Lepra: Mensch infiziert Gürteltier infiziert Mensch

In Brasilien stehen bei vielen Menschen Gürteltiere auf dem Speiseplan, aber das Mahl birgt seine Tücken.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 2. Juli 2018, 13:13 MESZ
Die meisten untersuchten Neunbinden-Gürteltiere im brasilianischen Bundesstaat Pará zeigten Anzeichen dafür, dass sie Leprabakterien ausgesetzt waren.
Die meisten untersuchten Neunbinden-Gürteltiere im brasilianischen Bundesstaat Pará zeigten Anzeichen dafür, dass sie Leprabakterien ausgesetzt waren.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

In Brasilien ist es nicht unüblich, Gürteltiere zu essen, die angeblich wie Hühnchen schmecken sollen. Durch neue Forschungen hat sich nun herausgestellt, dass eine solche Mahlzeit Gefahren birgt: Sie kann Lepra übertragen.

Forscher fanden heraus, dass 62 Prozent der Neunbinden-Gürteltiere, die im brasilianischen Bundesstaat Pará untersucht wurden, Anzeichen dafür zeigten, dass sie Leprabakterien ausgesetzt waren. Die entsprechende Studie wurde in „PLOS Neglected Tropical Diseases” veröffentlicht.

Darüber hinaus entdeckten sie, dass Menschen, die häufig das Fleisch von Neunbinden-Gürteltieren verzehrten, höhere Konzentrationen von Lepra-Antikörpern im Blut hatten. Das wies auf eine starke Korrelation zwischen dem Jagen, dem Zubereiten und dem Verzehr der Tiere und der Erkrankung an Lepra hin.

Ein bestimmtes Gericht, das in manchen Regionen gegessen wird, könnte sich als besonders problematisch erweisen: Gürteltierleber-Ceviche. Die Bakterien, die Lepra verursachen, konzentrieren sich vor allem in der Leber und in der Milz.

Die Forscher testeten 146 Bewohner der Region und stellten fest, dass 92 Prozent von ihnen Antikörper gegen das Lepra-Bakterium hatten.

In diesem Teil Brasiliens essen etwa 65 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Jahr Gürteltier, sagt John Spencer, ein Immunologe der Colorado State University und einer der Autoren der Studie. „Das ist eine Menge“, erzählt er. „Ich weiß nicht, ob 65 Prozent aller Amerikaner einmal pro Jahr Hummer essen.“

BAKTERIENSCHLEUDERN

Schon seit den Siebzigern vermuten Wissenschaftler, dass Gürteltiere das Mycobacterium leprae in sich tragen und übertragen können. Aber erst 2011 konnten Genetiker nachweisen, dass die Bakterienstämme in Menschen und Gürteltieren an Orten wie Texas und Louisiana übereinstimmten. Das war der Beweis dafür, dass Menschen und Gürteltiere die Leprabakterien quasi hin und her tauschten.

Zum Glück für die Menschen im Süden der USA schienen dort aber nur ein Fünftel der Neunbinden-Gürteltiere Anzeichen für Lepra aufzuweisen. In Pará ist der Anteil dreimal höher.

Warum aber sind in Brasilien so viele Gürteltiere mit Lepra infiziert? Spencer zufolge liegt das vermutlich daran, dass die Zahl der Lepraerkrankungen in der brasilianischen Bevölkerung ebenfalls größer ist.

In den USA werden pro Jahr im Schnitt etwa 200 Fälle von Lepra verzeichnet. Davon hängen aber nur 25 Prozent mit Gürteltieren zusammen. In Brasilien hingegen werden 25.000 Fälle pro Jahr verzeichnet, was Spencers Forschungen zufolge sogar eine zu niedrige Schätzung ist.

Obwohl Gürteltiere als Erregerreservoir für Leprabakterien dienen können, die manchmal auch auf Menschen übertragen werden, sollte man nicht vergessen, dass die Tiere sich ursprünglich über Menschen infizierten. „Die Menschen haben die Lepra mit den Schiffen der Kolonisten aus Europa mitgebracht“, sagt Spencer.

SCHMECKT WIE HÜHNCHEN

Hierzulande mag der Verzehr von Gürteltieren seltsam anmuten. In Regionen, in denen die Tiere verbreitet und andere Proteinquellen selten sind, ist er aber recht normal.

Im Portugiesischen heißt das Neunbinden-Gürteltier aufgrund seines Geschmacks auch tatu-galinha oder “Hühnchen-Gürteltier”, erklärt Danilo Kluyber, der Cheftierarzt des Giant Armadillo Conservation Project des Naples Zoo.

Neunbinden-Gürteltiere sind zwar die kulinarischen Favoriten, aber auch einige Arten der Nacktschwanzgürteltiere und Borstengürteltiere werden für ihr Fleisch gejagt. Auch die Sechsbinden-Gürteltiere sind beliebte Fleischlieferanten, da sie begierig alles fressen, was man ihnen vorsetzt. Dadurch lassen sie sich recht einfach halten und mästen.

Die Halter solcher Gürteltiere kommen natürlich auch mit den Tieren in Kontakt und baden sie mitunter sogar, wodurch das Risiko für eine Übertragung der Bakterien steigt, wie in der Studie angemerkt wird. Solange sie ungestört in der Wildnis leben, stellen sie für Menschen jedoch keine Gefahr dar und erfüllen wichtige Aufgaben in ihrem Ökosystem, beispielsweise durch den Verzehr zahlreicher Insekten.

Riesengürteltiere sind seltener und schwieriger zu finden, werden aber auch gejagt, da sie so viel wie ein Labrador wiegen können.

BELIEBT

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    „Davon kann sich eine ganze Familie ernähren“, sagt Kluyber.

    Die gute Nachricht ist, dass Neunbinden-Gürteltiere zahlreich genug sind, um von der Weltnaturschutzunion als „nicht gefährdet“ eingestuft zu werden. Aber nicht alle Gürteltierarten haben so viel Glück. Diverse andere Arten, die in Brasilien heimisch sind, stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten, darunter das Riesengürteltier und das Nördliche Kugelgürteltier.

    KLEINER DATENSATZ, GROSSES ERGEBNIS

    Der Gürteltierexperte James Loughry bezeichnet die aktuelle Studie als wichtig, „weil sie zeigt, dass die gleichen Dinge auch an anderen Orten als den USA passieren“.

    Allerdings macht er sich Sorgen darüber, dass sich die Ergebnisse noch ändern könnten, wenn es zu einer umfassenderen Untersuchung kommen sollte. Für die neue Studie untersuchten die Wissenschaftler nur 16 Gürteltiere und 146 Menschen.

    Spencer erzählt, dass die Regierung Brasiliens ihm und seinem Team nur die Erlaubnis für eine Untersuchung von 30 Gürteltieren gab. Allerdings war das Team dafür darauf angewiesen, dass örtliche Jäger einen Teil ihrer Beute für eine Analyse zur Verfügung stellten. Nur eine Handvoll von ihnen war dazu gewillt – womöglich aus Angst, Ärger zu bekommen.

    Tatsächlich ist es in Brasilien nämlich illegal, wilde Tiere zu jagen.

    „Aber wenn man arm ist und Protein braucht, tut man eben, was man tun muss“, sagt Spencer.

     

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