Kinder & Corona: So wirkt das Virus im Körper

Viele Schulen bereiten sich auf eine Wiedereröffnung vor, dabei sind noch viele Fragen zur Ansteckungsgefahr und Übertragungsrate bei Kindern offen.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 28. Juli 2020, 14:08 MESZ
Eine Mutter sieht zu, wie die Temperatur ihrer Tochter in einer Durchfahrt-Klinik in Südkorea gemessen wird. ...

Eine Mutter sieht zu, wie die Temperatur ihrer Tochter in einer Durchfahrt-Klinik in Südkorea gemessen wird. Eine kürzlich vom südkoreanischen Center for Disease Control veröffentlichte Studie mit 65.000 Personen ergab, dass Kinder über zehn Jahren das Virus mit derselben Wahrscheinlichkeit verbreiten wie Erwachsene.

Foto von Chung Sung-Jun, Getty Images

Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie sind Kinder von den schlimmsten gesundheitlichen Auswirkungen von COVID-19 weitgehend verschont geblieben. Dasselbe Virus, das einen 50-Jährigen töten kann, könnte einen Vierjährigen völlig unversehrt lassen.

In den USA hat die Gesundheitsbehörde CDC mittlerweile eine Empfehlung für eine Wiedereröffnung der Schulen im Herbst ausgesprochen. Die gesundheitlichen Risiken wurden dabei gegen andere Faktoren abgewogen. Besonders Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien könnten den Stoff zu Hause oft nicht so effektiv oder mit so viel Unterstützung nachholen wie ihre Altersgenossen. Schulmahlzeiten, Nachmittagsbetreuung, Impfungen und Sozialkontakte fallen aus. Auch in Deutschland soll die Schule Anfang August in mehreren Bundesländern wieder losgehen.

„Kinder leiden auf andere Weise als Erwachsene“, sagt die Kinderärztin Megan Tschudy von der medizinischen Fakultät der Johns-Hopkins-Universität über die Krankheitsverläufe bei den jüngsten Patienten.

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Die Wissenschaftler verstehen jedoch noch immer nicht genau, wie das Virus auf Kinder wirkt und ob sie es auf ihre älteren Bezugspersonen übertragen können. Es ist insgesamt ein kleines Rätsel, warum verschiedene Arten von Coronaviren – darunter COVID-19 und seine viralen Vettern SARS und MERS – in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich schwere Erkrankungen auslösen, sagt Rachel Graham, eine Epidemiologin an der University of North Carolina Chapel Hill.

Graham hatte im März zum ersten Mal mit National Geographic über die Auswirkungen von COVID-19 auf Kinder gesprochen. Seither habe sich unser Wissen darüber, warum das Virus Kinder anscheinend verschont, nicht wirklich vertieft, erzählt sie. Vermehrte Tests haben zwar gezeigt, dass sich mehr Kinder mit dem Virus infizieren können, als wir bisher dachten. Aber dennoch können Experten nur mutmaßen, warum sie von der schweren Verlaufsform von COVID-19, die so viele Erwachsene befällt, weitgehend verschont bleiben.

Weiterhin unklar ist auch, wie stark Kinder das Virus verbreiten können, sowohl untereinander als auch bei Erwachsenen. Eine umfassende Studie mit fast 65.000 Kindern, die vom South Korean Center for Disease Control veröffentlicht wurde, befasste sich mit genau diesem Thema. Sie zeigte, dass Kinder im Alter von 10 bis 19 Jahren COVID-19 in Haushalten genauso wirksam verbreiten können wie Erwachsene. 

Laut CDC sind nur 2 Prozent der COVID-19-Fälle in den USA bei Kindern unter 18 Jahren aufgetreten. Aber die von Bloomberg gesammelten Daten zeigen, dass diese Rate je nach Region stark variieren kann. Bislang sind in den USA 20 Kinder unter fünf Jahren an COVID-19 gestorben.

Bei einem kleinen Prozentsatz der Minderjährigen, die positiv auf COVID-19 getestet werden, entwickelt sich ein lebensbedrohliches Krankheitsbild: MIS-C, ein multisystemisches Entzündungssyndrom. Bislang ist unklar, ob die Krankheit andere langfristige Folgen hat.

„[MIS-C] hinterlässt bleibende Narben in der Lunge und kann zu schwereren Erkrankungen führen“, sagt Graham. Aber, so fügt sie hinzu, „solche Dinge müssen längerfristig bei Kindern untersucht werden, die sich von der Krankheit erholt haben“. Und weil sehr junge Menschen von solch schweren Krankheiten weitgehend verschont geblieben sind, „gibt es viel weniger Forschung zu ihnen und viel weniger Tests“, sagt Tschudy.

