Phosphan-Streit: Doch keine Lebenszeichen auf der Venus?

Die mutmaßliche Entdeckung großer Phosphanmengen in den Venuswolken könnte das Ergebnis fehlerhafter Datenverarbeitung sein. Aber noch ist die Suche nicht vorbei.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 26. Okt. 2020, 15:39 MEZ
Dieses kolorierte Bild der Venus wurde am 14. Februar 1990 von der Raumsonde Galileo aus einer ...

Dieses kolorierte Bild der Venus wurde am 14. Februar 1990 von der Raumsonde Galileo aus einer Entfernung von fast 2,7 Millionen Kilometern aufgenommen. Es wurde bläulich eingefärbt, um subtile Kontraste in den Wolkenmarkierungen hervorzuheben.

Foto von NASA, JPL

Astronomen fanden kürzlich einen faszinierenden Hinweis darauf, dass Leben durch die Wolken der Venus wehen könnte. Aber es scheint, dass die Jagd nach außerirdischem Leben noch lange nicht vorbei ist, denn neue Forschungen stellen diese Entdeckung bereits in Frage.

Der im September 2020 verkündete Nachweis von Phosphan in der Venusatmosphäre löste einen Sturm von Spekulationen darüber aus, ob das Gas von außerirdischen Mikroben auf dem Planeten produziert werden könnte. Drei unabhängige Studien konnten nun jedoch kein Phosphan in der Venusatmosphäre nachweisen.

Eine der Gruppen nutzte archivierte Beobachtungsdaten, um nach Anzeichen des Gases in den Wolken des Planeten zu suchen, fand aber nichts.

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„Sie sagen, dass sie dort kein Phosphan sehen. Das ist wirklich problematisch“, sagt Conor Nixon, ein Planetenforscher am Goddard Space Flight Center der NASA, der an der Analyse nicht beteiligt war. Die Studie wurde von Fachkollegen begutachtet und zur Veröffentlichung in „Astronomy & Astrophysics“ genehmigt.

Zwei weitere Gruppen bearbeiteten die Originaldaten des Entdeckungsteams erneut und konnten ebenfalls keinen Nachweis für Phosphan finden.

Doch der Nachweis eines schwachen Signals von einem bestimmten Molekül auf einem anderen Planeten ist ein komplexer Prozess. Die Autoren der ursprünglichen Studie sind nicht überrascht, dass andere Wissenschaftler ihre Arbeit genauer unter die Lupe nehmen.

„Das ist normal. So sieht Wissenschaft aus. Wenn es sich um Daten handeln würde, die man mit bloßem Auge hätte betrachten und Phosphan sehen können, wäre es schon vor langer Zeit entdeckt worden“, sagt Clara Sousa-Silva vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, eine der Autorinnen. „Ich bin so erleichtert, dass sich die Leute endlich diese Daten anschauen und dass nicht nur wir uns damit befassen.“

Wie entdeckte das Team Phosphansignale auf der Venus?

Die erste Entdeckung, die im September im Fachmagazin „Nature Astronomy“ veröffentlicht wurde, ergab, dass es in den dichten, schwefelhaltigen Venuswolken mehr als die tausendfache Menge an Phosphan im Vergleich zur Erdatmosphäre gibt. Auf Gesteinsplaneten wie der Venus und der Erde gelten die Bedingungen als nicht extrem genug, um ohne die Anwesenheit von Leben Phosphanmoleküle zu produzieren. Es wäre entweder eine Art Stoffwechsel oder ein unbekannter chemischer Prozess erforderlich, um die hohen Mengen an Phosphangas in der Venusatmosphäre zu erklären. (Auf der Erde stellen verschiedene Mikroben Phosphan her. Auch Menschen produzieren es – in Meth-Labs und der Halbleiterindustrie).

