Größtes Seegrasgebiet der Welt: Haie helfen Forschern bei der Vermessung
Durch die Zusammenarbeit mit Tigerhaien ist es gelungen, ein gigantisches Seegras-Ökosystem auf den Bahamas zu vermessen. Das Projekt zeigt, wie große Meerestiere der Forschung dabei helfen können, auch entlegene Winkel des Ozeans zu erkunden.
Ein aktuelles Projekt zeigt: Tigerhaie können bei der Kartierung des Ozeans helfen.
Der wichtigen Rolle von Seegraswiesen ist in den vergangenen Jahren immer mehr Aufmerksamkeit zugekommen. Inzwischen weiß man, dass diese marinen Ökosysteme, ebenso wie Kelpwälder, bis zu zwanzigmal so viel organischen Kohlenstoff speichern wie Wälder an Land. Damit leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag gegen den Klimawandel, während sie gleichzeitig unzähligen Meeresbewohner einen Lebensraum bieten und die Folgen von Stürmen in den Küstengebieten abschwächen. Seegras-Ökosysteme sind somit unbedingt schützenswert, doch um sie bewahren zu können, muss man erst einmal wissen, wo sie sich befinden.
Das Problem: Seegraswiesen lassen sich per Satellit nur schwer kartieren, weil sie häufig von Ablagerungen bedeckt sind, die ein ähnliches Rückstreuungsbild erzeugen wie Sand. Auch der Vermessung der Gebiete durch menschliche Taucher sind Grenzen gesetzt, weil sie oft nicht in die nötigen Tiefen vordringen können.
Wenn der Mensch an seine Grenzen stößt
Im Rahmen eines bisher einmaligen Projekts unter der Leitung der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Beneath The Waves ist es nun einem internationalen Team von Forschenden gelungen, ein gigantisches Seegrasgebiet auf den Bahama Banks zu kartieren. Mit tierischer Unterstützung – denn die nötigen Daten lieferten mit Videokameras ausgestattete Tigerhaie. Das Ergebnis: Die Fläche des untersuchten Gebiets ist um rund 41 Prozent größer, als Schätzungen basierend auf Satellitenaufnahmen zuvor angenommen hatten. Damit ist es das bislang größte Seegrasgebiet der Welt. Die begleitende Studie zu dem Projekt ist in der Zeitschrift Nature Communications erschienen.
„Wir vermuteten, dass es auf den Bahamas ein ausgedehntes Seegras-Ökosystem gibt, aber die tatsächliche räumliche Ausdehnung wurde nie vollständig quantifiziert“, sagt Carlos Duarte, Autor der Studie und Meeresökologe an der King Abdullah University in Thuwal, Saudi-Arabien. „Die Vermessung dieses riesigen Gebiets stellte uns vor eine große Herausforderung.“
„Wir vermuteten, dass es auf den Bahamas ein ausgedehntes Seegras-Ökosystem gibt, aber die tatsächliche räumliche Ausdehnung wurde nie vollständig quantifiziert“, sagt Carlos Duarte, Autor der Studie und Meeresökologe an der King Abdullah University in Thuwal, Saudi-Arabien. „Die Vermessung dieses riesigen Gebiets stellte uns vor eine große Herausforderung.“
Tigerhaie waren die Lösung. Als Spitzenprädatoren halten sie die Populationen von Meeresschildkröten, Seekühen und anderen pflanzenfressenden Bewohnern der Seegraswiesen in Schach und verhindern so Überweidung. „Die Haiforschung unter der Leitung von Beneath The Waves hat gezeigt, dass Tigerhaie etwa 72 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, Seegraswiesen zu patrouillieren“, erklärt Duarte. Pro Tag legt ein Tigerhai dabei im Schnitt eine Strecke von 70 Kilometern zurück und erreicht, anders als menschliche Taucher, auch die größten Tiefen.
Mit Seegras gegen den Klimawandel
Mehrere Tigerhaie, die auf den Bahamas seit vielen Jahren unter Schutz stehen, wurden im Rahmen des Projekts mit 360-Grad-Kameras ausgestattet und ermöglichten den Forschenden so Einblicke in Unterwasserregionen, die bisher unerreichbar waren. Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse ergänzten vorliegende Satellitendaten und die Ergebnisse von umfangreichen Bodenuntersuchungen von 2.400 am Projekt teilnehmenden Tauchern. Am Ende der Fernerkundungsanalyse stand fest: Statt wie bisher angenommen 66.000 Quadratkilometer umfasst das Seegrasgebiet auf den Bahamas eine Fläche von 92.000 Quadratkilometern.
Anhand von Sedimentkernen aus den Seegraswiesen der Bahamas ermittelte das Forschungsteam, dass diese bis zu 25 Prozent des weltweiten Bestands an sogenanntem blauen Kohlenstoff binden. „Dank der Haie wissen wir jetzt, dass das Seegras-Ökosystem auf den Bahamas wahrscheinlich die bedeutendste blaue Kohlenstoffsenke der Erde ist“, sagt der Meeresbiologe Austin Gallagher, CEO von Beneath the Waves und Hauptautor der Studie. „Wenn sie ausreichend geschützt werden, können diese Seegräser eine entscheidende Rolle bei der Verlangsamung des Klimawandels spielen.“
Ein Modell mit großem Potenzial
Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Tigerhaien könnte Vorbild für zukünftige Forschungsprojekte sein, bei denen große Meerestiere in die Erkundung der Weltmeere eingebunden werden. Nicholas Payne, Meeresbiologe an der Trinity School of Natural Sciences in Dublin und Teil des Teams, das die Haie mit Kameras ausgerüstet hat, hat bereits ein potenzielles Einsatzgebiet identifiziert.
„Irland verfügt über ein riesiges Küstengebiet, in dem es höchstwahrscheinlich bedeutende Seegras-Ökosysteme gibt. Wie bisher auf den Bahamas wissen wir jedoch viel zu wenig über ihre Verteilung und Ausdehnung“, sagt er. „Es ist darum extrem wichtig, dass wir unsere Forschungsanstrengungen verstärken, um diese wichtigen Lebensräume zu vermessen. Nur so können wir sie erhalten.“ Möglicherweise gehen also bald auch im Nordatlantik Meeresbewohner mit Kameras auf Entdeckungstour.