Ölausstieg in der Pharmaindustrie: Paracetamol und Ibuprofen auf Pflanzenbasis

Noch werden die zwei gängigsten Schmerzmittel auf Basis von Erdöl hergestellt. Englische Forschende haben nun eine andere Quelle für die nötigen Grundstoffe ausgemacht: Kiefernharz. Was dieser Ansatz für die Verfügbarkeit von Medikamenten bedeutet.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 17. Juli 2023, 08:34 MESZ
Eine Hand drückt eine Schmerztablette aus einem Blister, auf der anderen Hand liegt eine Tablette.

Kopfweh, Zahnschmerzen oder Fieber sind ohne Schmerzmittel oft nicht zu ertragen – doch was uns hilft, ist für die Umwelt ein Problem.

Foto von KMPZZZ / adobe Stock

Bei Erdöl denken die meisten an Autos mit Verbrennermotoren. Doch der fossile Stoff begegnet uns überall – auch denen, die der Umwelt zuliebe zu Fuß gehen. Denn er steckt in zahlreichen Produkten des täglichen Gebrauchs: von Bodenbelägen über Nylonstrümpfe bis hin zu Verpackungen, Farben – und Medikamenten.

Unter anderem werden zwei der weltweit am meisten genutzten Schmerzmittel aus Vorläuferstufen von Rohöl – also nicht raffiniertem Erdöl – hergestellt: Paracetamol, das seit 1977 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der World Health Organization (WHO) steht, und Ibuprofen, das fast vollständig auf Erdölvarianten basiert.

Vom Abfallprodukt zum Medikament

Ein Forschungsteam der University of Bath in England hat nun ein Bioraffinerie-Modell entwickelt, mit dem die chemischen Grundstoffe aus Erdöl durch β-Pinen ersetzt werden können. Ein in mehrfacher Hinsicht nachhaltiger Ansatz, denn der Monoterpen-Kohlenwasserstoff ist ein Abfallprodukt aus der Papierindustrie. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden in einer Studie veröffentlicht, die in der Zeitschrift ChemSusChem erschienen ist.

Der vielversprechende Stoff β-Pinen steckt im Terpentin, also dem frischen Harzausfluss von Koniferen, insbesondere Kiefern. Damit aus den Nadelhölzern Papier oder Kartons hergestellt werden können, muss zunächst das Terpentin entfernt werden.

Wie entstehen die Medikamente der Zukunft?

Jahr für Jahr entsorgt die Papierindustrie dem Forschungsteam zufolge bis zu 350.000 Tonnen des Balsams. Demgegenüber steht eine jährliche Produktionsmenge von 100.000 Tonnen Paracetamol und Ibuprofen. Die bei der Papierherstellung abfallende β-Pinen-Menge würde also ausreichen, um chemische Grundstoffe aus Erdöl in der Produktion dieser Schmerzmittel komplett zu ersetzen.

Ende der Abhängigkeit von Erdöl

Die Vorteile des Modells liegen auf der Hand, denn „die Verwendung von Erdöl zur Herstellung von Arzneimitteln ist nicht nachhaltig“, so Josh Tibbetts, Studienautor und Chemiker an der University of Bath. Ihm zufolge ist die Pharmabranche 13 Prozent umweltschädlicher als die Automobilbranche, obwohl sie um 28 Prozent kleiner ist. Müsste für die Medikamentenherstellung weniger Rohöl gefördert und in Raffinerien aufbereitet werden, würde dies die CO₂-Emissionen des Sektors merklich senken.

Außerdem könnte mit dem Umstieg auf Schmerzmittel auf Basis von β-Pinen die Abhängigkeit von ölfördernden Ländern reduziert werden. Stark schwankende und steigende Ölpreise sowie geopolitische Ereignisse hätten keinen Einfluss mehr darauf, ob und zu welchem Preis wichtige Medikamente verfügbar sind.

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    Das gilt nicht nur für Paracetamol und Ibuprofen, sondern auch für bestimmte Betablocker und Asthmamittel, Parfüms und Reinigungsmittel, deren chemische Grundstoffe das Forschungsteam ebenfalls aus Terpentin synthetisieren konnte.

    „Unser auf Terpentin basierendes Bioraffineriemodell nutzt chemische Nebenprodukte aus der Papierindustrie, um ein Spektrum wertvoller, nachhaltiger Chemikalien herzustellen, die in einer Vielzahl von Anwendungen von Parfüm bis Paracetamol eingesetzt werden können“, sagt Tibbetts.

    Der Nachteil: In seiner jetzigen Form ist das Verfahren der Bioraffinerie noch teurer als die herkömmliche Herstellung der Rohstoffe aus Erdöl. Verbraucherinnen und Verbraucher müssten für die nachhaltigen Produkte also – zumindest derzeit – noch einen höheren Preis zahlen. Das Forschungsteam hofft aber, dass sie dazu bereit sind und die pflanzlichen Stoffe Rohölprodukte in der chemischen Industrie in Zukunft ersetzen werden.

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