In den Vereinigten Staaten läuft derzeit eine umfangreiche Studie, die genauer ergründen soll, wie sich Kinder mit COVID-19 anstecken. Gleichzeitig müssen sich Eltern und Kinderärzte trotz steigender Infektionszahlen auf das bevorstehende Schuljahr vorbereiten.

Wie effektiv übertragen Kinder COVID-19?

„Bei ansonsten gleichen Voraussetzungen übertragen Kinder viel eher Dinge“, sagt Graham. Sie verweist darauf, dass Kinder besonders dazu neigen, sich anzufassen und alle möglichen Gegenstände und Körperteile zu berühren. Allerdings gebe es ihr zufolge nicht genügend Daten, die zeigen, dass sie das Virus ebenso häufig wie Erwachsene übertragen.

Während die Studie aus Südkorea zeigte, dass Kinder über zehn Jahren das Virus effektiv verbreiten, war es bei viel jüngeren Kindern 72 Prozent weniger wahrscheinlich, dass sie die Krankheit auf Erwachsene übertragen.

Trotzdem ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass ein Kind unter zehn Jahren das Virus übertragen könnte. In einer Studie wurde festgestellt, dass schon sehr junge Kinder Spuren des Virus hinterlassen. Wie infektiös diese Überreste waren, ist unklar. Eine andere Studie konnte die Bewegungen eines COVID-19-positiven Neunjährigen zurückverfolgen, der drei Schulen besuchte, ohne das Virus zu übertragen. Hygienekonzepte scheinen bei der Übertragung eine große Rolle zu spielen: Kinderbetreuungseinrichtungen, die während der Pandemie offenblieben, haben von großen Ausbrüchen bis hin zu infektionsfreien Tagesstätten ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

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Eine Theorie zur geringeren Übertragungsrate von Kindern hat mit der Tröpfcheninfektion zu tun: Kinder atmen einfach weniger stark aus – und zudem eher in Bodennähe.

„Wer Kinder hat, weiß, dass sie ziemlich laut schreien können. Das bedeutet aber nicht zwingend eine weitere Verbreitung [der Tröpfchen]“, sagt Barnett. Die lauten Kinderschreie seien einfach nicht so kraftvoll wie das Hustens oder Niesens eines Erwachsenen.

„Auch wenn sie in Gruppen zusammen sind, werden sie nicht zusammengepfercht wie Erwachsene in der New Yorker U-Bahn oder in Bars oder auf Sportveranstaltungen“, stellt sie fest.

Und wo ein kranker Erwachsener vielleicht trotzdem noch in ein gemeinsames Büro pendelt, sind Eltern oft vorsichtig und behalten ihre kranken Kinder zu Hause.

Letztlich, so Barnett, können Experten bislang aber nur Theorien aufstellen.

„Das Ganze ließe sich viel einfacher nachvollziehen, wenn man die Ergebnisse aus der Kontaktverfolgung hätte“, sagt Graham. „Die würden eine viel bessere Vorstellung davon vermitteln, wie viele Menschen miteinander in Kontakt kommen.“

Wieso erkranken junge Kinder nicht so schwer?

„Zu Beginn der Pandemie wusste man bei allen Altersgruppen einfach so wenig“, sagt Tschudy. „Man ging davon aus, dass alle Altersgruppen gleichermaßen betroffen sein könnten, weshalb sehr viele Vorbereitungen getroffen wurden.“ Womöglich haben auch frühe Schulschließungen dazu beigetragen, die Kinder vor dem Virus zu schützen, so Tschudy.

Zudem beschränkten sich Tests auf Patienten, die sichtbare Anzeichen einer möglichen COVID-19-Infektion zeigten. Tschudy verweist darauf, dass infizierte, aber asymptomatische Kinder deshalb vielleicht gar nicht auffielen.

Ein Enzym namens ACE2 steht im Mittelpunkt einer der aktuell vorherrschenden Theorien darüber, warum Kinder unter zehn Jahren nicht so schlimm zu erkranken scheinen. Wenn SARS-CoV-2 in den Körper eindringt, heften sich die Proteine, die das Virus umgeben, an eben jenes Enzym. Darüber dringen sie dann in die Zellen ein und beginnen, sich zu vermehren.

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„Eine der Theorien besagt, dass Kinder die [ACE2-] Rezeptoren für dieses Virus eher in der Nase [und] in den oberen Atemwegen als in der Lunge haben. Erwachsene haben diese Rezeptoren in der Lunge“, sagt Elizabeth Barnett, die Leiterin für pädiatrische Infektionskrankheiten am Boston Medical Center und Professorin für Pädiatrie an der Boston University School of Medicine.

