Warum Männer früher sterben: Studie liefert erste eindeutige Beweise

Schon lange ist bekannt, dass Y-Chromosomen mit zunehmendem Alter aus männlichen Zellen verschwinden. Jetzt ist klar: Dieser Verlust ist maßgeblich für die geringere Lebenserwartung von Männern verantwortlich.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 29. Juli 2022, 16:01 MESZ
Ein älteres Pärchen auf einer Bank.

In Deutschland beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung von Frauen und Männern knapp fünf Jahre. Vermutungen, woran das liegen könnte, gab es seit Langem. Nun liefert eine Studie erstmals konkrete Belege für die wichtige Rolle, die das Y-Chromosom spielt.

Foto von Ingo Bartussek / adobe Stock

Jungen, die heute in Deutschland geboren werden, haben ein langes Leben vor sich: Durchschnittlich 78,6 Jahre sind es laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Doch mit im Schnitt 83,4 Jahren leben Mädchen knapp fünf Jahre länger. Warum gibt es diese Schere in der Lebenserwartung der Geschlechter?

Dass der Grund in den Chromosomen zu finden sein muss, ist naheliegend – schließlich bestimmen sie das Geschlecht: Frauen haben zwei X-, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Bereits im Jahr 1963 stellten britische Forschende fest, dass das definierende männliche Y-Chromosom mit zunehmendem Alter aus den Zellen verschwindet. Nicht geklärt werden konnte jedoch, was Ursache und was Wirkung ist: Ist das Verschwinden des Y-Chromosoms eine Folge des Alterns oder werden Alterserscheinungen durch den Verlust ausgelöst?

Kenneth Walsh, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Biologie an der University of Virginia, hat sich gemeinsam mit seinem Team dieser Frage angenommen. In ihrer Studie, die in der Zeitschrift Science erschienen ist, kommen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass der Verlust des Y-Chromosoms das Altern beschleunigt, altersbedingte Krankheiten begünstigt und insbesondere das Herz schädigt.

Gesund altern: Fünf chronische Krankheiten, die es zu besiegen gilt
Die weltweite durchschnittliche Lebenserwartung liegt mittlerweile bei 72 Jahren, aber viele Menschen könnten im Alter an einer oder gar mehreren chronischen Erkrankungen leiden.

Versuche mit weißen Blutkörperchen

Von diesen Problemen sind Männer ab einem Alter von ungefähr 70 Jahren betroffen – jedoch nicht alle. Analysen haben gezeigt, dass im Schnitt bei 40 bis 57 Prozent der getesteten Männer das Y-Chromosom in einem Teil der weißen Blutkörperchen fehlt – bei manchen älteren Testpersonen sogar in bis zu 80 Prozent der Leukozyten. Das Y-Chromosom trägt mit 71 Genen weniger als ein Zehntel der Gene, die auf dem X-Chromosom liegen. Darum wird es bei der Zellteilung manchmal nicht kopiert – vor allem in sich schnell verändernden Zellen. Zu diesen zählen unter anderem Blutzellen, die deswegen für die Erforschung des Chromosomenverlusts besonders gut geeignet sind.

Mithilfe der CRISPR/Cas9-Methode entfernten Walsh und sein Team das Y-Chromosom aus den Knochenmarkzellen von Mäusen und setzten das genetisch veränderte Knochenmark jungen männlichen Mäusen ein. Der Anteil von Y-Chromosomen in den weißen Blutkörperchen reduzierte sich dadurch in den Testmäusen auf 49 bis 81 Prozent. Eine Kontrollgruppe erhielt ebenfalls eine Knochenmarktransplantation, jedoch ohne vorherige Entnahme des Y-Chromosoms.

Im Vergleich zu der Kontrollgruppe starben die Tiere, denen das Y-Chromosom entnommen worden war, früher und litten an Herzschwäche. Sie neigten außerdem zur Fibrosen, bei denen vermehrt Bindegewebe gebildet wird, was zu einer Gewebeverhärtung führt, die die Funktion von Organen einschränken kann. Auch hier war vorrangig das Herz betroffen: Das erhärtete Gewebe behinderte dessen Pumpfunktion deutlich.

BELIEBT

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    Chromosomenverlust schädigt das Herz

    Die stark schädliche Wirkung des Chromosomenschwunds auf das Herz erklären die Forschenden damit, dass Makrophagen, die in dem genetisch veränderten Knochenmark entstehen, in dieses eindringen. Sie begünstigen die Fibrose und sorgen dafür, dass mehr Gewebe gebildet wird. Neben dem Herzen geschieht dies auch an anderen Stellen des Körpers.

    Basierend auf diesen Erkenntnissen analysierten die Forschenden Daten der britischen Genbibliothek und fanden klare Hinweise darauf, dass dieser Vorgang so auch beim Menschen stattfindet: Fehlten bei Männern in mindestens 40 Prozent der weißen Blutkörperchen das Y-Chromosom, war ihr Risiko, an einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems zu versterben, um 31 Prozent erhöht.

    Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Männer im Schnitt einige Jahre jünger sterben als Frauen – und das oft in Folge von Herzversagen oder -erkrankungen. „Besonders nach dem 60. Lebensjahr sterben Männer schneller als Frauen – als würden sie biologisch schneller altern“, sagt Kenneth Walsh. Durch die neuen Forschungsergebnisse könnten bis zu vier der fünf Jahre höheren Lebenserwartung begründet werden.

    Medikamente und Tests gegen den frühen Tod

    Die aktuelle Studie ist die erste, die anhand eindeutiger Beweise die bisherige Vermutung bestätigt, dass sich der Verlust des Y-Chromosoms schädlich auf die Gesundheit von Männern auswirkt. Da der Zusammenhang nun klar ist, kann nach Lösungen gesucht werden, die das Leben von Männern verlängern. So könnte zum Beispiel die gezielte medikamentöse Behandlung der Fibrose zu einem längeren und gesünderen Leben verhelfen. Dafür eignen sich eventuell bereits zugelassene Mittel.

    Die Schwierigkeit: Ob ein Mann vom Verlust des Y-Chromosoms betroffen ist, ist ohne entsprechende Tests nicht zu erkennen. Der Immunologe Lars A. Forsberg von der Universität Uppsala in Schweden, der an der Studie mitgearbeitet hat, hat zwar einen kostengünstigen Polymerase-Kettenreaktionstest – einen PCR-Test, wie er auch zum Nachweis einer Corona-Infektion genutzt wird – entwickelt, dieser ist bisher jedoch nur im Studienlabor zum Einsatz gekommen.

    Kenneth Walsh kann sich aber vorstellen, dass sich das bald ändern wird: „Wenn der Test sich als nützlich für die Prognose von Männerkrankheiten erweist und zu einer personalisierten Therapie führen kann, wird er vielleicht zu einem diagnostischen Routinetest.“

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