Sinkende Spermienzahl – ein globales Problem

Seit 2017 ist bekannt, dass die Spermienzahl bei Männern in den westlichen Ländern sinkt. Eine neue Studie zeigt jetzt: Dieses Phänomen tritt nicht nur in Industrienationen auf, sondern auf der ganzen Welt – und es schreitet rapide fort.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 18. Nov. 2022, 15:43 MEZ
3D-Illustration von menschlichen Spermien.

Laut einer neuen Studie sank die durchschnittliche Spermienkonzentration zwischen den Jahren 1973 und 2018 weltweit um mehr als 51 Prozent: Waren es zu Beginn der Erhebungen noch 101,2 Millionen, kamen laut neuesten Untersuchungen im Schnitt nur noch 49 Millionen Spermien auf einen Milliliter Samenflüssigkeit.

Foto von SciePro / adobe Stock

Am 15. November 2022 meldete die UN, dass laut ihren Berechnungen an diesem Tag zum ersten Mal acht Milliarden Menschen auf der Erde leben – dreimal so viele wie noch in den Fünfzigerjahren. Neben dem positiven Aspekt der verbesserten Lebensbedingungen, ohne die diese Zahl nicht hätte erreicht werden können, schürt die Meldung auch Angst vor Überbevölkerung und deren Folgen: erhöhte Umweltbelastung, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und deren ungerechte Verteilung sowie soziale Unruhen und Massenmigration, die dadurch herbeigeführt werden.

Bemühungen, diesen Effekten aktiv entgegenzuwirken, zeigen noch nicht die Erfolge, die nötig wären. Möglicherweise könnte in Zukunft aber ein bislang als verlässlich geltender Aspekt in Bezug auf Größe und Fortbestand der menschlichen Bevölkerung zum limitierenden Faktor werden: das menschliche Sperma.

Metaanalyse basiert auf Daten aus der ganzen Welt

An dem Tag, an dem die Acht-Milliarden-Marke erreicht wurde, veröffentlichte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des israelischen Arztes Hagai Levine von der Hebräischen Universität Jerusalem eine Studie in der Zeitschrift Human Reproduction Update. Diese belegt erstmals, dass die Spermienzahl nicht nur seit Jahren rapide sinkt, sondern auch, dass es sich dabei um ein globales Phänomen handelt.

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Der Rückgang der Spermienzahl in menschlichem Sperma wurde bereits im Rahmen einer Studie publik gemacht, die im Jahr 2017 erschienen ist und auf europäischen, nordamerikanischen und australischen Datensätzen basiert. Die neue Metaanalyse ergänzt ihre Vorgängerin um sieben zusätzliche Jahre der Erhebungen zwischen 2011 und 2018. Insgesamt basieren die neuen Erkenntnisse auf 288 Studien aus 53 Ländern, für die 57.000 Männer untersucht wurden. Besonders relevant: Erstmals wurden dabei auch Daten aus nicht-westlichen Teilen der Welt berücksichtigt – insbesondere Asien, Afrika und Südamerika –, für die bisher keine Untersuchungen vorlagen.

Dieser Aspekt ist darum bedeutend, weil zuvor die Annahme bestand, die Lebensumstände in den Industrieländern könnten der Grund für die abnehmende Gesamtspermienzahl (TSC) und Spermienkonzentration (SC) sein. Die Analyse der globalen Daten hat jedoch gezeigt, dass der Rückgang nicht lokal begrenzt ist und sich in den Jahren seit 2000 sogar merklich beschleunigt hat. „Insgesamt ist in den letzten 46 Jahren weltweit ein signifikanter Rückgang der Spermienzahl um mehr als 50 Prozent zu beobachten“, sagt Hagai Levine. Kamen am Anfang der Erhebungen noch 101,2 Millionen Spermien auf einen Milliliter Samenflüssigkeit, sind es heute nur noch 49 Millionen. 

Gefahr für Fruchtbarkeit und Gesundheit

Pro Jahr sinke die durchschnittliche Spermienzahl um etwa 2,5 Prozent – eine Entwicklung, die man den Forschenden zufolge ernst nehmen muss. Zwar sind auch Männer mit geringen TSC- und SC-Werten zeugungsfähig, doch Spermienzahl und -konzentration sind nicht nur Indikatoren für die Fruchtbarkeit, sondern auch für die Gesundheit des Mannes. Niedrige Werte werden mit einem erhöhten Risiko für chronische Krankheiten, Hodenkrebs und einer geringeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht.

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    „Der beunruhigende Rückgang der Spermienkonzentration und der Gesamtspermienzahl bei Männern um mehr als 1 Prozent pro Jahr steht im Einklang mit anderen negativen Trends bei der Männergesundheit wie Hodenkrebs, Hormonstörungen und Geburtsschäden im Genitalbereich“, sagt Shanna Swan, Autorin der Studie und Expertin für reproduktive Epidemiologie an der Icahn School of Medicine in New York. „Das kann eindeutig nicht unkontrolliert so weitergehen.“

    Ursachenforschung

    Den Studienautoren zufolge spiegelt der beobachtete Rückgang eine globale Krise wider, die mit unserer modernen Umwelt und Lebensweise zusammenhängt und weitreichende Auswirkungen auf das Überleben der menschlichen Spezies hat. Die konkreten Ursachen des weltweiten Spermienzahlrückgangs hat die Studie nicht untersucht. Es gibt jedoch einige Faktoren, die in Verdacht stehen, diesen auszulösen: etwa ein ungesunder Lebensstil, der Stress und Übergewicht begünstigt, aber auch Umweltbelastung durch Chemikalien und Hormone.

    „Unsere Ergebnisse sind wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine“, sagt Hagai Levine. „Wir haben es hier mit einem ernsten Problem zu tun, das das Überleben der Menschheit bedrohen könnte, wenn es nicht abgemildert wird.“ Die Studienautoren fordern darum eindringlich globale Maßnahmen, die eine gesündere Umwelt für alle Arten schaffen, sowie die Verringerung von Belastungen und Verhaltensweisen, welche die Fortpflanzungsgesundheit gefährden.

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