Vater der Atombombe: Wer war J. Robert Oppenheimer?

Kontrovers und legendär: Der theoretische Physiker Julius Robert Oppenheimer entwickelte die erste Atombombe der Welt. Mit seiner Erfindung änderte er den Lauf der Geschichte. Wie sehr bereute er seine Entdeckung?

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 25. Juli 2023, 09:53 MESZ
Schwarz-weiß Portrait von Julius Robert Oppenheimer

Der brillante Theoretische Physiker J. Robert Oppenheimer erhielt in den Vierzigerjahren den Auftrag, Atomwaffen zu entwickeln. Er hatte Erfolg, setzte sich aber später vehement gegen die Entwicklung noch leistungsfähigerer Bomben ein.

Foto von Corbis Historical, Getty Images

Neue wissenschaftliche Entdeckungen wecken Neugier. Sie erklären, was bisher unerklärlich war, und können sogar die Welt verbessern. Doch was passiert, wenn Forschende ihren Beitrag bereuen?

Diese Frage steht im Zentrum des Films Oppenheimer, der im Juli 2023 in den deutschen Kinos gestartet ist. Er erzählt die Geschichte des U.S.-amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer, der die Welt ins Atomzeitalter führte: In einem Geheimlabor in der Wüste New Mexikos baute er die erste Atombombe der Welt. Der Film beschäftigt sich aber auch damit, wie der Wissenschaftler mit den Auswirkungen seiner Errungenschaft lebte.

Hat der legendäre Theoretische Physiker seinen nuklearen Forschungserfolg wirklich bereut? Die Wahrheit ist mindestens so kompliziert wie die Wissenschaft hinter der Bombe.

Die Idee der Atombombe: das Manhattan-Projekt

Julius Robert Oppenheimer wurde im Jahr 1904 in New York City geboren, als Sohn jüdischer Einwanderer, die aus Deutschland in die USA und mit dem Import und Handel von Stoffen zu Wohlstand gekommen waren. Und schon in jungen Jahren wurde klar: Oppenheimer war ein Überflieger. Nach nur drei Jahren schloss er sein Studium an der Harvard University mit summa cum laude ab. Im Anschluss studierte er an der Cambridge University in England Theoretische Physik und machte im Alter von 23 Jahren seinen Doktor an der Universität Göttingen.

Es dauerte nicht lange, bis der junge „Oppie“ in den Kreis der anerkanntesten wissenschaftlichen Größen aufgenommen wurde. Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit brachte er die Quantentheorie voran und viele seiner Thesen – vom Neutron bis zum Schwarzen Loch – wurden später bestätigt. Auch abseits seines Fachgebiets war er wissbegierig: Er lernte Sanskrit, beschäftigte sich mit Religion und setzte sich für eine Vielzahl progressiver Themen ein.

Nachdem die USA im Jahr 1941 den Alliierten beigetreten waren, beauftragte das Verteidigungsministerium Oppenheimer, im Rahmen des streng geheimen Manhattan-Projekts eine Nuklearwaffe zu entwickeln. Während er nach dem Auslöser für die Kettenreaktion suchte, die zu einer atomaren Explosion führte, zeigten seine Vorgesetzten sich beeindruckt von seinem umfangreichen Wissen und seinem Ehrgeiz.

Hiroshima: Damals und heute
Am 6. August 1945 verändert eine Atombombe schlagartig das Leben in Hiroshima in Japan. Mehr als 80 Prozent der Innenstadt werden zerstört, Zehntausende Menschen sterben. Eindrücke aus einer Stadt vor ihrer Zerstörung und nach ihrem Wiederaufbau.

Los Alamos – der Ort, an dem die Atombombe entstand

Die Atombombe sollte in einem Geheimlabor entwickelt werden. Oppenheimer war an der Suche nach einem passenden Ort beteiligt: Er liebte den Südwesten der USA und besaß eine Ranch in New Mexiko. Also schlug er die Los Alamos Ranch School vor, eine Privatschule für Jungen in Santa Fe.

Im Jahr 1942 begann seine Arbeit im sogenannten Los Alamos Laboratory. Er führte erst hunderte, dann tausende Mitarbeiter – darunter auch ein Forschungsteam, das aus den brillantesten Köpfen seiner Zeit bestand. Oppenheimer hatte es persönlich zusammengestellt und seine Leitung übernommen. Für seine Kollegen war er eine große Inspiration, er spornte sie an.

Der Trinity-Test: Die weltweit erste Kernwaffenexplosion

„Er war nicht nur intellektuell, sondern auch physisch bei jedem wichtigen Schritt präsent“, erinnert sich Victor Weisskopf, einer der Physiker, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. Diese ständige Präsenz hätte eine „einzigartige Atmosphäre der Begeisterung und der Herausforderung“ entstehen lassen – und führte zu einer Reihe wissenschaftlicher Entdeckungen, an deren Ende die erste Nuklearwaffe der Welt stand.

BELIEBT

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    Techniker bei der Arbeit im Los Alamos Laboratory in New Mexico, mit dessen Gründung das US-Militär Oppenheimer im Jahr 1942 beauftragt hatte. In der abgelegenen Einrichtung kamen die klügsten Köpfe der Theoretischen Physik zusammen, um eine Atombombe zu entwickeln.

    Foto von Corbis Historical, Getty Images

    Am 16. Juli 1945 versammelten sich Oppenheimer und das Team südlich von Los Alamos an dem geheimen Ort, an dem der Trinity-Test durchgeführt werden sollte: die weltweit erste Kernwaffenexplosion. Die Stimmung war angespannt, denn die Forschenden wussten, dass die Bombe mit dem Spitznamen „Gadget“ das Potenzial hatte, das Schicksal der Welt zu verändern.

