Mäuse spionieren Ratten über deren Tränen aus

Es ist das erste bekannte Beispiel dafür, dass Beutetiere Pheromone ihrer Räuber wahrnehmen und so Gefahr aus dem Weg gehen.

Von Kenrick Vezina
Veröffentlicht am 14. Apr. 2018, 10:00 MESZ
Ratte
Die Tränen von Wanderratten enthalten einen Sexuallockstoff, den Mäuse einer neuen Studie zufolge wahrnehmen können.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

Wenn man Beute ist, zahlt es sich aus, seine Jäger auszuspionieren.

Forscher haben in einer neuen Studie demonstriert, dass Mäuse die Pheromone „ausspionieren“ können, die von Ratten zur Kommunikation eingesetzt werden. Die Studie wurde von Kazushige Touhara von der Universität Tokio geleitet und identifizierte ein Protein in der Tränenflüssigkeit männlicher Ratten, das für andere Ratten als Sexuallockstoff fungiert, Mäusen aber als Warnsignal dient.

Wenn sich männliche Ratten putzen, verteilen sie ihre Tränen über ihren ganzen Körper und hüllen sich damit in die chemischen Signale der Flüssigkeit. Wenn die Nager durch die Gegend ziehen, hinterlassen sie eine olfaktorische Spur. Touhara und sein Team wollten wissen, ob Mäuse die Signale der Rattentränen wahrnehmen können.

Für die Versuche benutzten die Wissenschaftler die üblichen Laborarten: die Wanderratte (Rattus novegicus) und die Hausmaus (Mus musculus), die sich den Lebensraum unserer Städte teilen.

Beide Nagetiere sind Allesfresser, aber Ratten neigen außerdem dazu, Mäuse zu töten und zu fressen.

Wissenschaftler haben bereits nachgewiesen, dass Mäuse Rattenurin meiden – eine typische Strategie von Beutetieren. Die aktuelle Studie ist allerdings die erste, die zeigt, wie ein Beutetier ein spezifisches Pheromon eines seiner Jäger als Frühwarnsystem benutzt.

HIER RIECHT‘S RATTIG

In den Experimenten verbrachten weibliche Ratten mehr Zeit mit der Untersuchung von Watte, die mit dem Pheromon ratCRP1 behandelt wurde, als mit unbehandelter Watte. Mäuse hingegen verbrachten weniger Zeit an der behandelten Watte.

Beide Arten liefen nach dem Kontakt mit dem Pheromon aber weniger umher. Weitere Tests offenbarten, dass die Herzfrequenz und die Körpertemperatur der Mäuse selbst eine Stunde nach dem Kontakt noch verringert waren.

Hausmäuse im Point Defiance Zoo und Aquarium. Die Nager fallen oft Ratten zum Opfer.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

In ihrer Studie, die in „Current Biology“ erschien, stellten Touhara und seine Kollegen die Theorie auf, dass ratCRP1 vorwiegend als Sexuallockstoff für Ratten dient, weshalb die Weibchen Interesse daran zeigen und an einem Ort verweilen, an dem zuvor ein Männchen war.

Mäuse hingegen nehmen das Signal ebenfalls wahr, verfallen aber in einen vorsichtigeren, ruhigen Modus, um keine eventuell in der Nähe befindlichen Ratten auf sich aufmerksam zu machen.

PELZIGE SPIONE

Laut Tristram Wyatt, einem Zoologen der Universität Oxford und Pheromonexperten, besteht für Tierarten ein starker evolutionärer Anreiz dazu, ihre Nachbarn zu belauschen.

BELIEBT

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    „Sobald man ein Kommunikationssignal hat, können andere Arten eine Empfangsmöglichkeit dafür entwickeln und es ausnutzen“, erklärt er.

    Touhara bezeichnet das als „das Spiel des Tierreichs“: der Versuch, mit seinen Verbündeten zu kommunizieren, ohne seine Feinde wissen zu lassen, was man plant.

    Ein Beispiel dafür ist das auditive Wettrüsten von Motten und Fledermäusen. Einige Motten haben Ohren entwickelt, die auf die Frequenz abgestimmt sind, die Fledermäuse für ihre Echoortung verwenden. Deshalb können sie fliehen, wenn sie die Ultraschallwellen der Räuber wahrnehmen.

    Obwohl das Phänomen in der Theorie recht verbreitet sein dürfte, wurden bisher „relativ wenige Studien zu Beutetieren durchgeführt, die spezifisch auf die Pheromone ihrer Räuber reagieren“, sagt Wyatt.

    Touhara und sein Team hätten nicht nur ein neues Protein und dessen Wirkung auf Verhaltensweisen identifiziert, sondern auch die neurale Aktivität aufgezeichnet, um zu zeigen, dass ratCRP1 in Mäusegehirnen eine Verteidigungsreaktion auslöst, wie er anmerkt.

    Für Touhara ist die nächste Frage, „wie sich dieses Signal entwickelt hat, um sowohl als artinternes als auch artübergreifendes Signal zu fungieren“.

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