Als Atomwaffen den Lauf der Geschichte änderten

Zahlreiche Wissenschaftler bereuten später ihren Beitrag an den atomaren Massenvernichtungswaffen. Zusammen mit der Öffentlichkeit kämpften sie für ein Verbot von Atomwaffen.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 30. Juli 2020, 15:58 MESZ
In den 75 Jahren seit dem ersten erfolgreichen Test einer Plutoniumbombe haben Atomwaffen die Kriegsführung verändert. ...

In den 75 Jahren seit dem ersten erfolgreichen Test einer Plutoniumbombe haben Atomwaffen die Kriegsführung verändert. Hier beobachten Truppen der 11. Luftlandedivision am 1. November 1951 aus nächster Nähe eine Atomexplosion in der Wüste von Las Vegas.

Foto von Bettmann, Getty

Um 5:30 Uhr am 16. Juli 1945 strahlte ein Licht über New Mexico, das heller als die Sonne brannte. Der Feuerball vernichtete alles in seiner Umgebung und ließ einen Wolkenpilz wachsen, der mehr als zwölf Kilometer hoch in die Atmosphäre aufstieg.

Im Anschluss lachten die Wissenschaftler, die die Explosion ermöglicht hatten, schüttelten Hände und reichten zur Feier des Tages Drinks herum. Doch dann begannen sie, über das tödliche Potenzial dieser Waffe zu sinnieren, die sie geschaffen hatten. Sie hatten gerade die erste Atomexplosion der Welt ausgelöst.

Der Test mit dem Codenamen „Trinity“ war ein wissenschaftlicher Triumph: Er bewies, dass sich die Forscher die Kraft der Plutoniumspaltung zunutze machen konnten. Er läutete das Atomzeitalter ein und veränderte sowohl die Kriegsführung als auch die geopolitischen Beziehungen für immer. Weniger als einen Monat später warfen die USA zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ab. Sie zeigten auf tragische Weise, dass es nun möglich war, in Sekundenschnelle große Landstriche und massenweise Menschenleben zu vernichten.

Im August 1945 beschlossen die Vereinigten Staaten, ihre neu entwickelten Atomwaffen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen, um so den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Auf diesem Foto vom 7. September 1945 steht ein unbekannter Mann in einer Ruinenlandschaft neben einem Kachelofen in Hiroshima.

Foto von Stanley Troutman, Ap

Wissenschaftler hatten seit der Entdeckung des Phänomens in den 1930ern versucht herauszufinden, wie sie die Kernspaltung nutzbar machen können. Dabei werden durch die Spaltung von Atomkernen gewaltige Energiemengen freigesetzt. Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten war das erste Land, das versuchte, diese Energie als Waffe einzusetzen. Politische Dissidenten und Wissenschaftler im Exil – viele davon deutsche Juden – brachten Nachricht von diesen geheimen Entwicklungen aus dem Land heraus.

Das Manhattan Project

1941 hatte der emigrierte Physiker Albert Einstein den US-Präsidenten Franklin Roosevelt davor gewarnt, dass Deutschland möglicherweise versucht, eine Atombombe zu entwickeln. Daraufhin schlossen sich die Vereinigten Staaten dem ersten nuklearen Wettrüsten an. Sie starteten ein geheimes Atomforschungsprojekt mit dem Codenamen „Manhattan Project“: Es brachte die bedeutendsten Physiker der USA mit im Exil lebenden Wissenschaftlern aus Deutschland und anderen von den Nazis besetzten Ländern zusammen.

Das Projekt verteilt sich auf Dutzende Standorte, von Los Alamos in New Mexico bis Oak Ridge in Tennessee. Während der gesamten Projektlaufzeit waren schätzungsweise 600.000 Personen daran beteiligt. Aber sein Zweck war so geheim, dass viele von ihnen gar nicht wussten, wie ihre Arbeit zu dem Projektziel beitrug. Die Forscher untersuchten zwei mögliche Wege zur Nutzbarmachung der Atomenergie: Einer stütze sich auf Uran, der andere auf Plutonium.

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    Nach jahrelanger Forschung schrieb das Manhattan Project 1945 Geschichte, als der Test von „The Gadget“ – eine von drei hergestellten Plutoniumbomben – erfolgreich ablief. Die USA hatten auch eine ungetestete Uranbombe entwickelt. Das Potenzial dieser Waffen schien offensichtlich: Sie könnten den Verlauf des laufenden Zweiten Weltkriegs ändern oder den Krieg sogar ganz beenden. Trotzdem sprachen sich viele der Wissenschaftler, die an der Entwicklung der Atomtechnologie beteiligt waren, gegen deren Einsatz in der Kriegsführung aus. Der Physiker Leo Szilard, der die nukleare Kettenreaktion entdeckte, beantragte bei der Regierung von Harry S. Truman (Roosevelts Nachfolger), dass die Waffe nicht im Krieg eingesetzt würde. Doch seine Bitten, begleitet von den Unterschriften zahlreicher Wissenschaftler des Manhattan Project, wurden nicht erhört.

