Reisen bei Pandemien: Welcher Flugzeugplatz ist der sicherste?

Ein Forscherteam ging der Frage nach, wie sich Infektionskrankheiten bei Flugreisen ausbreiten und welche Maßnahmen vor einer Ansteckung schützen.

Von Amy McKeever
Veröffentlicht am 3. Feb. 2020, 16:14 MEZ
Passagiere aus der chinesischen Stadt Wuhan, dem Epizentrum der neuen Coronavirus-Pandemie, müssen am 23. Januar 2020 ...
Passagiere aus der chinesischen Stadt Wuhan, dem Epizentrum der neuen Coronavirus-Pandemie, müssen am 23. Januar 2020 am japanischen Flughafen Narita die Quarantäne durchlaufen. Im Vordergrund prüft ein Flughafenmitarbeiter mit einer Wärmebildkamera die Körpertemperatur der Passagiere.
Foto von Kyodo, via AP Images

Wenn eine neue Epidemie um sich greift, ist es ganz normal, dass der Gedanke ans Verreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln vielen nicht behagt. Noch unangenehmer ist es allerdings, wenn gleich zwei ernstzunehmende Viren umgehen.

In den Nachrichten kommt man an der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie gar nicht vorbei – gerade auch wegen der Sommerferien und dem Zusammenkommen von Reisenden auf kleinstem Raum, beides scheint einen Nährboden für neue Infektionswellen zu bieten. Währenddessen treibt größtenteils unbeachtet ein anderer, jährlich wiederkehrender Bekannter sein Unwesen: die Grippe. Allein in den USA hat die aktuelle Grippesaison bereits 8.200 Menschenleben gefordert.

Mittlerweile gibt es an zahlreichen großen Flughäfen Coronaviren-Screenings, kostenlose Corona-Tests und etliche Fluggesellschaften haben ihre Flüge weltweit gestrichen. Für alle, die trotzdem mit dem Flugzeug reisen müssen oder wollen, sind diese Präventivmaßnahmen aber kein großer Trost. Schließlich gibt es wenig Möglichkeiten, einer niesenden Person aus dem Weg zu gehen, wenn man in einem fliegenden Metallkasten auf seinem Sitz ausharren muss.

Auch wenn das Coronavirus noch nicht umfassend erforscht ist, wissen wir einiges über ähnliche Coronaviren und Atemwegserkrankungen wie die Grippe. Wie genau verbreiten sich solche Erkrankungen, speziell in Flugzeugen, und wie gefährlich ist die aktuelle Epidemie im Vergleich zur Grippe?

Wie verbreiten sich Atemwegserkrankungen?

Wer schon mal in seine Armbeuge geniest oder einem hustenden Kollegen im Büro aus dem Weg gegangen ist, weiß grundlegend bereits, wie sich Atemwegserkrankungen verbreiten.

Wenn eine infizierte Person hustet oder niest, sondert sie winzige Tröpfchen Speichel, Schleim und andere Körperflüssigkeit ab. Wird man von solchen Tropfen getroffen – und wenn man sie berührt und sich danach beispielsweise ins Gesicht fasst –, kann man sich infizieren.

Diese Tröpfchen verbreiten sich eigentlich nicht über die Luft, sondern landen immer recht nah an ihrer Quelle. Laut der Ärztin und Professorin Emily Landon von der University of Chicago Medicine definieren Krankenhausrichtlinien für Grippeviren, ab wann ein Mensch einem Infektionsrisiko ausgesetzt ist – nämlich dann, wenn er sich zehn Minuten oder länger in einem Abstand von 2,8 Meter oder weniger zu einer infizierten Person aufhält.

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    „Die Dauer und die Entfernung sind wichtig“, so Landon.

