Online-Shopping: Mehr Pakete, mehr Probleme

Same-Day-Delivery und kostenlose Rücksendung – von zu Hause einkaufen und sich beliefern lassen ist so leicht wie nie. Doch Bequemlichkeit hat ihren Preis. Die Folgen der Paketflut und warum die S-Bahn eine Lösung sein könnte.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 15. Dez. 2022, 10:06 MEZ
Ein Lieferwagen voller Pakete.

Mit einem Klick bestellt und bequem an die Haustür geliefert: Dank des Internets sind Einkäufe heute in Sekundenschnelle erledigt. Doch die Paketflut ist für Dienstleister, Verkehr und Umwelt eine große Herausforderung.

Foto von Claudio Schwarz / Unsplash

Es sind rosige Zeiten für die Paketbranche: Der Siegeszug des Online-Handels schreitet seit Jahren voran und von dem Boom profitieren auch die, die all die schönen Dinge, die man im Internet kaufen kann, zu den Kunden bringen. So können sich die Kurier-, Express- und Paketdienstleister – kurz KEP – auch in diesem Jahr über Umsatzzuwächse in zweistelliger Milliardenhöhe freuen. Laut der Unternehmensberatung McKinsey & Company wurden im Jahr 2022 jedem Deutschen im Schnitt 40 Pakete zugestellt – vier Jahre zuvor waren es noch 24. Bei mehr als 83 Millionen Bundesbürgern ist das eine Menge Karton.

18 Prozent aller Einkäufe im Non-Food Bereich – also Kleidung, Elektronik oder Einrichtung – werden heute laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) online getätigt. Auch der tägliche Lebensmitteleinkauf findet immer öfter im Netz statt: Zwischen 2019 und 2020 ist dieser Bereich um sagenhafte 60 Prozent gewachsen.

Doch die bequeme Warenlieferung nach Hause hat ihre Schattenseiten. Nicht nur die Umwelt wird dadurch belastet, auch die Verkehrsinfrastruktur kommt inzwischen an ihre Grenzen. Da ein Ende der Paketschwemme nicht abzusehen ist, müssen Lösungen gefunden werden, die ihre negativen Folgen abmildern und den Versand nachhaltiger machen. Denn im Internet einkaufen und sich seine Bestellung nach Hause liefern lassen, ist nicht prinzipiell umweltschädlich – es kommt nur stark auf das Wie an.

Letzte Meile: Logistischer Knackpunkt

Auf dem Weg zum Empfänger legen Pakete verschiedene Etappen zurück. Die erste Wegstrecke ist die vom Lager des Anbieters zu einem Verteilerzentrum in der Nähe des Zielortes. Sie wird meist mit großen, dieselbetriebenen Speditionslastwagen zurückgelegt – problematisch im Hinblick auf die Erhöhung des Verkehrsaufkommens und den damit verbundenen CO2-Ausstoß. Noch kritischer ist die „letzte Meile“ – also der Weg im Zustellungsgebiet bis an die Haustür des Kunden –, vor allem wenn diese in der Stadt zurückgelegt wird.

Zustellfahrzeuge parken auf einer Straße in Frankfurt. KEP-Lieferungen erhöhen das Verkehrsaufkommen im urbanen Raum deutlich. Die Situation des ohnehin oft überlasteten Stadtverkehrs wird dadurch zusätzlich angespannt.

Foto von Markus Spiske / Unsplash

Etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung leben in städtischen Ballungsräumen. Ein großer Teil davon wird regelmäßig von KEP-Diensten beliefert. Laut einer Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln sind allein in der Stadt am Rhein jeden Tag rund 10.000 Lieferfahrzeuge im Einsatz. In Wien hatten KEP-Lieferungen im Jahr 2019 einen Anteil von bis zu sechs Prozent am Stadtverkehr.

Doch die Verkehrsflächen im urbanen Umfeld sind begrenzt und durch Individual- und öffentlichen Nahverkehr bereits stark ausgelastet. Kommt nun noch der Lieferverkehr dazu, ist Ärger vorprogrammiert: Zugeparkte Gehwege und Fahrradstreifen gefährden andere Verkehrsteilnehmer, das Halten in zweiter Reihe behindert den Gesamtverkehr, laufende Motoren verursachen Lärm und belasten die Luft mit Schadstoffen. 

Der Bundesverband für Paket und Expresslogistik (BIEK) ist sich dieser Problematik bewusst. „Die Paketdienstleister sind seit jeher offen für die Erprobung und den Einsatz von innovativen Konzepten, die eine nachhaltige und effiziente Paketlogistik fördern“, sagt Marten Bosselmann, Vorsitzender des BIEK. „Es gibt nicht die eine Lösung für alle Herausforderungen auf der letzten Meile.” Die Unternehmen seien deswegen ständig bemüht, die Zustellung mithilfe unterschiedlicher Maßnahmen immer weiter zu optimieren. Im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstudie hat der Verband darum prüfen lassen, mit welchen Ansätzen die letzte Meile in Zukunft noch effizienter und umweltfreundlicher zurückgelegt werden kann.