Das Team identifizierte Phosphan mit zwei Instrumenten, die Radiowellen beobachten. Zunächst fanden Jane Greaves und Kollegen von der Cardiff University 2017 mit dem James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) auf Hawaii etwas, das nach Phosphan aussah. Aber diese Beobachtung musste noch bestätigt werden. 2019 wandte sich das Team deshalb einem leistungsfähigeren Instrument zu: dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA), einem Netzwerk aus 66 Radioantennen in den nordchilenischen Anden.

BELIEBT

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    In den ALMA-Daten fand das Team ein schwaches Signal bei der Frequenz, bei der Phosphanmoleküle in der Venusatmosphäre Energie absorbieren würden – eine sogenannte Spektrallinie. Wenn Phosphan wirklich in so großen Mengen auf der Venus vorhanden ist, so argumentierte das Team, wäre sein Vorhandensein schwer zu erklären, wenn es nicht biologisch produziert würde. (Eine Neuanalyse von Daten der Sonde Pioneer-Venus, die Ende der Siebziger die Venus besuchte, liefert vorsichtige Hinweise auf das Vorhandensein von Phosphan, kann es aber nicht zweifelsfrei bestätigen).

    Dennoch zweifelten einige Wissenschaftler. Damals stellte John Carpenter vom ALMA-Observatorium die Analysetechnik des ursprünglichen Teams infrage. Er vermutete, dass ihr Verfahren möglicherweise falsche Signale erzeugt haben könnte.

    Darüber hinaus suchen Astronomen im Allgemeinen nach mehreren Spektrallinien, die vom gleichen Molekül erzeugt werden, um seine Präsenz zu bestätigen – Beobachtungen, die das Team nicht hatte.

    „Ist die Spektrallinie wirklich vorhanden, und ist sie signifikant?“ fragt sich Nixon. „Wenn es eine Linie gibt, ist es Phosphan? Und wenn ja, ist es Leben?“

    Ein zweiter Blick wirft Zweifel auf

    Zum Zeitpunkt der Verkündung versuchte das Team noch, seine Entdeckung zu bestätigen. Dazu sollten Spektrallinien dienen, die mit Infrarot-Teleskopen entdeckt werden konnten. Diese Bemühungen wurden allerdings durch die Pandemie verzögert. Nun hat ein anderes Team, zu dem auch Greaves und Sousa-Silva vom ursprünglichen Entdeckungsteam gehören, einen Blick auf die Venus geworfen und dabei Archivdaten eines anderen Observatoriums verwendet: der Infrared Telescope Facility der NASA auf Hawaii.

    Diese Beobachtungen aus dem Jahr 2015 deuten nicht auf ein starkes Phosphansignal hin. Unter der Leitung von Therese Encrenaz vom Pariser Observatorium kommen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass die Daten eine Obergrenze für den in der Venusatmosphäre möglichen Phosphangehalt setzen. Dieser beträgt nur ein Viertel der ursprünglich festgestellten Menge. Die Beobachtungen deuten auch darauf hin, dass sich das Phosphan über den Wolken des Planeten befinden müsste, was Astronomen für unwahrscheinlich halten, da sich das Gas schnell zersetzen würde.

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    Sousa-Silva weist auf mehrere mögliche Erklärungen für den Mangel an Phosphan in den Infrarot-Beobachtungen hin. Die Phosphanmengen könnten im Laufe der Zeit schwanken, oder die Infrarotbeobachtungen haben die Wolken möglicherweise nicht tief genug sondiert, um das Gas in den vermuteten Mengen nachzuweisen. Selbst jetzt ist sich das Team nicht unbedingt einig darüber, in welcher Höhe die Infrarotbeobachtungen gemessen haben.

