Lützerath: „Viele Tiere liegen ahnungslos im Winterschlaf”

Welche Schäden der Braunkohletagebau in Garzweiler für Tier- und Umwelt vor Ort konkret mit sich bringt – ein Gespräch mit Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westfalen.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 13. Jan. 2023, 08:33 MEZ
Bagger vergrößern eine Braunkohlegrube.

Das Abbaugebiet Garzweiler II soll sich vergrößern – das Dorf Lützerath muss dafür weichen.

Foto von ArtVader / AdobeStock

Wer die Ausmaße des Braunkohletagebaus Garzweiler begreifen will, muss wohl selbst einmal Fuß an seine Abgründe gesetzt haben: Eine mehrere tausend Hektar große, karge Baugrube – soweit das Auge reicht. 

Zahlreiche Dörfer bleiben durch den Kohleabbau nur als Erinnerungen zurück. Das kleine Örtchen Lützerath galt lange als Hoffnungsanker, nun wird es den Plänen der Regierung und des Energiekonzerns RWE doch weichen müssen. 

Das Verbrennen der hier gelagerten Kohlevorkommen wird unweigerlich langfristige Folgen für das Weltklima haben. Wie aber schadet der Braunkohletagebau der direkten Umgebung und der heimischen Tierwelt? 

Verheizter Lebensraum

Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westfalens, beschäftigt sich vor Ort seit etwa 30 Jahren mit exakt diesen Themen rund um das Rheinische Revier. „Braunkohletagebau und alle damit bedingten Kollateralschäden stellen den größtmöglichen Eingriff in Natur, Landschaft, Wasserhaushalt und die gesamten Lebensgrundlagen dar“, sagt er. Doch Tagebau ist nicht gleich Tagebau – die Probleme seien sehr individuell zu beurteilen.

“In Lützerath wird ein Anlaufpunkt für die Klimabewegungen beseitigt. Da wird keine Rücksicht auf geschützte Tiere genommen.”

von Dirk Jansen
Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westfalens

Beispiel Hambacher Forst: Mit seiner jahrtausendealten Biodiversität galt er nicht ohne Grund als wichtige Lebensgrundlage vieler geschützter Tierarten – etwa als der europaweit größte Lebensraum der Bechsteinfledermaus. „Das hat schließlich dazu geführt, dass wir einen Rodungsstopp gerichtlich erzwingen und 650 Hektar Hambacher Wald retten konnten“, so Jansen. 

Die Situation in Garzweiler, die auch Lützerath bedroht, ist anders. Dort gibt es überwiegend intensiv genutzte Agrarflächen mit einem gänzlich anderen Arteninventar. „Doch trotz der intensiven Agrarnutzung ist die Gegend artenreich: Hier leben viele Vogelarten wie die Lerche, Grauammer, Steinschmätzer oder Braunkehlchen”, sagt Jansen. Bei seinem letzten Besuch vor Ort habe er bereits Vogelarten beim Nestbau beobachten können – während eines viel zu warmen Januars. „Das zeigt den ganzen Irrsinn um die Braunkohle als klimaschädlichsten aller Energieträger auf.“

Welche Tierarten sich derzeit noch in der Umgebung um Lützerath oder in den verlassenen Häusern befinden, wisse niemand so genau. „Sicher ist: Viele Tiere liegen ahnungslos im Winterschlaf”, sagt Jansen. „Aber selbst, wenn es sich dabei um geschützte Arten wie Fledermäuse handelt: In Lützerath wird ein Anlaufpunkt für die Klimabewegungen beseitigt. Da wird keine Rücksicht auf geschützte Tiere genommen.”

Viele Arten sind längst verschwunden – Umsiedlungsversuche gescheitert

Geschützte und bedrohte Arten wie der Feldhamster sind längst nicht mehr anzutreffen rund um Garzweiler. Das letzte große Vorkommen der Region war beim Bau des Kraftwerks vor rund 20 Jahren umgekommen. Eine Rückkehr für die kleinen Tiere dürfte schwer werden: Mit der Kohle wird auch das wertvolle Lösssediment abgetragen – des Hamsters liebster Wohnort unter Tage. „Rekultivierte Bereiche haben längst nicht diese schönen, mächtigen Lössvorkommen“, so Jansen. 