    Atemwegerkrankungen können sich auch über Oberflächen verbreiten, auf denen die Tröpfchen landen – beispielsweise Flugzeugsitze und Tabletts. Wie lange genau die Viren dort überleben, hängt sowohl vom Tröpfchen als auch von der Oberfläche ab: Sind es Speichel- oder Schleimtropfen? Ist die Oberfläche glatt oder porös? Unterschiedliche Viren können auf Oberflächen unterschiedlich lang überleben, von einigen Stunden bis hin zu mehreren Monaten.

    Es gibt auch Belege dafür, dass sich Viren über winzige, trockene Partikel (Aerosolteilchen) durch die Luft verbreiten können. Laut Arnold Monto, einem Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit an der University of Michigan, ist das aber nicht der verbreitetste Ansteckungsweg.

    „Damit der Virus durchhält, damit es also ein echtes Aerosol ist, muss er in der Lage sein, ab dem Zeitpunkt, da er zu trocknen beginnt, in dieser Umgebung zu überleben“, sagt er. Viren mögen es lieber feucht, und viele verlieren ihren infektiösen Charakter, wenn sie zu lange trocken sind.

    Was heißt das für die Ansteckungsgefahr im Flugzeug?

    Laut WHO-Definition hat man im Flugzeug Kontakt mit einer infizierten Person, wenn man bis zu zwei Reihen entfernt von ihr sitzt.

    Aber Menschen sitzen während Flügen nicht nur, insbesondere, wenn sie mehrere Stunden dauern. Sie stehen auf, vertreten sich die Beine, benutzen die Toilette oder holen Gepäck aus den Ablagefächern. Während der SARS-Pandemie 2003, die ebenfalls durch ein Coronavirus verursacht wurde, infizierte ein Passagier an Bord eines Flugs von Hongkong nach Peking Menschen weit außerhalb der Zwei-Sitzreihen-Definition der WHO. Laut dem New England Journal of Medicine hätten die Richtlinien der WHO 45 Prozent der SARS-Patienten nicht erfasst.

    Diesen Fall nahm ein Team von Gesundheitsforschern zum Anlass für eine Studie. Sie wollten herausfinden, wie die zufälligen Bewegungen von Fluggäste in der Kabine die Wahrscheinlichkeit für eine Ansteckung veränderten.

    “Es ist zwingend notwendig, dass Flugbegleiter nicht mitfliegen, wenn sie krank sind.”

    Howard Weiss, Pennsylvania STate University

    Das „FlyHealth Research Team“ beobachtete das Verhalten der Passagiere und Besatzung auf zehn US-Transkontinentalflügen, die zwischen dreieinhalb und fünf Stunden dauerten. Unter der Leitung von Vicki Stover Hertzberg von der Emory University und Howard Weiss untersuchten sie nicht nur, wie sich die Passagiere durch die Kabine bewegten, sondern auch, wie sich das auf die Anzahl und Dauer ihrer Kontakte mit anderen Menschen auswirkte. Das Team wollte herausfinden, wie viele solcher Begegnungen während der Flüge eine Infektion ermöglichten.

    „Nehmen wir mal an, Sie sitzen am Gang oder in der Mitte und ich gehe auf dem Weg zur Toilette an Ihnen vorbei“, sagt Weiss, ein Professor für Biologie und Mathematik an der Pennsylvania State University. „Dann haben wir engen Kontakt miteinander, was bedeutet, dass wir uns weniger als einen Meter voneinander entfernt befinden. Wenn ich also infiziert bin, könnte ich Sie anstecken. Unsere war die erste Studie, die das quantifiziert hat.“

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    Wie die Studie schon 2018 zeigte, verließen die meisten Menschen auf Flügen mittlerer Dauer ihren Sitzplatz irgendwann – meist, um zur Toilette zu gehen oder etwas aus der Gepäckablage zu holen. Insgesamt verließen 38 Prozent der Passagiere ihren Sitz einmal und 24 Prozent mehr als einmal. Die restlichen 38 Prozent belieben den ganzen Flug über sitzen.