    Am 6. August 1945 warf eine B-29 eine Uranbombe über Hiroshima ab, um die bedingungslose Kapitulation Japans zu erzwingen. Drei Tage später warfen die USA eine Plutoniumbombe – identisch mit der Trinity-Testbombe – über Nagasaki ab. Die Angriffe zerstörten beide Städte und töteten oder verletzten mindestens 200.000 Zivilisten.

    Japan kapitulierte am 15. August. Einige Historiker argumentieren, dass die Bomben noch einen zusätzlichen Zweck hatten: die Sowjetunion einzuschüchtern. Zweifellos lösten die Explosionen den Kalten Krieg aus.

    USA und Sowjetunion im Kalten Krieg

    Der sowjetische Diktator Josef Stalin hatte bereits 1943 grünes Licht für ein Atomprogramm gegeben. Anderthalb Jahre nach den Bombenanschlägen in Japan gelang der Sowjetunion ihre erste nukleare Kettenreaktion. Im Jahr 1949 testete die UdSSR den „Ersten Blitz“, ihren ersten Atomsprengsatz.

    Ironischerweise glaubte die Führung der Vereinigten Staaten, dass der Aufbau eines robusten Atomwaffenarsenals der Abschreckung dienen und einen Dritten Weltkrieg verhindern würde. Das Arsenal sollte zeigen, dass die USA die UdSSR zerschlagen könnten, sollte sie in Westeuropa einmarschieren. Doch als die USA begannen, in thermonukleare Waffen mit der hundertfachen Sprengkraft ihrer Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg zu investieren, taten die Sowjets es ihnen gleich. 1961 testete die Sowjetunion die „Zar“-Bombe. Ihre Zerstörungskraft war das Äquivalent von 50 Megatonnen TNT und erzeugte einen Atompilz von der Höhe des Mount Everest.

    „Egal, wie viele Bomben sie hatten oder wie groß ihre Explosionen wurden, sie brauchten mehr und größere“, schreibt der Historiker Craig Nelson. „Es war nie genug.“

    Ende der 1950er und Anfang der 1960er wurden weitere Länder zu Atommächten und der Kalte Krieg schaukelte sich immer weiter hoch. Gleichzeitig wuchs eine Anti-Atomkraft-Bewegung in Reaktion auf eine Vielzahl von nuklearen Unfällen und Waffentests, die Menschenleben kosteten und der Umwelt schadeten.

    Wissenschaftler und die Öffentlichkeit begannen, zunächst auf ein Verbot von Atomtests und schließlich auf die Abrüstung zu drängen. Unter ihnen war auch Einstein, der mit seiner ersten Warnung an Roosevelt einen Atomkrieg hatte verhindern wollen. In einem Manifest von 1955 plädierten der Physiker und eine Gruppe von Intellektuellen dafür, dass die Welt ihren Atomwaffen abschwört. „Hier ist also das Problem, das wir Ihnen präsentieren, schonungslos und schrecklich und unausweichlich“, schrieben sie. „Sollen wir der menschlichen Rasse ein Ende setzen, oder soll die Menschheit dem Krieg abschwören?“

    Hiroshima: Damals und heute
    Am 6. August 1945 verändert eine Atombombe schlagartig das Leben in Hiroshima in Japan. Mehr als 80 Prozent der Innenstadt werden zerstört, Zehntausende Menschen sterben. Eindrücke aus einer Stadt vor ihrer Zerstörung und nach ihrem Wiederaufbau.

    Die dringende Frage blieb ungelöst. 1962 führten dann Berichte über eine sowjetische Aufrüstung Kubas zur Kubakrise. Viele befürchteten, dass die angespannte Pattsituation zwischen den USA und der UdSSR in einer nuklearen Katastrophe enden würde.

    Nukleare Abrüstung

    Als Reaktion auf die Bedenken der Aktivisten unterzeichneten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion 1963 das Moskauer Atomteststoppabkommen. 1968 folgten der Atomwaffensperrvertrag und einer Reihe von Zusatzabkommen, die die Anzahl der Kernwaffen begrenzen sollten.

    Nichtsdestotrotz gab es Anfang 2020 immer noch schätzungsweise 13.410 Atomwaffen auf der Welt – zumindest eine deutliche Reduzierung gegenüber einem Höchststand von rund 70.300 im Jahr 1986, wie die Federation of American Scientists berichtet. Laut der FAS befinden sich 91 Prozent aller Atomsprengköpfe im Besitz von Russland und den USA. Die anderen Atommächte sind Frankreich, China, Großbritannien, Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea. Mutmaßungen zufolge unternimmt der Iran eigene Versuche, eine Atomwaffe zu bauen.

    Bis heute wurden nur zwei Atomwaffen – in Hiroshima und Nagasaki – in einem Krieg eingesetzt. Dennoch, so schreibt das Büro der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen: „Die Gefahren, die von solchen Waffen ausgehen, ergeben sich aus ihrer bloßen Existenz.“

    75 Jahre nach dem Trinity-Test hat die Menschheit das Atomzeitalter bis heute überlebt. Doch in einer Welt mit Tausenden von Atomwaffen, ständig wechselnden politischen Allianzen und anhaltenden geopolitischen Spannungen bleiben die Bedenken der Wissenschaftler bestehen, die die Technologie für einen Atomkrieg einst hervorgebracht haben.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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