Kann das Coronavirus Chinas Wildtiermärkten ein Ende setzen?

In Chinas staatlichen Medien und sozialen Netzwerken nimmt eine ungewöhnliche Dynamik Fahrt auf: Die Stimmen für ein permanentes Handelsverbot mit lebenden Wildtieren werden lauter.

Von Natasha Daly
Veröffentlicht am 30. Jan. 2020, 16:11 MEZ
Markt in Shenzhen
Auf einem Markt in Shenzhen werden lebende Reptilien und Säugetiere zum Verkauf angeboten. In China dürfen 54 Tierarten legal für den Verzehr gehandelt werden. Die neue Coronavirus-Epidemie hat den Handel mit lebenden Wildtieren nun in Licht der internationalen Aufmerksamkeit gerückt.
Foto von AFP, Getty

Im September 2019 rief eine Gruppe von Naturschützern die Polizei an: Auf einem Bauernhof bei Peking hatten sie Tausende lebender Vögel in einer Scheune gefunden. Die Polizei beschlagnahmte die etwa 10.000 Tiere und ließ sie später wieder frei. Die Vögel waren illegal eingefangen worden und sollten an Restaurants und Märkte im Süden Chinas verkauft werden. Unter ihnen befanden sich auch Weidenammern – eine vom Aussterben bedrohte Singvogelart, deren Bestand in den letzten 15 Jahren rapide eingebrochen ist, weil sie in einigen Teilen Chinas gern gegessen wird.

Die Ausbreitung des neuen Coronavirus 2019-nCoV, dessen Ursprung ein Tiermarkt in Wuhan zu sein scheint, hat den Wildtierhandel in China ins Licht der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Am 26. Januar verhängte die Regierung ein temporäres Verbot für den Wildtierhandel, bis die Krise vorüber ist. Bilder von kranken, leidenden Tieren auf solchen Märkten und von Fledermäusen, die lebendig in Suppe gekocht werden, gingen durch die Medien. Sie lösten nicht nur eine weltweite Welle der Empörung aus, sondern erweckten auch den Eindruck, dass der Kauf lebender Tiere für den Verzehr in China ein weit verbreitetes Phänomen ist.

Auf dem Tiermarkt in Wuhan, wo die Coronavirus-Epidemie im Dezember 2019 begann, trägt ein Arbeiter einen lebenden Salamander weg, nachdem der Markt geschlossen wurde.
Foto von Feature China, Barcroft Media, Getty

Die Realität ist etwas komplexer. In der Millionenmetropole Guangzhou im Süden Chinas, in die auch regelmäßig Weidenammern geliefert werden, scheint der Verzehr von Wildtieren überdurchschnittlich verbreitet zu sein. Peking bildet das andere Extrembeispiel dazu – dort trifft man die Praktik äußerst selten an.

Tatsächlich betrachten viele Chinesen den Verzehr von Wildtieren als kulturellen Ausreißer. Die staatlichen Medien wie „China Daily“ haben vernichtende Leitartikel publiziert, die die Praxis verurteilen und sich für ein permanentes Verbot des Wildtierhandels aussprechen. Diese Haltung wird auch in den staatlich zensierten sozialen Medien wie Weibo von tausenden chinesischen Bürgern geteilt und verbreitet. Das deutet darauf hin, dass die chinesische Regierung die Weiterentwicklung dieser Dynamik ganz bewusst zulässt.

Aufnahmen zeigen, wie ein Faultier gefangen und auf dem Schwarzmarkt verkauft wird

Welches Ausmaß der Handel mit lebenden Wildtieren in China konkret hat, ist Experten zufolge unklar. Viele Tiere werden illegal gejagt, importiert und exportiert, entweder als Nahrungsmittel, Heilmittel, Trophäen oder Haustiere. Die Industrie rund um die traditionelle chinesische Medizin setzt auf den alten Glauben, dass den Körperteilen von Tieren heilende Kräfte innewohnen. Sie ist einer der großen treibenden Faktoren hinter dem Handel.

