Comeback der Atomkraft: Die neue Ära der Kernenergie

Der Hunger auf Strom wird immer größer. Viele Länder wollen ihn mit Kernenergie stillen – auch um ihre Klimaziele zu erreichen.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 17. März 2025, 09:14 MEZ
Das Isartal bei Niederaichbach in Bayern mit Blick auf das ehemalige AKW Isar 2

Das Isartal bei Niederaichbach in Bayern mit Blick auf das ehemalige AKW Isar 2 

Foto von ARochau/stock.adobe.com

Ein Mini-Atomkraftwerk für Google. Ende letzten Jahres hat der Tech-Riese dazu einen Vertrag mit einem amerikanischen Nuklearunternehmen vereinbart. Der Small Modular Reactor (SMR) soll 2030 in Betrieb gehen. Weitere Anlagen sollen bis 2035 folgen. Andere Internetkonzerne wie Amazon oder Microsoft unternehmen ähnliche Anstrengungen. Ihre Rechenzentren verschlingen Unmengen an Energie. 

Ob künstliche Intelligenz, Cloud-Dienste, Industrieproduktion, E-Autos oder Klimaanalgen: Der Stromhunger der Welt ist gigantisch – und er wächst weiter. Die globale Wirtschaft wird elektrifiziert, auch der Energiebedarf in Schwellenländern steigt.

Erneuerbare Energien sind weltweit auf dem Vormarsch. Zugleich erlebt die Atomkraft einen neuen Boom. Viele Länder und Unternehmen haben sich der Klimaneutralität verpflichtet. Und nicht wenige sind der Meinung, dass sie ihre Klimaziele mit den Erneuerbaren allein nicht erreichen werden.

Ein Dach belegt mit den Solardachpfannen.

Weltweit wachsendes Interesse an Kernenergie 

Einer neuen Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge wollen weltweit mehr als 40 Länder in die Kernkraft einsteigen oder bestehende Kapazitäten ausbauen. Executive Director Fatih Birol spricht von einem „Comeback“ der Kernenergie. Das Interesse sei heute so groß wie seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren nicht mehr.

Birol gibt sich überzeugt: „Neben erneuerbaren Technologien wie Solar- und Windenergie, deren Stromerzeugung rasch zunimmt, kann die Kernenergie eine wichtige Rolle bei der sicheren und nachhaltigen Deckung des wachsenden Strombedarfs spielen.“

BELIEBT

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    Rückkehr der Atomkraft in Deutschland?

    In Deutschland war der Atomausstieg eigentlich längst besiegelt. Nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima 2011 hatte die damalige Bundesregierung entschieden, keinen Atomstrom mehr zu produzieren. Die letzten drei Reaktorblöcke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 wurden 2023 abgeschaltet.

    Doch zumindest in Teilen der Gesellschaft ist die Diskussion wieder aufgeflammt: Sollten wir zur Kernkraft zurückkehren – auch um das Klima zu schützen? Die Union hatte noch in ihrem Wahlprogramm angekündigt, an der „Option Kernenergie“ festhalten zu wollen. 

    Energiemanager wie der RWE-Chef Markus Krebber widersprechen. Das Wiederhochfahren der alten Meiler verschlinge Milliarden Euro, brauche langwierige Genehmigungen und berge wirtschaftliche Risiken. Auch neue Meiler sieht er kritisch. „Ein Neubau dauert bis zu zehn Jahre oder mehr.“ Und ob neue Technologien wie Small Modular Reactors sich jemals rechneten, sei offen. Krebbers Fazit: Atomkraft helfe nicht bei aktuellen Energieengpässen. 

    Auch das Umweltbundesamt spricht sich gegen eine Rückkehr zur Atomkraft aus: „Kernenergie ist zu teuer, unnötig für den ⁠Klimaschutz⁠ und schadet Mensch und Umwelt.“ Die Gefahren seien vielfältig: Angefangen beim Uranabbau über den Betrieb bis zur ungelösten Frage der Endlagerung. Außerdem bestehe das Risiko, dass nukleare Abfallprodukte in Atomwaffen zum Einsatz kämen.

