Albtraum Borneo

Erst einmal erzähle ich vom Borneo unserer Träume. Der Tag beginnt schon lange vor dem Morgengrauen mit dem irrwitzigen Gebrüll der Gibbons hoch oben in den Baumwipfeln. Sie sind die Wecker des Regenwalds.

Von Mel White
Foto von Mattias Klum

Erst einmal erzähle ich vom Borneo unserer Träume. Der Tag beginnt schon lange vor dem Morgengrauen mit dem irrwitzigen Gebrüll der Gibbons hoch oben in den Baumwipfeln. Sie sind die Wecker des Regenwalds. Vertraute und Rivalen schreien sich an oder warnen einander, so klingt es. Ich, ihr am Boden lebender Vetter, kann über die Sprache dieser Affen nur Vermutungen anstellen. Von meinem Lagerplatz führt ein Pfad an einem Bach entlang in den Wald. Hier stehen Bäume, an deren gewaltigen Stämmen die untersten Äste erst in 30 Meter Höhe ansetzen. Während das Sonnenlicht sich mit dünnen Strahlen einen Weg durch das dichte Kronendach sucht, beobachte ich unten am Bach einen Langschwanzmakak. Auf einer Lichtung fliegen zwei Rhinozeroshornvögel mit lautem Flügelschlag zu einem Baum voller Früchte und beginnen zu fressen.

Das ist das mythische Borneo, die Insel unserer Phantasie, und alles ist so erstaunlich, wie man es gehört hat. Wer aber das Borneo des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert sehen will, der muss sich die Insel von oben anschauen. Wenn man mit dem Flugzeug hoch über dem Kinabatangan kreist, ist nicht zu übersehen, in welchem Maß der ursprüngliche Wald immer mehr den Ölpalmen weichen muss. Ihre säuberlich gepflanzten Reihen erstrecken sich Kilometer um Kilometer in alle Richtungen. Eine Palmenplantage ist üppig grün, und die Bögen der Palmwedel verleihen ihr etwas Exotisches. Aber für Borneos biologische Vielfalt, die größer ist als der Artenreichtum der meisten Landschaften der Erde, ist sie der sichere Tod. Die Insel Borneo liegt zwischen dem Südchinesischen Meer und der Javasee direkt am Äquator. In den vergangenen Jahrhunderten wurden ihre Naturschätze nacheinander von verschiedenen Völkern ausgebeutet, besser: geplündert. Während der Kolonialzeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert stand die Insel unter britischer und niederländischer Herrschaft; damals begann man, tropische Hartholzbäume zu fällen. Seit einigen Jahrzehnten bohren europäische, amerikanische und australische Konzerne nach dem reichlich vorhandenen Erdöl und Erdgas; überdies wird im Tagebau Kohle gefördert. In aller Welt entstehen Häuser aus Holz von Borneo.

BELIEBT

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    Borneo hat eine größere biologische Vielfalt als die meisten Landschaften der Erde. Man kennt mehr als 15 000 Pflanzenarten, darunter allein 2500 verschiedene Orchideen. In den Tieflandregenwäldern kommen bis zu 240 Baumarten vor. Auf Borneo gibt es die größte Blüte der Welt, die größte Orchidee, die größten fleischfressenden Pflanzen, die größten Schmetterlinge . In den vielen Stockwerken des Regenwalds lebt die größte Vielfalt von Tieren, die zum Gleitflug in der Lage sind. In den Bäumen leben zwei Gibbon- und acht Kleinaffenarten. In einem Winkel der Insel haben rund tausend Elefanten die Zeit überdauert. Doch von den stark bedrohten Nashörnern sind gerade mal vier Dutzend übrig geblieben. Borneos Symboltiere sind hingegen die Orang-Utans.

    In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden jedes Jahr nach Schätzungen rund 8000 Quadratkilometer gerodet, insgesamt ein Gebiet fast halb so groß wie Deutschland. Schon 2001 hieß es in einem Artikel des Wissenschaftsmagazins Science über eine Studie der Weltbank, dass die Wälder im Tiefland des indonesischen Teils von Borneo bis 2010 völlig zerstört sein könnten.

    Foto von Mattias Klum

    In der Zwischenzeit haben staatliche Maßnahmen die illegale Holzgewinnung zwar verlangsamt, aber auch das führt nur dazu, dass der Untergang der Wälder etwas hinausgeschoben wird. Denkbar ist auch, dass die Zerstörung schneller fortschreitet als ohnehin befürchtet. In den vergangenen 20 Jahren sind überall auf Borneo riesige Monokulturen mit Ölpalmen entstanden. Durch sie soll der Bedarf an dem höchst profitablen Öl ihrer Früchte gedeckt werden. Palmöl wird zum Kochen verwendet, für kosmetische Produkte, Seife und Desserts und in Deutschland auch dazu, in Blockheizkraftwerken Strom zu erzeugen. Indonesien und Malaysia liefern zusammen 86 Prozent des weltweit erzeugten Palmöls; auf Borneo herrschen ideale Wachstumsbedingungen für das "grüne Gold".

    Hier auf Borneo herrscht bittere Armut. Drei von vier Indonesiern haben kaum genug zum Leben. Ganz gleich, wie Umweltschützer die biologische Vielfalt Borneos erhalten wollen - sie müssen vor allem im Blick haben, die Lebensumstände der Leute zu verbessern. "Nichts ist so wichtig, wie den Hunger zu bekämpfen", sagt Albertus von der Umweltschutzgruppe Green Borneo aus Pontianak. "In dieser Hinsicht müssen die Hilfsorganisationen ihre Denkweise ändern. Gesundheit, Bildung und bessere wirtschaftliche Bedingungen - das alles hilft auch dem Wald." Noch ist es vielerorts die Holzwirtschaft, die den Menschen Arbeit und Einkommen bietet. "Ohne die Einbeziehung der Menschen in den ländlichen Gebieten Borneos und die Achtung ihrer traditionellen Rechte wird es indes nicht möglich sein, die Wälder auf Borneo effektiv zu schützen", sagt Markus Radday, der Tropenwaldreferent des WWF in Frankfurt.

     

    (NG, Heft 11 / 2008, Seite(n) 44)

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