Die Nachfrage an den Schuppen des Schuppentiers, die in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet werden, ist so hoch, dass Schuppentiere mittlerweile die am häufigsten geschmuggelten Säugetiere der Welt sind.
Foto von Fritz Hoffmann, Nat Geo Image Collection

Die Regierung gestattet die Zucht und den Verkauf von insgesamt 54 Wildtierarten, darunter Nerze, Strauße, Hamster, Schnappschildkröten und Siam-Krokodile. Viele Wildtiere wie Schlangen und Raubvögel werden aber in der Wildnis gefangen und dann in die staatlich lizenzierten Zuchtanlagen geschmuggelt, sagt Zhou Jinfeng. Er ist der Generalsekretär der China Biodiversity Conservation and Green Development Foundation. Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Peking half bei der Rettung der Vögel im September. Zhou zufolge behaupten einige Farmer, sie hätten ihre Tiere ganz legal zum Erhalt der Art in Gefangenschaft gezüchtet, verkaufen sie dann aber später an Märkte und Sammler.

Die Zahl der chinesischen Wildtiermärkte ist unbekannt, aber Experten schätzen, dass es mehrere hundert geben könnte. Für die meisten Käufer sind Frösche ein beliebtes und preiswertes Lebensmittel, erklärt Peter Li, der für die Humane Society International als Politikexperte für China tätig ist. Li ist ein Professor für Ostasienwissenschaften an der University of Houston-Downtown. Im hochpreisigen Bereich können sich nur Wohlhabende Suppe mit Fleckenmusang, frittierte Kobra oder geschmorte Bärentatze leisten.

Galerie: Wie die traditionelle chinesische Medizin Tierarten gefährdet

Li selbst ist mit solchen Gerichten nicht aufgewachsen. „Meine Eltern haben nie Wildtiere zubereitet und wir haben nie welche gegessen. Ich habe nie Schlange probiert – geschweige denn Kobra.“

Rebecca Wong, eine Professorin für Soziologie und Verhaltenswissenschaften an der City University of Hongkong, veröffentlichte 2019 ein Buch über den illegalen Wildtierhandel in China. Darin erklärt sie, dass der Verzehr von Wildtierprodukten „auf dem chinesischen Festland ein verbreitetes Phänomen“ ist. Allerdings warnt sie davor, aus diesem Umstand vorschnell Stereotype abzuleiten. Sie argumentiert, dass das Konzept des „asiatischen Superkonsumenten“ ein Mythos und der Konsum von komplexen Motivationen getrieben sei, darunter auch Konformitätsdruck, sozialer Druck und dem impulsiven Streben nach einem höheren Status.

Am 26. Januar 2019 werden lebende Frösche zum Verkauf auf einem Markt in Shanghai angeboten. An diesem Tag erließ die chinesische Regierung aufgrund der Coronavirus-Epidemie ein temporäres Verbot für den Handel mit lebenden Wildtieren.
Foto von Edwin Remsberg, VW Pics, Ap

Eine Studie aus dem Jahr 2014, für die mehr als 1.000 Menschen in fünf chinesischen Städten interviewt wurden, offenbarte die extrem unterschiedlichen Praktiken in verschiedenen Landesteilen. In Guangzhou hatten 83 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr wilde Tiere gegessen. In Shanghai waren es 14 Prozent und in Peking nur 5 Prozent. Insgesamt hatten landesweit mehr als die Hälfte der Befragten gesagt, dass Wildtiere generell nicht gegessen werden sollten.

Gleiche Stadt, verschiedene Kulturen

Charles, 22, und Cordelia, 18, sind Studenten in Guangzhou, wo der Verzehr von Wildtieren überdurchschnittlich hoch ist. National Geographic sprach mit ihnen über Instagram, wo sie englische Namen benutzen. (Beide baten darum, ihre echten Namen nicht zu verwenden. Instagram ist in China verboten, aber wie viele junge Menschen dort nutzen sie die App über VPNs.)

Charles zufolge essen die Menschen in seiner Gemeinde häufig wilde Tiere, auch wenn seine eigene Familie sich daran nur selten beteiligt. Er selbst probiert das Fleisch nur gelegentlich und aus Neugier. „Heutzutage kaufen das eher ältere Menschen als jüngere“, sagt er. Er glaubt, das liege am Bildungsgrad.

