, konnte das Wasser sich erst noch selbst reinigen. Das änderte sich, als im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung die Bevölkerungszahlen im Ruhrgebiet in die Höhe schnellten. Nicht nur Brauchwasser und Fäkalien aus Privathaushalten, sondern auch giftige Abwässer aus Industrie und Bergbau gelangten ungefiltert in das Gewässer. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war der Zustand der Emscher kritisch, das eiweißhaltige Abwasser anliegender Brauereien führte schließlich zum Umkippen des Flusses. Die Emscher war tot, verkommen zur Kloake des Ruhrgebiets – und eine Gefahr für die Gesundheit.

Wohin mit dem Abwasser?

Bei starkem Niederschlag trat die stinkende Jauche, die durch das Flussbett der Emscher kroch, über die Ufer und überschwemmte ganze Stadtviertel. Cholera-, Typhus- und Ruhrseuchen mit vielen Toten waren die Folge. Eine Typhusepidemie, ausgelöst durch ein Emscher-Hochwasser, kostete im Jahr 1901 rund 350 Gelsenkirchener das Leben.

Eine ordentliche, unterirdische Abwasserentsorgung hätte dem vorbeugen können, doch gegen diese sprachen nicht nur die hohen Installationskosten, sondern auch eine Besonderheit der Region: Das durch den Bergbau verursachte Absinken des Bodens hätte die unterirdisch verlegten Rohrsysteme regelmäßig verschoben oder beschädigt. Das Problem musste also oberirdisch gelöst werden – auf Kosten der Emscher und ihrer Nebenflüsse.

BELIEBT

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    Schwarz-Weiß-Fotografie: Baustelle an der Emscher.

    Im Zuge des Umbaus der Emscher zu einer offenen, oberirdischen Abwasserleitung wurden ihre Nebenflüsse mit Betonsohlschalen begradigt. Im Rahmen der Renaturierung des Emscher-Systems werden die Sohlschalen an den Nebenläufen nun nach und nach entfernt.

    Foto von Archiv Emschergenossenschaft

    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Fluss zu einer oberirdischen, offenliegenden Abwasserleitung umgebaut. Ihre Nebenläufe in trapezförmigen Betonsohlschalen eingesperrt, das Flussbett begradigt und ihre behäbige Fließgeschwindigkeit durch zu diesem Zweck angelegte Pumpwerke beschleunigt, führte die Emscher nun den anliegenden Kläranlagen die regionalen Abwässer zu. Durch ihre Begradigung verkürzte sich die Fließstrecke der Emscher auf etwa 83 Kilometer, ihre Mündung wurde zweimal verlegt und liegt nun bei Dinslaken. Als Fluss existierte sie nicht mehr: Die Emscher war nun nur noch eine hässliche, stinkende Rinne – ein sogenanntes Köttelbecken und lange Zeit die einzige Lösung für das Abwasserproblem des Ruhrgebiets.

    Aus für den Bergbau, Hoffnung für die Emscher

    Als in den Achtzigerjahren jedoch der Steinkohlebergbau im Emschergebiet eingestellt wurde, bedeutete dies auch das Ende der Bergsenkungen, die unterirdische Abwasserleitungen bisher unmöglich gemacht hatten. Unter dieser Voraussetzung startete im Jahr 1992 der ökologische Umbau des Emschersystems. Dieses beinhaltete drei Projekte: den Aufbau eines zentralen Abwasserklärsystems im Ruhrgebiet, den Bau unterirdischer Abwasserkanäle und die Renaturierung der Emscher und ihrer Nebenflüsse.

    Die Emscher im Landschaftspark Duisburg-Nord.

    Die Alte Emscher durchfließt den Landschaftspark Duisburg-Nord auf einer Länge von mehr als drei Kilometern.

    Foto von Andreas Fritsche / EGLV

    Bis 2001 wurden vier Klärwerke neu gebaut oder modernisiert und neue unterirdische Abwasserkanäle mit einer Gesamtlänge von mehr als 430 Kilometern verlegt. Im Jahr 2011 wurde in Bottrop mit dem Bau des Abwasserkanals Emscher (AKE) begonnen – einer geschlossenen Stahlbetonröhre, die Abwasser parallel zur Emscher transportiert. „Der 51 Kilometer lange Sammler führt von Dortmund bis Dinslaken – und das in Tiefenlagen von bis zu 40 Metern“, erklärt Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft. „Als Herzstücke verteilen unsere drei Großpumpwerke in Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen das Abwasser auf die Kläranlagen.“

    Das Leben kehrt zurück

    Um aus dem Köttelbecken wieder einen Fluss zu machen, wurden Emscher und Nebenflüsse aus ihren Betonkorsetts befreit und die Uferböschungen flacher und vielseitiger gestaltet. Dort, wo die örtlichen Gegebenheiten es zuließen, gewährte man dem zuvor begradigten Flussbett seine ursprünglichen Schlingen und Kurven. Entlang der Emscher und ihren Nebenläufen wurden seit Projektbeginn rund 150 Kilometer Flusslandschaft renaturiert. Inzwischen ist das Leben an und in die einstige Kloake zurückgekehrt: Die Emscher ist wieder Zuhause für Groppen, Forellen und Stichlinge, an ihren Ufern leben unter anderem Gebirgsstelzen und Blauflügelige Prachtlibellen. Sogar der Eisvogel – ein Indikator für gute Wasserqualität – brütet hier.

    Das ausgetrocknete Flussbett des Rheins.

    Die mehr als 170-jährige Leidensgeschichte der Emscher ist also zu einem glücklichen Ende gekommen – doch kostete es viel Zeit und sehr viel Geld, das tote Gewässer zu retten. Rund 5,5 Milliarden Euro wurden – unter anderem von der Europäischen Investitionsbank (EIB) – investiert und dreißig Jahre gingen ins Land, bis der dreckigste Fluss Deutschlands sich wieder erholte. So ist der Emscher-Umbau Hoffnungsschimmer und Lehrstück zugleich: Er zeigt, dass mit großen Mühen Fehler der Vergangenheit repariert werden können – und warnt davor, sie wieder zu begehen.

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