Die Produktion von mehr ACE2-Rezeptoren in der Lunge sei eine Theorie dafür, warum Erwachsene schwerere COVID-19-Verläufe haben, erklärt sie.
Eine Studie mit 305 Personen im Alter von 4 bis 60 Jahren ergab, dass die ACE2-Enzyme bei Kindern unter zehn Jahren am wenigsten aktiv waren.

Eine Studie mit 305 Personen im Alter von 4 bis 60 Jahren ergab, dass die ACE2-Enzyme bei Kindern unter zehn Jahren am wenigsten aktiv waren.

Ihr widerstandsfähigeres und anpassungsfähigeres Immunsystem könnte Kleinkindern ebenfalls helfen, die Krankheit abzuwehren, sagt Alvaro Moreira, ein Neonatologe am University of Texas Health Science Center in San Antonio. Er beschreibt zwei Angriffsmethoden, des menschlichen Immunsystems: „eine, die kein Gedächtnis benötigt, und eine, die eines benötigt“.

Im Laufe unseres Lebens kommen wir unvermeidlich immer wieder mit Bakterien und Viren in Kontakt. Das Immunsystem unseres Körpers bildet daraufhin Zellen, die sich an bestimmte Viren erinnern und sie später effizienter angreifen können. Der Körper eines Kindes, der dieses Gedächtnis noch aufbaut, ist deshalb eher auf die andere Angriffsmethode des Immunsystems angewiesen.

„Das ist das angeborene Immunsystem“, sagt Moreira. „Und wir wissen, dass bei Kindern die Wahrscheinlichkeit einer überbordenden angeborenen Reaktion geringer ist“, sagt Moreira.

Wenn das angeborene Immunsystem angreift, gehen Immunzellen wahllos gegen Krankheitserreger vor, die in den Körper eindringen. Während dieses Angriffs setzt der Körper auch besondere Moleküle namens Zytokine frei, die den Zellen helfen, miteinander zu kommunizieren. Wenn das Immunsystem aber zu viele Zytokine freisetzt, greifen sie auch gesundes Gewebe an. Einige der am schwersten erkrankten erwachsenen COVID-19-Patienten sind aufgrund solcher „Zytokinstürme“ gestorben.

Kinder neigen zu einem niedrigeren Zytokinspiegel, damit sie vor solchen Stürmen geschützt sind, sagt Tschudy. Womöglich liege das daran, dass „kleine Kinder ständig neuen Infektionen ausgesetzt sind. Wenn ihr Körper also einem neuen Virus wie COVID-19 [sic] ausgesetzt ist, ist ihr Immunsystem möglicherweise darauf vorbereitet, gerade stark genug zu reagieren, um das Virus zu bekämpfen und ihrem Körper keinen Schaden zuzufügen“.

Welche Kinder haben ein höheres Risiko?

Auch wenn das Immunsystem eines Kindes biologisch darauf vorbereitet zu sein scheint, COVID-19 abzuwehren, sind nicht alle Kinder gleichermaßen betroffen.

„Die überwiegende Mehrheit der Kinder mit schweren COVID-Verläufen hat oft andere Risikofaktoren“, sagt Philip Zachariah, ein Spezialist für pädiatrische Infektionskrankheiten an der Columbia University und Epidemiologe am New York-Presbyterian Morgan Stanley Children's Hospital.

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In einer von ihm veröffentlichten Studie überprüfte Zachariah 50 Fälle von Kindern, die wegen COVID-19 ins Krankenhaus eingewiesen wurden. Bis auf ein Kind erholten sich alle Patienten. Bei Kindern über zwei Jahren gab es einen Zusammenhang zwischen Adipositas und schwereren Krankheitsverläufen. Zachariah betont aber, dass dies möglicherweise einfach nur die Zusammensetzung jener Stadtviertel widerspiegelt, die im Einzugsbereich seines Krankenhauses liegen.

„Ich denke, die Daten stimmen im Allgemeinen mit dem Umstand überein, dass Kinder aus anderen Ethnien und aus Haushalten mit niedrigem Einkommen häufiger betroffen sind“, sagt er.

Insgesamt, so sagt er, scheinen selbst junge Kinder, die krank werden, mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder zu genesen als kranke Erwachsene. Dieselben Infektionsschutzmaßnahmen, die für Erwachsene gelten – Social Distancing, Mund-Nasen-Schutz und Händewaschen –, helfen letztlich aber auch Kindern dabei, das Virus einzudämmen.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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