Gemüseverkäufer in Peking tragen einen Mundschutz bei der Arbeit. Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigte, dass nur 5 Prozent der Pekinger im vorigen Jahr Wildfleisch gegessen hatten.
Foto von Kevin Frayer, Getty

Cordelia lebt im Innenstadtbereich von Guangzhou. Dort sei die Praktik weder in ihrer Familie, noch in der größeren Gemeinde verbreitet. „Meine Freunde und Familie essen nicht gern wilde Tiere. Wir finden das eklig.“ Sie erklärt, dass sie das als „respektlos und als Missachtung der Natur“ betrachtet. Aber sie hat Hoffnung, dass die aktuelle Epidemie auch andere Menschen dazu bewegen kann, ihre Haltung zu ändern. „Ich denke, nach dieser furchtbaren Ausbreitung des Coronavirus werden die Leute begreifen, dass der Glaube an die heilsame Wirkung von Wildfleisch sich nicht bewährt.“

Cordelia und Charles sprechen sich für ein permanentes Verbot des Wildtierhandels aus und sagen, dass sie auf Weibo ebenfalls viel Unterstützung dafür gesehen haben.

Der von Cordelia erwähnte Glaube an die gesundheitlichen Vorteile des Fleisches spiegelt sich auf den Märkten wider. Lebende Tiere erzielen dort deutlich höhere Preise als tote. „Die Leute glauben, dass das Fleisch nahrhafter ist, wenn das Tier noch lebt“, sagt Li. „Selbst, wenn es im Sterben liegt – aber es lebt eben noch.“

Tiermärkte als „Infektionskessel“

Auf den Märkten geht es den Tieren oft furchtbar. „Sie liegen im Sterben, sind durstig, stecken in rostigen Käfigen und sind dreckig“, so Li. Manchen fehlen Gliedmaßen oder sie haben offene Wunden – Spuren ihrer Begegnungen mit den Fallen und Waffen der Jäger. Manche verletzten sich auch während des Transports. „Die Händler gehen nicht sehr sorgsam mit ihnen um. Sie schmeißen die Käfige auf den Boden, wenn sie sie ver- und entladen. Die Tiere leiden sehr.“

Die chaotischen Zustände ermöglichen die Ausbreitung von Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, erklärt Christian Walzer. Er ist der Cheftierarzt der Wildlife Conservation Society mit Sitz in den USA. Wilde Tiere tragen Viren in sich, mit denen Menschen „im Normalfall gar nicht in Kontakt kommen würden“. Die Tiere selbst sind aber nicht krank, sondern fungieren als „stille Reservoirs“. Je weiter wir in den Lebensraum der Tiere eindringen, desto mehr setzen wir uns dem Risiko aus, uns anzustecken.

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Siebzig Prozent aller Zoonosen stammen von Wildtieren, sagt Erin Sorrell, eine Professorin am Institut für Mikrobiologie und Immunologie an der Georgetown University in Washington, D.C. Solche Krankheiten können ihr verheerendes Potenzial weltweit entfalten: HIV, Ebola und SARS zählen vermutlich zu den bekanntesten Fällen mit globalen Auswirkungen.

Auf den Tiermärkten in China und anderen Ländern Südostasiens werden mitunter bis zu 40 verschiedene Arten – Vögel, Säugetiere und Reptilien – „übereinandergestapelt“, so Walzer. Die Durchmischung der Luft und der Ausscheidungen ermöglicht den Austausch von Viren, sodass sich potenziell neue Stämme entwickeln könnten. Walzer bezeichnet das Ganze als „Infektionskessel“.

Bislang deuten die Befunde darauf hin, dass das Coronavirus aus Wuhan seinen Ursprung in Fledermäusen hatte. Welche Art das Virus dann auf Menschen übertrug, ist noch nicht bekannt. Bei einer Untersuchung des Marktes konnte das Virus aber im Marktbereich mit den lebenden Wildtieren nachgewiesen werden.

Das Ringen um Verbote

Viele Naturschützer glauben, dass Chinas temporäres Verbot des Wildtierhandels – das sowohl Märkte als auch Supermärkte und den Onlinehandel betrifft und eine Quarantäne der Zuchtanlagen einschließt – weitgehend erfolgreich sein wird. Die Regierung hat eine Hotline für die Meldung von Verstößen eingerichtet. „Das ist ein Notfall“, sagt Peter Li. „Alle passen auf. Jeder Händler, der gegen das Verbot verstößt, wird gemeldet.“ Noch dazu senkt die Angst vor dem Coronavirus wahrscheinlich die Nachfrage. Selbst, wenn Händler illegal wilde Tiere zum Verkauf anbieten, werden viele Menschen aktuell wohl lieber keinen Kauf riskieren.

