Winterblues: Hilft Licht gegen die Symptome?

Jeder Zweite klagt in der kalten Jahreszeit über ein Stimmungstief. Warum und wie Licht dunkle Gedanken vertreibt, erklärt ein Experte.
Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 15. Nov. 2021, 11:16 MEZ

Eben leuchten die Blätter an den Bäumen noch in herrlichen Farben und dann ist er plötzlich da: der Winter. Und mit ihm die Dunkelheit. 59 % der Deutschen klagen in der kalten Jahreszeit über getrübte Stimmung, Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Heißhunger - die häufigsten Symptome des sogenannten Winterblues.

So wie die Stimmung jedes zweiten Deutschen verändert sich das Verhältnis zwischen Licht und Dunkel in den Jahreszeiten: Während wir im Sommer täglich um die 16 Stunden Tageslicht zur Verfügung haben, ist es im Winter grade mal acht Stunden hell. Diese 16 Stunden Dunkelheit bedeuten acht Stunden weniger Licht im Winter – und die schlagen aufs Gemüt.

„Die Ursache für die körperlichen Symptome ist vor allem das fehlende Licht“, erklärt Herbert Plischke, Professor für Licht und Gesundheit an der Hochschule München. „Licht hat einen vielfältigen Einfluss auf den menschlichen Organismus, denn wir nutzen alle Bestandteile des Sonnenlichts: den sichtbaren Bereich mit allen Farben und die unsichtbare Strahlung, also auch Infrarot- und Ultraviolettstrahlung.“

Sonne tanken: Die Geschichte des Vitamin D
Nach einem langen, kalten Winter sind die ersten Anzeichen für den nahenden Frühling mehr als willkommen. Dunkle Wolken lösen sich auf, der graue Himmel wird blau und die Sonne zeigt sich mit mehr Kraft. Vielleicht ist es ein Urinstinkt, der uns dazu treibt, in kurzen Hosen und T-Shirt nach draußen zu gehen. Wir genießen den Sonnenschein und die warmen Strahlen auf unserer Haut fühlen sich nicht nur gut an, sie tun uns auch gut. Unsere Körper nehmen ultraviolettes Licht in einem einzigartigen chemischen Prozess auf, um das lebensnotwendige Vitamin D herzustellen.

Im Sommer Strahlung auftanken

Für den Bereich der unsichtbaren Strahlung gilt es, im Sommer die Depots für den Winter, in dem es relativ wenig UV-Strahlung im Außenlicht gibt, aufzufüllen. „Wir müssen uns im Sommer zwar vor der UVB-Strahlung schützen, doch eine Gewisse Menge Strahlung brauchen wir für die Vitamin D-Bildung.“ Vitamin D-Mangel kann bei Erwachsenen zu Depressivität und Stimmungsschwankungen führen. Im Sommer kann man aber schon dafür sorgen, die Psyche und den Knochenstatus gesund zu halten. „Die UVA-Strahlung sorgt nicht nur für braune Haut, sie ist auch wichtig für die Immunmodulation der Immunzellen, die unter der Haut sitzen“, sagt der Experte.

Blaulicht gegen den Winterblues

Für den Winterblues ist aber in erster Linie die Abwesenheit des sichtbaren Bereichs des Lichts verantwortlich. „Man hat vor 20 Jahren retinale Ganglienzellen im Auge entdeckt, die auf einen bestimmten blauen Bereich des Tageslichts ansprechen. Dieses Blau, mit einer Wellenlänge von ungefähr 480 Nanometern, stellt unsere innere Uhr und steuert damit die chronobiologische Funktion des Körpers“, sagt Plischke. Im Tageslicht gebe es immer diesen Blauanteil, weshalb die inneren Organe auf Aktivität eingestellt werden. „Nachts fehlt er, dann stellt der Körper sich auf Ruhe und Regeneration um.“ Deshalb fühlen wir uns im Winter durch den hohen Anteil an Dunkelstunden viel länger müde.

Serotonin: Das Glückshormon braucht Tageslicht

Hinzu kommt außerdem, dass die Serotoninproduktion im Gehirn vom Tageslicht abhängig ist. Das heißt: Nach langen Sommertagen ist der Serotoninspiegel hoch, im Winter entsprechend niedriger. Das fehlende Glückshormon drückt in der dunkleren Jahreszeit zusätzlich auf die Stimmung. Bei Dunkelheit wandelt sich das Wachhormon Serotonin dann in das Schlafhormon Melatonin um. Je länger die Nacht, desto mehr Serotonin wird zu Melatonin: Der sowieso schon niedrige Glückshormon-Spiegel im Winter wird durch die langen Nächte nochmal zusätzlich gesenkt - keine guten Voraussetzungen für positive Wintergefühle.