BELIEBT

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    “Die Paketdienstleister sind seit jeher offen für die Erprobung und den Einsatz von innovativen Konzepten, die eine nachhaltige und effiziente Paketlogistik fördern.”

    von Marten Bosselmann
    Vorsitzender des BIEK

    Paketversand der Zukunft

    Bei der Reduzierung des Verkehrsaufkommens und der CO2-Emissionen sieht diese vor allem  bei sogenannten Mikro-Depots Potenzial. „Der Mikro-Depot-Ansatz ist so konzipiert, dass die Pakete vor der Zustellung in einem direkt im Zustellgebiet befindlichen Zwischenlager deponiert werden, sodass sie mit Lastenfahrrädern in einem kleineren Umkreis um das Mikro-Depot ausgeliefert werden können”, heißt es in der Studie. Die kleinen lokalen Verteilerzentren sind somit vergleichbar mit Abholstationen oder Paketshops, in die Kunden ihre Bestellung liefern lassen können – mit dem komfortablen Unterschied, dass sie sie nicht selbst abholen müssen. 

    Besonders große oder schwere Pakete müssten zwar weiterhin wie gewohnt mit dem Transporter geliefert werden, doch die Zahl dieser Touren würde erheblich sinken. Der Einsatz von Lastenfahrrädern ist vorteilhaft, weil diese Einbahnstraßen und enge Zufahrtswege anders als Lieferwagen nicht umfahren müssen und auch Hinterhöfe oder verkehrsberuhigte Bereiche leicht erreichen können.

    Auch autonome Zustellformen hat die Studie untersucht, doch diese Konzepte sind bislang nur Zukunftsmusik. Autonome Zustellfahrzeuge, die sich selbst einparken, während die Sendung zugestellt wird, sind derzeit nicht verkehrsreif. Pilotversuche mit Zustellrobotern haben gezeigt, dass diese den Menschen noch nicht ersetzen können. Auch Luftlieferungen per Drohne, die gerade in dünn besiedelten, strukturschwachen Regionen eine umweltfreundliche Alternative zum Transport über die Straße darstellen könnten, befinden sich in der Testphase. Bisher sind aber wichtige Fragen hinsichtlich der Luftsicherheit noch nicht geklärt und bei Kosten und Effizienz schneiden Drohnen eher schlecht ab.

    Statt in die Luft zu gehen, hat man in der Schweiz mit dem Projekt Cargo Sous Terrain eine unterirdische Lösung gefunden: Sendungen sollen hier zukünftig auf elektrisch betriebenen Wagen über ein Schienennetz unter der Erde an ihr Ziel gelangen. Eine erste Teilstrecke befindet sich im Bau und soll im Jahr 2031 den Betrieb aufnehmen. Die Idee beruht auf einem Projekt namens CargoCap, das um die Jahrtausendwende von der Universität Bochum erarbeitet wurde. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie testete die daraus hervorgegangene CargoCap GmbH im Jahr 2019 die Umsetzung des Konzepts im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach. Laut dem im Jahr 2021 erschienenen Abschlussbericht ist der Nutzen, der sich aus der Entlastung des Straßenverkehrs durch CargoCap für die Umwelt ergibt, nicht von der Hand zu weisen. Wirtschaftlich sei das Projekt aber nur in größerem Umfang und mit staatlicher Förderung. Dass auch in Deutschland Pakete irgendwann unterirdisch transportiert werden, ist derzeit also unwahrscheinlich.

    Ab dem Jahr 2031 sollen in der Schweiz erste Pakete über das unterirdische Schienennetz Cargo Sous Terrain ihren Empfänger erreichen. Dass ein solches Konzept auch in Deutschland umgesetzt wird, ist unwahrscheinlich.

    Foto von Cargo Sous Terrain

    Öffentlicher Nahverkehr statt Lieferwagen

    Das Graben von Tunneln und die Anschaffung einer komplett neuen Flotte futuristischer Zustellfahrzeuge ist jedoch gar nicht nötig, wenn man nutzt, was bereits vorhanden ist. Der BIEK hat darum in einer weiteren Studie untersucht, wie und ob sich KEP-Lieferungen mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verknüpfen lassen. Da der Nahverkehr ohnehin fährt, würden Pakete, die in Regional- und S-Bahnen die letzte Meile zurücklegen, weder Umwelt noch Verkehr zusätzlich belasten. Kunden könnten das Abholen ihrer Sendungen an der nächstgelegenen Bahnstation bequem mit Wegen durch ihre Stadt verbinden, die sie ohnehin unternehmen.