    Damit fanden die Forscher dann auch die „sichersten“ Sitzplätze: Die Passagiere, die am seltensten aufstanden, saßen auf den Fensterplätzen. Nur 43 Prozent von ihnen verließen ihren Sitzplatz – bei den Passagieren auf den Gangplätzen waren es hingegen 80 Prozent.

    Damit kamen die Passagiere auf den Fensterplätzen am seltensten in engen Kontakt mit anderen Menschen: im Schnitt 12 Mal. Auf den mittleren Plätzen waren es hingegen 58 Mal und am Gang 64 Mal.

    Platzierungen im Flugzeug
    Foto von Kennedy Elliott, NG STAFF. ART BY TAYLOR MAGGIACOMO. SOURCES: HOWARD WEISS, PENNSYLVANIA STATE UNIVERSITY; VICKI HERTZBERG, EMORY UNIVERSITY

    Demnach minimieren Passagiere das Risiko einer Ansteckung, wenn sie einen Fensterplatz wählen und während des Fluges sitzen bleiben. Wie in der Grafik ersichtlich wird, zeigt das Modell des Teams allerdings, dass auch alle anderen Passagiere nur eine geringe Chance haben, sich anzustecken.

    Weiss zufolge liegt das daran, dass der Kontakt in Flugzeugkabinen meist ziemlich kurz ist.

    „Wenn man einen Sitz am Gang hat, werden mit Sicherheit ein paar Leute an einem vorbeilaufen. Aber die sind schnell wieder weg“, sagt Weiss. „Insgesamt haben wir gezeigt, dass die Gefahr einer Ansteckung für jeden beliebigen Passagier ziemlich gering ist.“

    Allerdings sieht das anders aus, wenn die infizierte Person zur Besatzung gehört. Flugbegleiter verbringen viel mehr Zeit damit, die Gänge abzuschreiten und mit den Passagieren zu interagieren. Deshalb haben sie auch mit größerer Wahrscheinlichkeit längeren und engeren Kontakt zu Personen. Der Studie zufolge infiziert ein krankes Besatzungsmitglied wahrscheinlich 4,6 Passagiere. „Deshalb ist es zwingend notwendig, dass Flugbegleiter nicht mitfliegen, wenn sie krank sind.“

    Was bedeutet das für COVID-19?

    Weiss merkt an, dass wir die bevorzugte Übertragungsmethode des neuen Coronavirus noch nicht kennen. Womöglich verbreitet es sich vorwiegend über Tröpfchen aus den Atemwegen, eventuell aber auch über Kontakt mit Speichel und Exkrementen oder den Verzehr von viralem Material. Auch Aerosole sind nicht gänzlich auszuschließen.

    Das Modell des Teams bezieht die Verbreitung über Aerosole nicht mit ein, hofft aber, sie in Zukunft noch gesondert erforschen zu können. Außerdem verweisen die Forscher darauf, dass sich ihr Modell nicht einfach auf Langstreckenflüge oder Kabinen mit mehr als einem Gang übertragen lässt.

    Landon hält die Ergebnisse der Studie bei der aktuellen Coronavirus-Epidemie für anwendbar. Alle früheren Coronaviren haben sich ebenfalls über Tröpfcheninfektion verbreitet. Daher wäre es ihr zufolge überraschend, wenn es bei dem neuen Krankheitserreger anders wäre. Tatsächlich verhält sich der neue Coronavirus auf vielerlei Weise ähnlich wie SARS. Beides sind Zoonosen, sind also tierischen Ursprungs, und beide scheinen von Fledermäusen auszugehen. Außerdem übertragen sie sich von Mensch zu Mensch und haben sehr lange Inkubationszeiten: bis zu 14 Tage. Bei der Grippe hingegen sind es nur etwa zwei. Infizierte Menschen können also wochenlang weitere Personen anstecken, bevor sie selbst die ersten Symptome einer Erkrankung zeigen.