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    Faustregel für den Winter

    Doch man ist dem Winter nicht hilflos ausgeliefert, solange man die wenigen Stunden mit Tageslicht richtig nutzt. „Was wirklich hilft: Eine halbe Stunde vormittags draußen ist das Minimum. Eine Stunde unter der natürlichen Strahlung, selbst wenn es trüb ist, ist optimal“, sagt der Professor – eine Art Faustregel. „Die Beleuchtungsstärke ist draußen extrem hoch, an einem Sonnentag liegt sie bei 100.000 Lux, an bedeckten Wintertagen noch bei bis zu 5000 Lux.“ Zum Vergleich: Im Innenraum haben wir vielleicht 300-500 Lux. „Deshalb haben viele Leute im Winter Probleme mit dem Winterblues - man ist weniger draußen und bekommt weniger Licht ab - die Neurohormone bilden sich nicht so gut und fehlen.“

    Künstliches Licht: Stimmungsaufheller auf Knopfdruck

    Natürlich lässt es die Arbeitswelt für die meisten Arbeitnehmer nicht zu, sich vormittags für eine Stunde unter freiem Himmel aufzuhalten. „Dann kann man sich alternativ mit künstlichem Licht behelfen“, erklärt Plischke. „Wichtig ist, dass sich das künstliche Licht an dem natürlichen Tageslicht der Sonne orientiert. Wegen des gewünschten hohen Blauanteils sollte die Beleuchtung im Büro tagsüber eine kältere Lichtfarbe haben.“ Die standardmäßige Lichtfarbe liege für Büroleuchten bei 4000 Kelvin. „Insbesondere wenn man vom Winterblues betroffen ist, sollte die Lichtfarbe 5000 bis 5500 Kelvin haben.“

    Damit man mit dem blauen Lichtanteil einen guten Kontrast zur Dunkelheit am Abend schafft, spielt auch die Beleuchtungsstärke eine Rolle. Während die vorgeschriebene Lichtstärke für gutes Sehen bei 500 Lux liegt, empfiehlt der Münchner Wissenschaftler „tagsüber fast bis 1000 Lux raufzugehen“. Außerdem sei indirektes Licht von oben über eine große Fläche am besten, da die zuständigen Zellen im Auge in der Peripherie angesiedelt sind. Zusammen mit einer zusätzlichen Direktbeleuchtung auf dem Arbeitsplatz mit mindestens 500 Lux, kann fehlendes Tageslicht so ausgeglichen werden, dass ein fehlender Vormittagsspaziergang etwas kompensiert werden kann.

    Abends abschalten: So helfen Blaufilter

    Doch mit künstlichem blauen Licht kann man es auch übertreiben. „Abends wäre eine automatische Umstellung optimal“, so der Wissenschaftler. „In vielen Firmen regeln das bereits Computerprogramme: Das blaue Licht wird runtergefahren, sobald es draußen dunkel wird. Dieses Lichtkonzept nennen wir Human Centric Lighting.“ Durch den wichtigen kontrastreichen Wechsel zwischen Licht und Dunkel kommt der Körper beim Umschalten zwischen Arbeitsmodus und Regeneration nicht durcheinander. Das blaue Licht übernimmt dann das Finetuning der inneren Uhr. Nur so können wir uns auf verschiedene Jahreszeiten oder Ortszeiten einstellen.

    Kommt das System durcheinander, wie zum Beispiel durch einen zusätzlichen Lichteintrag bei Schichtarbeit oder Jetlag, können in der Folge Schlafstörungen auftreten.

    Einen ähnlichen Effekt auf die chronobiologischen Funktionen des Körpers haben auch Computer- und Handybildschirme. „Bildschirme sind sehr hell, mit ungefähr 5500 Kelvin haben sie einen hohen Blauanteil im Licht und sie sind relativ nah vor den Augen.“ Werden sie nachts lange benutzt, wird die Umschaltung in den Ruhemodus unterbrochen, das Schlafhormon Melatonin wird unterdrückt und der Körper innerhalb von 15 Minuten wieder auf Tagbetrieb umgestellt. „Man bleibt zwar länger wach, kann aber auch nicht so schnell einschlafen - das ist der Effekt des Lichts. Die Firmen haben das schon erkannt und zum Teil kostenlose Blaulichtfilter-Programme entwickelt“, so Plischke.

    Licht kann uns also durch den Winter helfen. Und wie bei so vielen Dingen im Leben, die Spaß machen, kommt es dabei auf die Dosis an.

     

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