Alzheimer-Demenz: Kann man die Krankheit irgendwann heilen?

In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung – die meisten von ihnen haben Alzheimer. Die Wissenschaft forscht auf Hochtouren an Medikamenten gegen die gefürchtete Krankheit. Verlangsamen kann man sie heute schon.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 21. Sept. 2023, 09:25 MESZ
Eine ältere Person mit grauen Haaren blickt auf einen Stapel alter schwarz-weiß Fotos auf ihrem Schoß.

Gesichter, Erlebnisse oder Orte vergessen: Schwindende Erinnerungen sind nur eines von mehreren Symptomen, die Alzheimer-Erkrankte erleben. Für Betroffene und Angehörige ist die Krankheit, vor allem bei schwerem Verlauf, eine starke Belastung.

Foto von Gabriele Rohde / Adobe Stock

Für viele Menschen ist es eine Horrorvorstellung: Namen und Gesichter der eigenen Kinder oder Partner*innen zu vergessen und sich nicht an die wichtigsten Momente des eigenen Lebens zu erinnern. Menschen mit Alzheimer erleben genau das – und bis heute gibt es keine sichere Heilungsmethode für die Krankheit.

Nach Wegen, die Symptome von Alzheimer zu lindern, wird dennoch immer intensiver geforscht. Doch was sind die vielversprechendsten Therapien? Wie kann man Alzheimer frühzeitig erkennen? Und gibt es bald doch ein Medikament, das die Ursache der Krankheit behandeln kann?

Inhalt

Was ist Alzheimer?

Erkannt und beschrieben wurde die Alzheimer-Krankheit erstmals im frühen 20. Jahrhundert von Alois Alzheimer, damaliger Oberarzt an der Königlichen Psychiatrischen Klinik München. Er hatte das Gehirn seiner verstorbenen Patientin Auguste Deter, die zuvor von Symptomen wie Gedächtnisschwund und Verwirrtheit berichtete, im Rahmen einer Obduktion untersucht. Dabei konnte er merkwürdige Veränderungen feststellen: Eiweißablagerungen, die heute als Plaques bekannt sind und als eines der Hauptmerkmale einer Alzheimer-Erkrankung gelten.

Damals berichtete Alzheimer seinem Vorgesetzten, dem Arzt Emil Kraepelin, von seinem Fund. Dieser nahm das Krankheitsbild nur wenige Jahre später in sein Lehrbuch für Studierende und Ärzte als „Alzheimersche Krankheit“ auf. Dann geriet die Erkrankung zunächst in Vergessenheit – bis die Forschung ab den 1960er-Jahren wieder aufgenommen und vor allem in den letzten Jahrzehnten stark gefördert wurde.

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    Links ein gesundes Gehirn und rechts das eines Alzheimer-Patienten. Der Hippocampus, im Bild eingekreist, schrumpft im Verlauf der Krankheit teilweise extrem.

    Foto von Professor John O’Brien, University of Cambridge and Newcastle University / Alzheimer’s research UK

    Heute weiß man: Alzheimer ist nur einer von mehreren Typen der Demenz. Diese ist wiederum ein Oberbegriff für Erkrankungen, die neurokognitive Störungen hervorrufen, also Einschränkungen in den kognitiven Leistungen des Gehirns. Durch diese Störungen geht allmählich das Denken, das Erinnerungsvermögen und die Orientierung verloren. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz (DAlzG) – einer Selbsthilfeorganisation, die daran arbeitet, die Situation von Menschen mit Demenz und Alzheimer und ihren Angehörigen in Deutschland zu verbessern – leben hierzulande aktuell etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen. Etwa 60 Prozent haben eine Demenz vom Typ Alzheimer.

    Was passiert im Gehirn von Menschen, die an Alzheimer erkranken?

    „Alzheimer stellt eine spezielle Form der Demenz dar“, sagt Jochen René Thyrian vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Vorstandsmitglied der DAlzG. „Hauptmerkmal ist ein schleichendes Absterben der Nervenzellen im Gehirn.“ Dieses Absterben der Nervenzellen geht einher mit Veränderungen des sogenannten Tau-Proteins im Gehirn, das sich in Form von kleinen Fasern in den Nervenzellen ablagert: den Tau-Fibrillen. Dazu kommen die charakteristischen Eiweißablagerungen zwischen den Nervenzellen: die Plaques. Gemeinsam führen diese Veränderungen letztendlich zu erheblichen Störungen im Nervensystem des Gehirns.