    Sie glaubten daran, dass die Nuklearwaffe dem Zweiten Weltkrieg ein Ende setzen würde. Obwohl der Krieg in Europa vorbei war, erwarteten U.S.-Behörden Angriffe auf Japan und damit weiteres Blutvergießen. Das Drohen mit der neuen Waffe sollte die Regierung des Landes zur Aufgabe zwingen.

    Der Trinity-Test war erfolgreich. In einem Interview im Jahr 1965 erinnert sich Oppenheimer an den Moment der Explosion und zitiert eine Stelle aus der hinduistischen Schrift Bhagavad Gita: „Vishnu will den Prinzen davon überzeugen, seiner Pflicht nachzukommen. Um das zu erreichen, nimmt er seine mehrarmige Form an und sagt ‚Nun bin ich der Tod, der Zerstörer von Welten‘. In gewisser Weise dachten wir das wohl alle.“

    Der erste Einsatz der Atombombe 1945

    Kurz darauf kamen zwei der Bomben, die Oppenheimer entwickelt hatte, zum Einsatz. Am 6. August 1945 legte die erste die japanische Stadt Hiroshima in Schutt und Asche, drei Tage später wurde eine zweite über Nagasaki abgeworfen. Mindestens 110.000 Menschen verloren bei den Explosionen ihr Leben, die Städte wurden in bisher ungekanntem Ausmaß zerstört.

    Oppenheimer war Teil des wissenschaftlichen Komitees, das empfohlen hatte, die Bombe so bald wie möglich gegen Japan einzusetzen. Noch immer diskutieren Historiker darüber, ob die U.S.-Regierung die Bitte der Forschenden, nur militärische Ziele anzugreifen oder zunächst nur öffentliche Tests durchzuführen, um eine Kapitulation Japans zu erzwingen, bewusst ignorierte.   

    Erste Reue und Warnungen von Oppenheimer

    In der Nacht des Angriffs auf Hiroshima wurde Oppenheimer von den Forschenden im Los Alamos Laboratory bejubelt. Er sagte, er bedaure lediglich, dass er die Bombe nicht rechtzeitig fertiggestellt hätte, um sie gegen Deutschland einzusetzen.

    So begeistert die beteiligten Forschenden über ihren Erfolg waren, so sehr waren sie auch erschrocken über den Verlust ziviler Leben. Die neue Sorge: die Waffe könnte in Zukunft Kriege eher auslösen als abwenden. Einige Wochen nach dem Atomschlag warnte Oppenheimer den Verteidigungsminister in einem Brief, dass die Sicherheit der Nation „nicht vollständig und vorrangig von deren wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten, sondern nur davon abhängen könne, zukünftige Kriege unmöglich zu machen.“

    Er verteidigte aber auch das Manhattan-Projekt und die Atombombe, die er gebaut hatte. Ihm zufolge war sie wesentlich, um die Möglichkeiten der Nuklearwissenschaft umfänglich zu verstehen.

    Einsatz gegen die Wasserstoffbombe

    Einen großen Teil seines Lebens widmete Oppenheimer seinem Einsatz für die Atomare Abschreckung. Auch die Sowjetunion entwickelte eine eigene Bombe. Als die U.S.-Regierung daraufhin auf die Entwicklung einer Wasserstoffbombe mit noch größerer Zerstörungskraft drängte, setzte sich Oppenheimer vehement gegen diese Pläne ein. Er forderte, Nuklearwaffen nur für den taktischen Einsatz in Betracht zu ziehen und Nukleartechnologie für andere Zwecke zu nutzen – zum Beispiel Energiegewinnung.

    Oppenheimer, hier etwa um 1950 mit Albert Einstein im Institute for Advanced Study, gehörte zu den anerkanntesten wissenschaftlichen Größen seiner Zeit.

    Foto von US Government Defense Threat Reduction Agency / wiki commons

    Damit machte er sich politisch viele Feinde – und katapultierte sich mitten ins Fadenkreuz der Roten Angst: Während des Kalten Kriegs griff in den USA eine regelrecht antikommunistischen Hysteriewelle um sich. Nach einer Anhörung im Jahr 1954, bei der Oppenheimers kommunistische Sympathien durchleuchtet wurden, entzog die Atomic Energy Commission – die zentrale U.S.-Behörde für die Erforschung und Entwicklung atomarer Energie – ihm die sogenannte Sicherheitsfreigabe. Damit war er aus geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen. Die Entscheidung wurde im Jahr 2022 postum rückgängig gemacht, nachdem Oppenheimers Fall erneut geprüft und die Ermittlungen als fehlerhaft und gesetzlich unzulässig eingestuft wurden.

    Gegner oder Befürworter von Atomkraft?

    „Er war weder ein Befürworter noch ein Gegner der Atomkraft“, sagte der Historiker Alex Wellerstein in einem Interview über den Physiker. „Er ist eine komplexe historische Figur.”

    Oppenheimer arbeitete nie wieder im Dienst der Regierung. Stattdessen gründete er die World Academy of Arts and Sciences und lehrte dort bis zu seinem Tod im Jahr 1967 Wissenschaft und Ethik. Obwohl er derjenige war, der die „nötige“ Waffe entwickelte, die einen Krieg beendet, zwei Städte dem Erdboden gleich machte und die Welt in ein gefährliches neues Zeitalter führte, sprach er sich bis zum Ende seines Lebens gegen die atomare Aufrüstung aus.

    „Die Physiker haben erfahren, was Sünde ist", sagte er 1950, „und dieses Wissen wird sie nie mehr ganz verlassen.“

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