    „Ich vertraue auf die Arbeit von Encrenaz, also gibt es dort kein Phosphan“, sagt Sousa-Silva. „Die Frage ist nur, wo genau ist dort? Über welche Höhe reden wir? Und bedeutet das, dass wir tief genug sondieren und einfach kein Phosphan vorhanden ist, weil es nie da war? Bedeutet das, dass es kein Phosphan gibt, weil es variabel ist? Oder bedeutet es, dass wir nicht so tief sondiert haben, wie wir dachten?“

    Alte Daten neu bewertet

    Während Encrenaz und Mitglieder des Entdeckungsteams die IRTF-Daten sortierten, verarbeiteten zwei andere Teams nochmals die Originaldaten, auf denen die ursprüngliche Entdeckung basierte. Keine der beiden neuen, unabhängigen Analysen dieser Daten konnte unzweifelhafte Spuren des Gases finden.

    Die erste Gruppe, die mehr als zwei Dutzend Forscher umfasste, konnte sowohl in den JCMT- als auch in den ALMA-Daten keinen Nachweis für Phosphan finden. Das JCMT konnte zwar eine Spektrallinie mit der richtigen Frequenz nachweisen, aber das Team vermutet, dass sie durch Schwefeldioxidgas in der Venusatmosphäre erklärt werden kann, das zufällig eine Spektrallinie an der gleichen Stelle erzeugt.

    „Es ist ein bekanntes Gas auf der Venus“, sagt Nixon. „Keineswegs umstritten.“

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    Die Daten von ALMA, die extrem hochauflösende Beobachtungen liefern, waren schwieriger zu analysieren. Helle, nahe gelegene Objekte wie die Venus können hochempfindlichen Teleskopanordnungen wie ALMA Probleme bereiten. Um ein Signal aus den Venusbeobachtungen zu gewinnen, mussten die Astronomen das Radiorauschen von der Erdatmosphäre, der Venus selbst und sogar von der Ausrüstung des Observatoriums entfernen.

    „Das ist eine sehr knifflige Datenreduktion“, sagt Bryan Butler vom National Radio Astronomy Observatory, der Objekte im Sonnensystem mit ALMA untersucht und an der neuen Analyse gearbeitet hat. „Die Venus ist ein sehr helles und großes Objekt. Selbst die Entdeckung der Spektrallinie, wenn sie denn echt ist, bezieht sich immer noch auf eine sehr schwache Linie.“

    Als wäre das noch nicht kompliziert genug, hat das ALMA-Observatorium vor Kurzem einen Fehler in seinem Kalibriersystem festgestellt. Für Greaves und ihre Kollegen erzeugte dieser Fehler ein Spektrum der Venus mit viel Rauschen, mit dem sie arbeiten mussten. „Diese Daten sind chaotisch, verrauscht und heikel“, sagt Sousa-Silva. (ALMA hat die ursprünglichen Venusdaten aus dem Archiv entfernt und bereitet sie jetzt neu auf).

    „Am Ende ist man sich nicht mehr wirklich sicher, was man da gerade sieht.“

    Das ursprüngliche Entdeckungsteam suchte mit Hilfe einer Technik namens polynomieller Anpassung nach der Spektrallinie von Phosphan. Dafür entfernte es mathematisch das Hintergrundrauschen um den Bereich im Spektrum, in dem sich Phosphan befinden sollte. Im Prinzip ermöglicht es diese Art der Analyse den Astronomen, zu beurteilen, welche Teile der Beobachtungen Rauschen und welche reale Signale sind. Nachdem das Team das Spektrum geglättet hatte, um übermäßiges Rauschen zu entfernen, kamen die Astronomen zu dem Schluss, dass das Phosphansignal signifikant genug war, um es als Detektion bezeichnen zu können.

    Aber andere Astronomen sind skeptisch, was die Datenverarbeitung des Teams betrifft. Um das Phosphansignal aus einem so verrauschten Datensatz herauszuziehen, subtrahierte das Team das Hintergrundrauschen unter Verwendung eines Polynoms höherer Ordnung, was bedeutet, dass mehr Variablen als üblich zur Modellierung der Daten verwendet wurden. Darüber hinaus modellierte das Team das Hintergrundrauschen, indem es sich Teile des Spektrums außerhalb jenes Bereichs ansah, in dem es ein Phosphansignal erwartete. Diese Methode verhindert normalerweise, dass unbekanntes Rauschen ein mögliches Signal verdeckt. Durch die Kombination eines Polynoms hoher Ordnung mit einem verrauschten Datensatz ist es jedoch möglich, an der Stelle, an der sich Phosphan befinden würde, künstlich ein falsches Signal zu erzeugen.