    Andere häufige Formen von Demenz sind laut Thyrian beispielsweise die Vaskuläre Demenz, die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn hervorgerufen wird, oder die Frontotemporale Demenz, bei der Nervenzellen vor allem im Stirn- und Schläfenbereich des Gehirns absterben. Diese Form der Demenz beeinflusst vor allem die Emotionen und das Sozialverhalten der Betroffenen.

    Die Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten: Links die Tau-Fibrillen, die sich aus Bruchstücken des Tau-Proteins bilden und rechts die sogenannten Plaques.

    Foto von Alzheimer Forschung Initiative e.V.

    Welche Symptome gibt es bei Alzheimer?

    „Wir denken bei der Alzheimer-Krankheit oft an eine Gedächtniskrankheit, aber die Symptome sind sehr viel vielfältiger“, sagt Hanna Kristiina Isotalus, Neurowissenschaftlerin an der Bristol University. Sie erforscht die Krankheit seit Jahren und hat sich auf die Beziehung zwischen Gedächtnisstörungen und Schlaf spezialisiert. „Die Krankheit wird mit der Zeit immer schwerwiegender. Zu den frühen Symptomen gehören leichte Probleme mit dem Gedächtnis und dem Denken. Aber auch Veränderungen des Schlafverhaltens, der Stimmung und der Persönlichkeit sind häufig“, sagt Isotalus. Zu den Symptomen einer schweren Demenz gehören schließlich ein hochgradiger geistiger Abbau, Kontrollverlust über Körperfunktionen und extreme Bettlägerigkeit.

    Doch woran merkt man, dass man an einer langsam voranschreitenden Demenz oder an Alzheimer erkrankt ist? In einer Broschüre fasst die DALzG 11 wichtige Warnzeichen – darunter das häufige Verlegen von Dingen, Probleme mit der räumlichen Wahrnehmung oder Änderungen des Verhaltens – zusammen. Wenn man einige oder mehrere dieser Warnzeichen bei sich selbst feststellt, sollte man sich mit einem Arzt in Verbindung setzen. Dabei gelten Gedächtnislücken dann nicht mehr als „normal“, wenn sie sich merklich auf den Alltag auswirken.

    Die guten Nachrichten: In Zukunft könnte es möglich sein, Alzheimer viel früher zu diagnostizieren als bisher. „Die Proteine, deren Fehlfunktion zur Plaquebildung führt, zeigen bereits 15 bis 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten“, sagt Isolatus. Diese Veränderungen könne man teilweise schon vor Auftreten der ersten Symptome in Gehirnscans erkennen – und in Zukunft möglicherweise sogar per Bluttest feststellen. Doch diese Forschung hat noch einen Weg vor sich: Konkrete Diagnosen können aktuell nur dann gestellt werden, wenn die betroffene Person bereits Symptome zeigt.

    “Wir wissen heute, dass Lebensstilfaktoren wie schlechte Ernährung, Bewegungsmangel und Schlafmangel mit dem Alzheimer-Risiko verbunden sind. Isolatus.”

    von Hanna Kristiina Isotalus
    Bristol University

    Welche Faktoren machen es wahrscheinlich, Alzheimer zu bekommen?

    Laut der DALzG erkranken jährlich rund 300.000 Menschen neu an Demenz. Prognosen zufolge wird die Gesamtzahl der Demenzerkrankten so bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen, wenn in der Prävention und Therapie kein Durchbruch gelingt. Davon erkrankt ein verschwindend geringer Anteil der Menschen aufgrund ihrer Genetik. Laut der Alzheimer Forschung Initiative e. V. ist nur etwa ein Prozent der Alzheimer-Fälle erblich bedingt. Andere, konkrete Ursachen für das Erkranken sind bislang noch nicht genau erforscht.

    Dennoch konnte die Wissenschaft in den letzten Jahren Risikofaktoren ausmachen, die die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, erhöhen. „Wir wissen heute, dass Lebensstilfaktoren wie schlechte Ernährung, Bewegungsmangel und Schlafmangel mit dem Alzheimer-Risiko verbunden sind“, sagt Isolatus. „Äußere Faktoren spielen eine ziemlich große Rolle: Etwa 40 % der Alzheimer-Krankheit sind bedingt durch den Lebensstil.“ Eine aktuelle Studie hat beispielsweise einen Zusammenhang zwischen der Zeit, die ältere Menschen sitzend verbringen, und der Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, festgestellt. Das heißt: Wer mehr sitzt, hat ein höheres Demenz-Risiko.

