Überraschende DNA-Funde in alten Skeletten aus Südeuropa

Das Erbgut der Iberischen Halbinsel verdankt seine genetische Vielfalt einer Reihe von Migrationswellen in prähistorischer Zeit.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 18. März 2019, 16:31 MEZ
Diese Skelette alter Jäger und Sammler – die zufällig Brüder sind – halfen Forschern dabei, die überraschend komplexe genetische Geschichte der Iberischen Halbinsel zu rekonstruieren.
Foto von Julio Manuel Vidal Encinas

Seit die frühen Menschen Afrika verließen und im Laufe von Hunderttausenden von Jahren die ganze Welt besiedelten, ist die Iberische Halbinsel ein Ort, an dem die Kulturen Afrikas, Europas und des Mittelmeerraums aufeinandertreffen und sich vermischen.

Für eine neue Studie, die in „Science“ erschien, rekonstruierten 111 Populationsgenetiker und Archäologen die letzten 8.000 Jahre der genetischen Vergangenheit der Region. Das Gesamtbild, das sich daraus ergibt, zeigt das große Ausmaß der genetischen Komplexität. Aber es deutet auch auf eine mysteriöse Wanderungsbewegung vor 4.500 Jahren hin, welche die DNA auf der Iberischen Halbinsel deutlich veränderte.

Das Team versuchte mit DNA-Befunden herauszufinden, wie und wann diverse Populationen ein Teil des Genpools der Region wurden. Sie sequenzierten die Genome von 271 uralten Iberern und kombinierten diese Informationen dann mit zuvor veröffentlichen Daten von 132 anderen vergangenen Bewohnern der Halbinseln.

Das Ergebnis war deutlich komplexer als erwartet.

Die Steppenmenschen

Mit dem Beginn der Bronzezeit hatte sich das Erbgut in der Region drastisch verändert. Ab etwa 2500 v. Chr. finden sich im iberischen Genpool Gene, die den Völkern aus den Steppen beim Schwarzen und Kaspischen Meer im heutigen Russland zugeordnet werden. Ab diesem Zeitpunkt beginn die DNA der Steppenmenschen langsam damit, die DNA der Iberer zu ersetzen.

Laut der Steppen-Theorie, die auch als Kurgan-Hypothese bezeichnet wird, breitete sich diese Gruppe östlich bis nach Asien aus und in westlicher Richtung durch Europa. Die aktuelle Studie zeigt, dass sie bis zur Iberischen Halbinsel gelangt ist. Auch wenn 60 Prozent der gesamten DNA der Region unverändert blieben, waren die Y-Chromosomen der Einwohner bis 2000 v. Chr. fast gänzlich ausgetauscht. Das deutet auf einen großen Zustrom von männlichen Steppenbewohnern hin, da die Y-Chromosomen nur von Männern vererbt werden.

„Anscheinend war dieser [genetische] Einfluss stark männlich dominiert“, sagt Miguel Vilar, ein Anthropologe und Senior Program Officer der National Geographic Society.

Wer waren diese Männer – und kamen sie in Frieden? Vilar war an der Studie nicht beteiligt, spekuliert aber, dass die Steppenmenschen auf Pferden kamen und Bronzewaffen trugen – und so in der Region die Bronzezeit einläuteten. Er vergleicht diese Wanderungsbewegung mit der Ankunft europäischer Kolonisten in Nord- und Südamerika ab 1490.

„Das zeigt, dass eine Migration über einen gesamten Kontinent verlaufen und trotzdem noch einen starken Einfluss haben kann“, sagt er.

Auch wenn Bronze auf der Iberischen Halbinsel etwa ab diesem Zeitraum genutzt wurde, fanden sich bislang keine anderen eindeutigen Hinweise auf die Steppenkultur. Allerdings hat die Studie gezeigt, dass die Menschen im heutigen Baskenland – die die einzige nicht indoeuropäische Sprache in Westeuropa sprechen – genetische Marker tragen, die eng mit denen der Steppenmenschen verwandt sind. Im Gegensatz zu heutigen Spaniern und Portugiesen weisen die Basken auch nicht dieselbe Menge an genetischer Durchmischung auf, die für die restliche Halbinsel typisch ist.

Darüber hinaus fand das Team mitten auf der Halbinsel ein einzelnes Individuum mit nordafrikanischer DNA. Seine Knochen wurden auf ungefähr 2500 v. Chr. datiert.

„Zuerst dachte ich, dass das ein Irrtum sei“, sagte der Populationsgenetiker Iñigo Olalde, der die Studie geleitet hat.

Als er die Überprüfung wiederholte, kam er jedoch zum selben Ergebnis. Die Präsenz des einsamen Afrikaners lässt vermuten, dass es schon früh zum sporadischen Austausch zwischen der Iberischen Halbinsel und Nordafrika kam. So lassen sich auch die archäologischen Funde von afrikanischem Elfenbein in iberischen Grabungsstätten aus der Bronzezeit erklären. Das Team vermutet aber, dass sich die nordafrikanische DNA erst in den letzten 2.000 Jahren über die Halbinsel verbreitet hat.

Galerie: Erbgut: Die DNA-Revolution

Eiszeitliche Vielfalt

Die Studie zeichnet ein komplexes Bild von Spaniens genetischer Geschichte – eines, das zu einer thematisch verwandten Studie in „Current Biology“ passt. Darin zeigen deutsche und spanische Forscher, dass die frühen Jäger und Sammler sowie die Bauern auf der Iberischen Halbinsel genetisch vielfältiger waren, als man zuvor angenommen hatte. Sie fanden Belege dafür, dass sich verschiedene Kulturen von Jägern und Sammlern auf der warmen Halbinsel vermischten, die vor 19.000 Jahren während der Eiszeit als Zufluchtsort diente. Als später Bauernkulturen hinzukamen, vermischten sie sich mit den dortigen Jägern und Sammlern.

„Die DNA war eine Überraschung“, erzählt die Doktorandin Vanessa Villalbe-Mouca. Die Archäologin leitete das Forschungsteam für das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und die Universität Saragossa in Spanien. „Hinweise auf das, was in diesem Moment geschah, helfen uns dabei, die Evolution im nachfolgenden Zeitabschnitt zu verstehen. Wir brauchen noch mehr Proben von weiteren Individuen, um ihre Geschichte besser zu verstehen.“

Die Arbeit mit der alten DNA „hilft uns dabei, die Vorstellung von geografisch unterscheidbaren Populationen wie Afrikanern, Asiaten oder Europäern zu dekonstruieren“, so Vilar. „Die Menschen, die in Regionen wie der Iberischen Halbinsel leben, sind [genetisch] nicht nur heterogen, sondern sind auch selbst das Ergebnis verschiedener Migrationswellen.“

Für Olalde war die Studie eine bislang beispiellose Chance, die genetische Geschichte jenes Ortes zu erforschen, den er als seine Heimat betrachtet. „Für mich war es ein Traum, diese Studie durchführen zu können“, sagt er.

Mit so einer großen Stichprobengröße arbeiten zu können – eine Seltenheit bei Studien, die mit DNA-Proben aus jahrtausendealten Knochen arbeiten –, war besonders spannend für Olalde, der am David Reich Lab der Harvard Medical School arbeitet. „Es ist wirklich verrückt, dass wir fast 400 Individuen analysieren konnten. Dank ihnen haben wir nun ein deutlich lebhafteres Bild von all den verschiedenen Völkern, die auf der Iberischen Halbinsel lebten, und von ihrem Einfluss auf die heutige Bevölkerung.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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