Auch Versuche seitens RWE, die eine Umsiedlung geschützter Tierarten in ausweichende Lebensräume anstreben, sind laut Monitoring wenig erfolgreich, sagt Jansen. Neue Waldgebiete werden etwa auf der Sophienhöhe, der rund 200 Meter hohen ehemaligen Außenkippe des Hambacher Tagebaus, geschaffen. Angenommen wird dieser neue Lebensraum, beispielsweise von den Bechsteinfledermäusen, kaum. 

„Ein Primärwald mit einem hohen Totholzanteil ist offenbar als Lebensraum für diese Fledermausarten immer noch von herausragender Bedeutung und kann so kurzfristig nicht ersetzt werden“, so Jansen. Wegfallender Lebensraum ist laut ihm also ein gravierender Eingriff, der Populationen direkt gefährdet. Es helfe nicht, „wenn in zwei-, drei- oder vierhundert Jahren geeignete Strukturen da sind.“

Kein Plan B: Renaturierung wird kritisch beäugt

Ähnliches gilt für die jahrtausendealten Bodenkulturen. Wenn sie einmal durch die größten Landfahrzeuge der Welt weggebaggert wurden, könne man sie so leicht nicht ersetzen. Dort, wo die rund 13.000 Tonnen schweren Bagger ihre Kreise ziehen, hinterlassen sie nachhaltige Verwüstung. 

Während ein Großteil der ehemaligen Gruben der Großtagebauten nach ihrer Schließung durch das Aufschütten von Abraum und Erde wieder renaturiert wurden, werden ähnliche Pläne für Garzweiler II kritisch betrachtet. Die Böden dort haben laut Dirk Jansen eine 12.000-jährige Entwicklungsgeschichte hinter sich. „Egal wie gut eine zukünftige Rekultivierung auch sein mag – sie kann den Verlust der Naturgüter niemals ersetzen.”

Indescher Ozean: Eine Seenplatte soll entstehen

Die Pläne, die bis zu 190 Meter tiefe Grube Garzweiler II mit Wasser zu fluten, klingen angesichts der Zukunftsaussichten des deutschen Wasserhaushalts ambitioniert. Abgeleitet werden soll das Wasser aus dem Rhein, welcher während des Dürresommers 2022 bereits unter historisch niedrigen Wasserständen litt. „B​​ei Niedrigwasser dann noch Wasser zu entnehmen ist schlecht für das Ökosystem Rhein“, so Jansen. 

Auch für den Tagebau Inden im Kreis Düren ist ein solcher See in Planung: Der sogenannte Indesche Ozean. Ähnliche Pläne für den Tagebau Hambach würden in ihrem Umfang an Wassermengen lediglich vom Starnberger- und vom Bodensee übertroffen werden. Seriöse Prognosen darüber, inwiefern dies funktioniert und welche ökologischen Folgen damit einhergehen, sind laut Jansen nicht möglich. Sicher sei jedoch, dass die restliche Befüllung der künstlichen Seenplatte deutlich länger als die geplanten 40 Jahre dauern wird. „Wir gehen schon jetzt von einer Zeitspanne bis 2080, 2090, 2100 aus. Ich fürchte, die meisten von uns werden das nicht mehr erleben.“

Trotzdem bleibt Jansen hoffnungsvoll: „Wir lassen uns natürlich nicht frustrieren, weil wir ja auch Erfolge zu verzeichnen haben”, sagt er. „Wenn wir und die Klimabewegung nicht wären, dann sähe das alles noch viel schlimmer aus.” So arbeitet der BUND derzeit gemeinsam mit dem Nabu und der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt an einem Grundlagenkonzept für das künftige Biotopverbundsystem Rheinisches Revier. Ein Versuch, der laut Jansen ein hartes Ringen um jeden Quadratmeter Landfläche mit sich bringt. 

Doch zweifellos sei es nun Zeit, die Nachbergbauzeit zu nutzen, um der jahrzehntelang missachteten Natur wieder mehr Raum zu geben – und die Lebensgrundlagen der Menschen und Tiere vor Ort zu wahren.

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