    Eine Analyse im Auftrag der Behörde habe ergeben: Kernenergie sei nicht notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Entscheidend sei vielmehr „der schnelle und zielgerichtete Ausbau der erneuerbaren Energien“.

    “Kernenergie kann eine wichtige Rolle bei der Deckung des wachsenden Strombedarfs spielen.”

    IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol

    Atom-Boom in China 

    In weiteren Teilen der Welt sieht man das offenbar anders. Schon 2025 werde die Atomkraft „mehr Strom erzeugen als je zuvor“, prognostiziert IEA-Direktor Birol. Mit Abstand größter Atomstromproduzent sind die USA. Aktuell laufen dort 94 Werke, gefolgt von China (57) und Frankreich (ebenfalls 57). 

    Weltweit sind derzeit 417 Atomreaktoren in Betrieb. Sie erzeugen knapp zehn Prozent der gesamten Stromproduktion. Laut IEA ist die Kernenergie nach der Wasserkraft die zweitgrößte Quelle für emissionsarmen Strom. Aktuell befinden sich 62 neue Reaktoren im Bau – die meisten davon in Asien. Allein China plant die Inbetriebnahme von mehr als 40 Atomreaktoren innerhalb der nächsten 15 Jahre. 

    Indien, Japan und Südkorea wollen den Anteil der Atomkraft am Strommix ebenfalls erhöhen. Andere asiatische Länder wie Bangladesch oder die Vereinigten Arabischen Emirate steigen aktuell in die Kernenergie ein. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) hat die globale Entwicklung in einem Dossier zusammengefasst. 

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    Kernenergie in Europa

    Auch in Europa sollen neue Meiler entstehen. Zwölf von 27 EU-Mitgliedsstaaten betreiben derzeit Kernkraftwerke. Größter Erzeuger ist Frankreich. Mehr als die Hälfte der EU-weiten Kernenergie stammt von unserem westlichen Nachbarn, der selbst etwa 65 Prozent seines Strombedarfs mit Atomkraft deckt. Auch Deutschland importiert bisweilen Atomstrom aus Frankreich. 

    Trotz Kostenexplosion und enormer Zeitverzögerung beim jüngsten Bau des Kernkraftwerks Flamanville: Kernenergie soll auch künftig eine wichtige Rolle bei den französischen Klimaschutzplänen spielen: Der Energieplan des Landes sieht neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch eine Verlängerung der Laufzeiten und den Neubau mehrerer Reaktoren vor.

    Andere europäische Länder verfolgen ähnliche Strategien – selbst solche, die bereits den Atomausstieg beschlossen hatten. In Italien etwa wurden nach Tschernobyl alle Reaktoren abgeschaltet. Jetzt plant man die Kehrtwende. Das Land soll zügig klimaneutral werden. Schweden hatte den Ausstieg ebenfalls im Visier. Nun will die Regierung die Kernkraft ausbauen – die Stromproduktion soll frei von fossiler Energie sein. 

    Gleiches gilt für die Niederlande, Tschechien, Finnland oder Großbritannien. Auch das bislang atomfreie Polen will auf Kernenergie als Ersatz für Kohle setzen. Den Ausstieg geplant haben Belgien, Spanien und die Schweiz.

    Große Pläne in den USA 

    Auf dem afrikanischen Kontinent stehen bislang nur zwei Atomkraftwerke in Südafrika, und zwar in Südafrika. Es existieren aber konkrete Pläne in Ägypten, Ghana und einigen anderen Ländern. Überhaupt kein Atomkraftwerk existiert in Australien. Traditionell gibt es dort eine starke Anti-Atombewegung. Doch selbst in Down Under wird plötzlich über einen möglichen Atomeinstieg diskutiert.

    Und was macht der weltgrößte Atomstromproduzent? Schon US-Präsident Joe Biden wollte seinerzeit die Kernerenergie als Beitrag zum Klimaschutz hochfahren. Jetzt legt der aktuelle Amtsinhaber noch einen Gang zu. Geht es nach Donald Trump, sollen vor allem Mini-Atomkraftwerke, die Small Modular Reactors, einen wahren Boom erleben. Insgesamt will Trump die eigenen Kapazitäten bis 2050 verdreifachen.

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