China hat bereits in der Vergangenheit Verbote erlassen. Auf dem Höhepunkt der SARS-Epidemie im Jahr 2003 sprach die Regierung ein temporäres Verbot für den Wildtierhandel aus. Sechs Monate später wurde es wieder aufgehoben und die Zuchtanlagen konnten den Betrieb wiederaufnehmen. Li zufolge lässt sich nur schwer sagen, ob der Handel mit lebenden Wildtieren in den letzten zwei Jahrzehnten insgesamt wieder zugenommen hat. Er glaubt aber, dass mittlerweile ein größerer Teil der Transaktionen heimlich stattfinden, um gesetzliche Kontrollen zu umgehen.

Ein Musang sitzt 2003 zum Verkauf in einem Käfig auf einem Mark in Südchina. Damals war der Höhepunkt der SARS-Epidemie gerade erreicht. Wahrscheinlich haben Musangs das SARS-Virus auf Menschen übertragen. Heute gilt Musangsuppe für einige Menschen in China nach wie vor als Delikatesse.
Foto von AFP, Getty

Es besteht immer das Risiko eines erneuten Ausbruchs, merkt Sorrell an. „Es gab eine Lücke von 15 bis 16 Jahren [seit SARS], aber wer kann schon wissen, ob es wieder 16 Jahre dauern wird, bis die nächste Krankheit aus einem dieser Tiermärkte hervorgeht?“

Damit das temporäre Verbot permanent werden kann, müsste auch geklärt werden, was es alles umfasst. Einige Formulierungen sind vage und lassen Spielraum für Interpretation. Betrifft das Verbot beispielsweise auch trockene Tierbestandteile wie Knochen und Schuppen? Experten zufolge sollte es das, aber die Formulierung lässt keinen eindeutigen Schluss zu.

Ein permanentes Verbot würde allerdings mit diversen Geschäftsinteressen kollidieren, sagt Li. Das Ministerium für die Forstbewirtschaftung, das die Lizenzen für die Zuchtanlagen herausgibt, „ist seit Langem ein Fürsprecher der Wildtier-Interessengruppen“, sagt er. (Ein kontaktierter Sprecher des Ministeriums hatte bis zum Publikationszeitpunkt nicht auf die Bitte um einen Kommentar reagiert.)

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Sorrell betont, wie wichtig es ist, das Anliegen eines permanenten Verbots vorsichtig anzugehen.

„Ich würde Wildtiere gerne von den Märkten verschwinden sehen. Punkt“, sagt sie. Wenn ein Verbot aber überstürzt veranlasst wird, könnte der gesamte Wildtierhandel in den Untergrund wechseln. Dann wäre es „noch gefährlicher, wenn solche Produkte konsumiert werden, weil wir nicht sehen können, wo sie konsumiert werden und woher sie stammen“.

„Damit ein Verbot wirksam ist, wird es wichtig sein, auch die Bürger zu überzeugen“, merkt Caroline Dingle an. Die Evolutionsbiologin der University of Hong Kong erforscht Wildtierverbrechen. „Die Menschen müssen daran glauben, dass der Verzehr von Wildtieren für sie persönlich schlecht ist, damit ein Verbot langfristig funktioniert.“

Falls es tatsächlich zu einem permanenten Verbot kommt, sei es Li zufolge wichtig, dass die Regierung die Züchter kompensiert, damit sie die finanzielle Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen.

Derweil scheint die Lage für die Weidenammern, die durch die exorbitante Bejagung am Rande der Ausrottung stehen, trotz Verbot düster: Obwohl ihr Fang bereits gegen das Gesetz verstößt, werden sie nach wie vor in großer Zahl gehandelt.

Für die 18-jährige Cordelia aus Guangzhou steht das Leben derzeit still. Die Universität ist geschlossen und sie kann ihre Familie nicht besuchen. Im Hinblick auf die aktuelle Krise, die aus einer kulturellen Praktik erwuchs, mit der sie nichts anfangen kann, sagt sie: „Ich glaube, die Natur gibt uns das zurück, was wir ihr geben.“

Sie verweist wieder auf die einheitliche Stimmungslage, die sie infolge der Krise sowohl auf Weibo als auch in den Zeitungen beobachtet. „Ich glaube“, schreibt sie über Instagram, „dass eine revolutionäre Veränderung absolut möglich ist.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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