    In Anbetracht all dessen sollte man sich Landon zufolge an ein paar grundsätzliche Regeln halten, wenn man im Flugzeug reist. Darunter fällt das regelmäßige Waschen oder Desinfizieren der Hände, nachdem man Oberflächen berührt hat – insbesondere, da es Hinweise darauf gibt, dass das Coronavirus zwischen drei und zwölf Stunden auf Oberflächen überleben kann.

    Außerdem sollte man es vermeiden, sein Gesicht zu berühren oder in Kontakt mit hustenden Passagieren zu kommen. Und natürlich: Maske tragen.

    Was ist gefährlicher: Coronavirus oder Influenza?

    Es gibt viele Möglichkeiten, um das Risiko einzuschätzen, das eine bestimmte Krankheit darstellt. Gesundheitsforscher nutzen dabei vor allem zwei Faktoren: Die Basisreproduktionszahl und die Letalität.

    Die Basisreproduktionszahl R0 gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. Maia Majumder vom Boston Children’s Hospital und der Harvard Medical School hat genau das gemessen.

    Ihre vorläufigen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass das neue Coronavirus im Schnitt auf 2 bis 3,1 weitere Personen pro Infektion übertragen wird. Das sind ähnliche Zahlen wie bei SARS, wo die Basisreproduktionszahl zwischen 2 und 4 schwankt. Im Gegensatz dazu liegt sie bei Grippeviren zwischen 1,3 und 1,8. Coronaviren übertragen sich also etwas öfter von Mensch zu Mensch. 

    “Gegen die Grippe haben wir Impfungen und ein paar antivirale Mittel. Gegen das Coronavirus haben wir gar nichts.”

    ARNOLD MONTO, UNIVERSITY OF MICHIGAN

    Die Letalitätsrate beschreibt die Anzahl der Todesfälle durch eine bestimmte Krankheit geteilt durch die Anzahl der spezifischen Erkrankungen. Obwohl die jährliche Grippewelle weltweit zuschlägt, sterben relativ gesehen nur sehr wenige Erkrankte an ihr. Dafür infizieren sich jedes Jahr zahlreiche Menschen mit Influenzaviren. Allein 2018 und 2019 zählten die USA 35,5 Millionen Fälle mit 490.000 Krankenhauseinweisungen und 34.200 Todesfällen. Diese große Menge an Infektionen ist auch der Grund, weshalb Ärzte und offizielle Stellen eine Grippeimpfung empfehlen.

    SARS hatte eine Letalitätsrate von zehn Prozent, was deutlich mehr ist als bei Influenzaviren. Das neue Coronavirus bewegt sich aktuell etwa bei drei Prozent – ungefähr so viel wie die Spanische Grippe von 1918.

    Sollte das neue Coronavirus sich so weit ausbreiten, dass es Millionen von Menschen infiziert, könnte es durchaus zu verheerenden Todeszahlen kommen. Anders als bei Influenza ist Landon zufolge die gesamte Bevölkerung des Planeten für die Erkrankung anfällig, weil sie völlig neu ist und bislang noch kein Impfstoff oder andere spezifische Behandlungen existieren.

    Die Gesundheitsbehörden und die Öffentlichkeit sind also darauf beschränkt, die Infektionen einzudämmen. Das geht über persönliche Hygiene wie Händewaschen über den reduzierten Kontakt zu Betroffenen bis hin zu Quarantänemaßnahmen. Laut Monto könnte all das dabei helfen, das Virus einzudämmen, wie es schon im Falle von SARS gelang.

    „Es besteht die Hoffnung, dass wir [den Ausbruch] mit den Standardmaßnahmen kontrollieren können – weil das alles ist, was wir haben“, sagt er. „Gegen die Grippe haben wir Impfungen und ein paar antivirale Mittel. Gegen das Coronavirus haben wir gar nichts.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Am 31.07.2020 wurde der Artikel überarbeitet.

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