Mentale Gesundheit: Nervenzellen blockieren Weiterleitung negativer Emotionen im Schlaf
Während des REM-Schlafs verarbeiten wir positive und negative Emotionen – ein Vorgang, den Forschende nun genauer untersucht haben. Ihre Erkenntnisse könnten vor allem für Menschen mit psychischen Erkrankungen hilfreich sein.
Eine aktive Nervenzelle in unserem Gehirn. Über die feinen Verästelungen der Dendriten (rechts) können Reize aufgenommen werden. Während der REM-Schlafphase sind die Dendriten sehr aktiv, während der Zellkörper – das Soma – deaktiviert ist. So können Reize zwar aufgenommen und verarbeitet werden, es kommt aber zu keiner Reizweiterleitung – und somit zu keiner Reaktion.
Der REM-Schlaf – benannt nach den raschen Augenbewegungen, die er mit sich bringt, dem sogenannten „rapid eye movement“ – ist noch immer ein rätselhafter Zustand und weitgehend unerforscht. Er ist die wichtigste Phase unseres Schlafes, in der wir am meisten träumen – und am intensivsten. Es wird vermutet, dass unser Gehirn in ihr emotionale Ereignisse sortiert und verarbeitet. Bei einer Schlafdauer von sieben bis acht Stunden verbringt ein erwachsener Mensch über die Nacht verteilt circa zwei Stunden im REM-Schlaf. Besonders ist, dass der Körper unbeweglich in einer Art Tiefschlaf verharrt, während das Gehirn hellwach ist.
Im Wachzustand werden Emotionen vom präfrontalen Kortex – einem Teil des Frontallappens in der Großhirnrinde – verarbeitet. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dieser während des REM-Schlafs paradoxerweise aber nicht aktiv. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Antoine Adamantidis, Neurobiologe an der Universität Bern, hat sich nun mit diesem Widerspruch und der Frage befasst, wie das Gehirn während des Schlafs mit positiven und negativen Emotionen verfährt. Die Ergebnisse ihrer Forschung sind in einer Studie in der Zeitschrift Science erschienen.
Das Nebeneinander von Dendriten und Soma
Für seine Forschung konditionierte das Team zunächst Mäuse darauf, auditive Reize zu erkennen: solche, die sie mit Sicherheit assoziierten, und andere, die sie mit Gefahr verbanden. Um die Reaktion auf diese Reize zu messen, wurde die Aktivität der Nervenzellen in den Gehirnen der Mäuse sowohl während der Wach- und als auch während Schlafphasen aufgezeichnet. Dabei lag in den Schlafphasen das Hauptaugenmerk auf den zellulären Vorgängen während der REM-Phasen.
Nervenzellen bestehen aus einem Zellkörper – auch Soma genannt –, den Dendriten und einem Axon. Die feinästeligen Dendriten sind für die Aufnahme von Signalen anderer Zellen zuständig, während Zellkörper und Axon für die Verarbeitung und Weiterleitung von Informationen an die jeweils nächste Zelle sorgen.
Bei der Beobachtung der Mäuse während des REM-Schlafs fielen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eigenartige Vorgänge in den Pyramidenzellen, den besonders großen Nervenzellen des präfrontalen Kortex, auf: Während sich der Zellkörper im Tiefschlaf befand, waren die Dendriten im Wachzustand. Die beiden Komponenten der Nervenzelle waren also voneinander entkoppelt.
Das Gehirn begünstigt so die Unterscheidungsarbeit der Dendriten zwischen Sicherheit und Gefahr. Indem gleichzeitig der Zellkörper deaktiviert ist, wird die Weiterleitung negativer Informationen blockiert. Dies ist insbesondere in Hinblick auf die psychische Gesundheit von Bedeutung: Werden negative Emotionen in zu großer Zahl über den Zellkörper weitergeleitet, kommt es zu einer Überreaktion auf diese, was im schlimmsten Fall eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zur Folge haben kann.
Zusammenhang von Schlaf und psychischen Erkrankungen
Adamantidis erklärt, dass die Gehirne von Menschen, die unter Depressionen, Angstzuständen oder posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, vor allem negative Emotionen speichern würden. Die neue Studie legt nahe, dass auch der Schlaf der erkrankten Personen bei der Manifestierung negativer Inhalte eine Rolle spielen könnte.
„Wir nehmen an, dass bei posttraumatischen Belastungsstörungen die somatodendritische Entkopplung während der REM-Phase nicht stattfindet oder beeinträchtigt ist“, erklärt Mattia Aime, Doktorand an der Universität Bern und Co-Autor der Studie. So könnten negative Emotionen letztendlich doch weitergeleitet und nicht verarbeitet werden – und dadurch zu Traumata führen. „Es wird allerdings weitere Untersuchungen benötigen, um sagen zu können, ob der von uns beobachtete Mechanismus auch an der Entstehung von Depressionen oder generalisierten Angststörungen beispielsweise beteiligt ist.“
Rund 15 Prozent der Deutschen sind von einer Angststörung betroffen. Sie gehört in Deutschland zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Aime und Adamantidis sind zuversichtlich, dass ihre Forschung auch neue Behandlungsansätze für diese Erkrankungen liefern könnte. Fest steht: Zumindest Behandlungsmethoden für PTBS-Betroffene können mithilfe ihrer Ergebnisse grundlegend weiterentwickelt werden.