    „Wir konnten feststellen, dass alle befragten Expertinnen und Experten aus den KEP- und ÖPNV-Unternehmen grundsätzlich offen dafür sind, den Pakettransport im ÖPNV im Mischbetrieb zu erproben”, sagt Studienautor Ralf Bogdanski, Professor für Nachhaltige Stadtlogistik an der TH Nürnberg. „Wenn die notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sind, könnten nicht nur konventionelle Fahrzeuge eingespart, sondern auch die nachhaltige Zustellung mit Lastenfahrrädern – in diesem Fall von den Bahnhöfen und Haltestellen aus – eine noch breitere Anwendung finden.”

    Doch ganz so einfach ist es nicht. Abgesehen davon, dass auch für die Hochzeit von KEP und ÖPNV erst eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden müsste, stellen sich weitere Fragen: Wer lädt und entlädt die Züge mit den standardisierten Wechselbehältern, in denen die Pakete verstaut werden? Wie werden einzelne Pakete für die Abholung zur Verfügung gestellt? Außerdem müsste sich der Warentransport der Personenbeförderung unterordnen, sodass es zu Verspätungen oder Nichtmitnahmen kommen kann, wenn ein Zug ausgelastet ist. Längere Lieferzeiten wären die Folge.

    In Zustellung: Wenn der Bote zweimal klingelt

    Eine weitere Stellschraube, an der die Branche dreht, um den Paketversand mit vorhandenen Mitteln zu optimieren, ist die Erstzustellquote. Laut dem Bundesministerium für Umwelt erreichen rund ein Viertel aller Sendungen den Empfänger nicht beim ersten Zustellversuch. KEP-Unternehmen versuchen die Zahl fehlgeschlagener Lieferungen durch Live-Tracking, die Wahl alternativer Ablageorte und Lieferungen in Paketshops oder Abholstationen zu reduzieren. Parallel arbeiten sie daran, das Zeitfenster für die Zustellung immer stärker einzugrenzen.

    Im Schnitt entstehen bei jeder Paketlieferung 600 Gramm CO2. Wenn eine Sendung nicht beim ersten Versuch zugestellt werden kann, wird eine weitere Fahrt nötig: Entweder kommt der Paketdienst ein zweites Mal oder der Kunde muss seine Bestellung in einem Paketshop abholen. Nutzt er für diesen Weg das Auto, verschlechtert das die Ökobilanz.

    Rücksendungen, sogenannte Retouren, sind ebenso problematisch. Laut einer Studie der Universität Bamberg wurde in Deutschland im Jahr 2021 jedes vierte im Onlinehandel bestellte Paket zurückgeschickt, bei Bekleidungseinkäufen sogar jedes zweite. Bei den dadurch notwendigen Transporten wurde so viel CO2 ausgestoßen wie bei 255 Autofahrten zwischen Frankfurt und Peking. 

    Nachhaltiges Online-Shopping – geht das?

    Ist der Paketversand also prinzipiell klimaschädlich? Nicht unbedingt, denn unter gewissen Umständen schneidet die Belieferung mit Waren per KEP-Dienst gegenüber dem Stadtbummel sogar besser ab. Paketdienste beliefern innerhalb einer Region eine große Zahl von Haushalten und mit jedem zusätzlichen Stopp verbessert sich die Ökobilanz im Vergleich zur Privatfahrt ein wenig mehr. 

    Ob dieser positive Effekt zum Tragen kommt, hängt jedoch mit einer Reihe von Faktoren zusammen, die jeder Kunde selbst beeinflussen kann. Wenn zum Beispiel der Weg zum Geschäft zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurückgelegt werden kann, ist es immer besser, dort einzukaufen, statt online zu bestellen. Ist der Einkauf im Internet unvermeidbar, weil der stationäre Einzelhandel nicht das anbietet, wonach man sucht, sollte man möglichst Sammelbestellungen aufgeben: Je mehr Artikel sich in einem Paket befinden, desto kleiner ist der CO2-Fußabdruck jedes einzelnen Teils – auch hinsichtlich des anfallenden Verpackungsmülls.

    Die Verbraucherzentrale rät zudem dazu, die Option Expressversand nur im äußersten Notfall zu wählen, weil bei dieser Zustellungsform die Lieferwege oft ineffizient sind, was den CO2-Ausstoß deutlich erhöht. Außerdem sollte man Bestellungen so platzieren, dass man zum Liefertermin zu Hause sein und der Bote die Sendung beim ersten Versuch zustellen kann.

    Durch das Befolgen dieser Ratschläge kann jeder Kunde bereits viel dafür tun, die Belastungen für Umwelt und Verkehr durch den Paketversand zu reduzieren. Weil aber die meisten Emissionen im Lebenszyklus eines Produkts bei seiner Herstellung entstehen, ist es vor allem wichtig, gezielt und nur Dinge zu kaufen, die man wirklich braucht. Indem man insgesamt weniger und bewusster konsumiert – egal ob online oder im stationären Einzelhandel –, leistet man also den größten Beitrag für den Schutz der Umwelt und die Entlastung unserer Straßen. Wenn nun auch noch die zukunftsweisenden Ideen der KEP-Unternehmen zur Umsetzung kommen, ist ein wirklich nachhaltiger Paketversand vielleicht eines Tages möglich.

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