Von der Kohlestadt zur Klimastadt: Wie Bottrop zum Vorbild der Energiewende wurde

Während vielerorts über Wärmepumpen und Windanlagen gestritten wird, läuft die Energiewende in Bottrop auf Hochtouren. In nur zehn Jahren hat die Großstadt im Ruhrgebiet ihren CO2-Ausstoß halbiert. Und das soll erst der Anfang sein.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 24. Juni 2024, 12:33 MESZ
Luftbild: Siedlung mit Solardächern in Bottrop

Bottrop hat die höchste Photovoltaik-Dichte aller Großstädte im Ruhrgebiet.

Foto von ICM

Wer an das Ruhrgebiet denkt, hat womöglich immer noch Bilder von Kohle, Stahl und rauchenden Schornsteinen im Kopf. Tatsächlich prägte Bergbau die Region mehr als 150 Jahre lang. Dank der Steinkohle entstand das größte Industriegebiet im Land. Das „Schwarze Gold“ verhalf Nachkriegsdeutschland zu Wohlstand. Doch längst ist Schicht im Schacht. Im Dezember 2018 schloss mit dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop die letzte deutsche Steinkohlezeche. 

Heute muss das Ruhrgebiet ohne den fossilen Energieträger leben – und zugleich die Energiewende vorantreiben. Strukturwandel nennen Ökonomen diesen oft zähen Anpassungsprozess. Ausgerechnet Bottrop spielt dabei eine Vorreiterrolle. In nur zehn Jahren hat sich die einstige Kohlehochburg zum Klimavorbild entwickelt.

Während anderswo über Wärmepumpen und Windanlagen heftig diskutiert wird, ist die Energiewende in Bottrop längst in vollem Gang. Auch international gilt die Stadt als Vorbild für Klimaschutz und ökologische Transformation. Wie konnte das gelingen?

Bottrop: Energiewende von unten

Der Startschuss fiel 2010. Das Wirtschaftsbündnis Initiativkreis Ruhr hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben, um den Strukturwandel im Revier voranzutreiben. Alle Städte im Ruhrgebiet konnten daran teilnehmen. Das Ziel: Eine „Klimastadt“ als leuchtendes Beispiel für die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie. Bottrop machte das Rennen. Auch weil man die Bürgerinnen und Bürger für das Projekt gewinnen konnte.

„Klimaschutz kann nur dann gelingen, wenn er von unten organisiert wird“, sagt Burkhard Drescher, Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH, die mit der Projektumsetzung betreut wurde. Klimaschutz von unten? Für Drescher, ehemals Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt Oberhausen, heißt das: die Bevölkerung mitzunehmen, statt sie zu überfordern. 

Deshalb lautete die Devise: Anreize schaffen durch umfassende Beratung. Rund 12.000 Bottroper besuchten die kostenlosen Infoabende und Workshops. Energieberater gingen von Haus zu Haus, um die Menschen über effizientes Heizen, energetische Sanierung und selbst erzeugten Solarstrom zu informieren.

„Klimaschutz hat nichts mit Verzicht zu tun“, so Drescher. Im Gegenteil: Klimaschutz wirke sich positiv auf den eigenen Geldbeutel und die Lebensqualität aus. Zum Beispiel, weil selbst erzeugter Solarstrom auf lange Sicht günstiger sei. Weil neue Fenster nicht nur Energie sparten, sondern auch den Lärm reduzierten. Oder weil mehr Grün im Quartier nicht nur gut fürs Klima sei, sondern auch fürs eigene Wohlbefinden.

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    Grünes Wunder im Ruhrgebiet

    Die Energiewende von unten stieß in Bottrop auf reges Interesse. Innerhalb von zehn Jahren wurden fast 250 Klima- und Umweltprojekte umgesetzt: vom kleinen Bienenhotel bis zum riesigen Klärwerk, das zum Kraftwerk ausgebaut wurde. Auch jedes vierte Wohngebäude ist in dieser Zeit energetisch saniert worden.

    Viele Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen ihre alten Heizungen ersetzt, ihr Haus an das Fernwärmenetz angeschlossen und die Dächer begrünt. Neue „Zukunftshäuser“ erzeugen mehr Energie, als sie verbrauchen. Dafür gibt es Zuschüsse von der Stadt.

    Heute hat Bottrop nicht nur die höchste Photovoltaik-Dichte aller Großstädte im Ruhrgebiet. In nur zehn Jahren ist es der 118.000-Einwohner-Stadt gelungen, ihren Ausstoß an Treibhausgasen um 50 Prozent zu senken. 

    Das Emscherklärwerk in Bottrop (hier die markanten Faultürme) ist inzwischen auch ein Kraftwerk.

    Foto von Pressestelle Stadt Bottrop

    Klimaneutralität bis 2035

    Damit nicht genug. Bis 2035 will Bottrop komplett klimaneutral sein Das bedeutet: Die Stadt setzt dann keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr frei oder gleicht die verbleibenden Emissionen vollständig aus. Ein ehrgeiziges Ziel also. Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler ist überzeugt: Um das zu schaffen, braucht es auch eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.

    Es liegt auf der Hand: Wenn die Emissionen weiter gesenkt werden sollen, müssen Materialien so lange wie möglich genutzt, aufgearbeitet und wiederverwendet werden. Für die meisten Kommunen in Deutschland sei das „noch absolutes Neuland“, so Tischler. 

    Für Bottrop soll die Kreislaufwirtschaft als „neues Leitprojekt“ künftig eine tragende Rolle auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt spielen. Mit einer Pilotanlage zum Phosphor-Recycling aus Klärschlamm habe man bereits „einen wichtigen Baustein“ gesetzt. Auch hier will Bottrop zu den Vorreitern gehören.

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