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    „Man kann die Anpassung eines Datensatzes jederzeit verbessern, indem man weitere Variablen hinzufügt. Aber man muss eine Metrik definieren, die einem sagt, wann man aufhören muss“, erklärt Meredith MacGregor, eine Astronomin an der University of Colorado, Boulder. „Irgendwann kommt es sonst dazu, dass man Rauschen anpasst und Signale aufbläst, die nicht real sind.“

    Butler lud die ALMA-Daten herunter und begann bei Null: Er nahm einige der anfänglichen Kalibrierungen erneut vor und verarbeitete die Daten dann wie gewohnt. Er fand keine Hinweise auf Phosphan im Spektrum des Planeten.

    „Ich habe nur die meiner Erfahrung nach besten Methoden für die Reduktion dieser Art von Daten verwendet“, sagt Butler. „Wenn man es nicht so macht, wie sie es machen, bekommt man dieses Merkmal [von Phosphan] nicht.“ Als seine Kollegen die Daten mit den gleichen Methoden wie das ursprüngliche Entdeckungsteam behandelten, stellten sie außerdem fest, dass die polynomielle Anpassung falsche Spektrallinien erzeugen konnte.

    Eine weitere Analyse der ALMA-Daten unter der Leitung von Ignas Snellen vom Leidener Observatorium fand ebenfalls keine Anzeichen von Phosphan. Auch dieses Team berichtete, dass eine polynomielle Anpassung hoher Ordnung mehrere unechte Spektrallinien erzeugen könnte.

    „Sie haben gezeigt, dass dieser Anpassungsprozess wirklich problematisch sein kann“, sagt Nixon. „Es ist sehr launisch und kann Merkmale ebenso leicht erzeugen wie entfernen. Am Ende ist man sich nicht mehr wirklich sicher, was man da gerade sieht.“

    Greaves und ihr Team haben es abgelehnt, zu den neuen Analysen der ALMA-Beobachtungen Stellung zu nehmen, bis das Observatorium Gelegenheit hatte, die Daten neu zu verarbeiten.

    Noch immer gilt: Wir brauchen mehr Daten

    Diese Versuche, die Entdeckung des Phosphans zu bestätigen, laufen genauso, wie die Wissenschaft funktionieren soll, sagen viele der Astronomen. Unabhängige Wiederholungen der Ergebnisse sind nicht so üblich, wie sie sein sollten – obwohl sie für die Verifizierung von Entdeckungen ein Schlüsselfaktor sind. Eine endgültige Entscheidung über das Vorhandensein von Phosphan auf der Venus wird warten müssen, bis die neuen Analysen begutachtet und veröffentlicht worden sind – und dann nochmals überprüft wurden. Vielleicht werden auch zusätzliche Beobachtungen des Planeten nötig sein.

    „Wir brauchen Folgebeobachtungen, damit wir uns nicht auf einige wenige, sehr verrauschte Datensätze verlassen müssen“, sagt Sousa-Silva. „Die Lektion ist, auf mehr Analysen und mehr Daten zu drängen.“

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    Die Forscher sind zuversichtlich, dass sie mit der Zeit dem Geheimnis des Phosphans auf den Grund gehen werden. „Ich denke, die Wissenschaft korrigiert sich selbst, und im Idealfall brauchen wir heutzutage – mit dem Internet und allem – nicht Jahre, um Dinge selbst zu korrigieren“, sagt Nixon.

    Außergewöhnliche Behauptungen erfordern schließlich außergewöhnliche Beweise. „Wenn dieses Ergebnis falsch ist“, sagt Butler, „wäre es nicht das erste.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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