    Laut Isolatus spielt außerdem die Neuroinflammation, also entzündliche Prozesse im Gehirn, eine entscheidende Rolle bei der Krankheit. Und auch Mundinfektionen könnten im Zusammenhang mit Demenz-Erkrankungen stehen: „Es gibt gute Belege dafür, dass Mundinfektionen nicht nur das Risiko für Alzheimer, sondern auch für andere Gehirnerkrankungen erhöhen“, so die Neurowissenschaftlerin. Denn Infektionen im Mund könnten durch ihre Nähe zum Gehirn auch dort zu kleineren Entzündungen führen. 

    Der größte Risikofaktor in Bezug auf Alzheimer ist aber das Alter.

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    Die weltweite durchschnittliche Lebenserwartung liegt mittlerweile bei 72 Jahren, aber viele Menschen könnten im Alter an einer oder gar mehreren chronischen Erkrankungen leiden.

    Kann man das Risiko, Alzheimer zu bekommen, verringern?

    Angelehnt an die Risikofaktoren, die in den letzten Jahrzehnten herausgearbeitet wurden, kann man in gewissem Maße auch gegensteuern – sogar bezogen auf den Risikofaktor Alter. „Beispielsweise können eine gesunde Ernährung mit wenig verarbeitetem Fleisch und viel Gemüse, ein Verzicht auf Alkohol und Rauchen, körperliche Betätigung, soziales Engagement und ausreichender Schlaf das Risiko verringern“, sagt Isolatus. Auch die Reduzierung von Herz-Kreislauf-Belastungen durch die Behandlung von Bluthochdruck und die Vermeidung von Kopfverletzungen könne einen Effekt haben.

    Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass das Trainieren des Gehirns dessen Reserven stärkt. Allerdings müssten, laut Isolatus, stärkere Geschütze als nur das Lösen von Kreuzworträtseln aufgefahren werden. „Das Erlernen einer neuen Sprache kann eine gute Möglichkeit sein, das Gehirn aktiv zu halten“, sagt sie. Auch zur Wirksamkeit von Intervallfasten in Bezug auf die Verzögerung von Alzheimer-Symptomen gibt es bereits Studien, die zumindest bei Tieren eine positive Wirkung bestätigen.

    Laut Isolatus spielt bei der Vorbeugung und Verzögerung von Alzheimer außerdem der Schlaf eine besonders wichtige Rolle: „Es gibt Hinweise darauf, dass schlechter Schlaf ein Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit ist.“ Ihre Forschung konzentriert sich auf die Wichtigkeit des Tiefschlafs für das Langzeitgedächtnis und darauf, dass in dieser Phase Erinnerungen gefestigt und Abfallprodukte aus dem Gehirn gebracht werden.

    Zu diesen Abfallprodukten gehört auch das Protein, das letztendlich für die Tau-Fibrillen und Plaques verantwortlich ist. „Je älter die Menschen werden, desto weniger Zeit verbringen sie in diesem Schlafstadium“, sagt Isolatus. So bedingen sich die Schlafqualität und Alzheimer letztendlich gegenseitig: „Schlechter Schlaf erhöht das Risiko der Alzheimer-Krankheit, aber auch die Alzheimer-Krankheit führt zu schlechtem Schlaf.“

    Welche Therapien helfen gegen Alzheimer und Demenz?

    Lebensstilveränderungen wie besserer Schlaf, eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung sind also wichtige Pfeiler der Alzheimer-Prävention – und können auch bei Menschen, bei denen bereits erste Anzeichen einer Alzheimer-Demenz oder eines anderen Demenztyps festgestellt wurden, noch helfen, die Krankheit zu verzögern. Wie die Krankheit konkret erfolgreich therapiert werden kann, ist allerdings bislang noch immer ungewiss.

    „Demenz ist ein multifaktorielles Syndrom, eine one-size-fits-all Therapie ist unwahrscheinlich“, sagt Thyrian. So müsse auch der Therapieansatz individuell sein und auf mehrere Faktoren ausgerichtet werden: Was brauchen Patienten genau, wobei brauchen sie Hilfe, welche Einschränkungen haben sie bereits? Dabei müsse man auch die Angehörigen, die die Erkrankten pflegen, mit einbeziehen.

    Außerdem müsse ein größerer Wert auf die Verbesserung der Lebensqualität und die Bedarfe Betroffener gelegt werden – nicht nur auf die Verbesserung der Kognition.  „Interventionen wie zum Beispiel Tanzcafés für Menschen mit Demenz fördern die Koordinations- und Bewegungsfähigkeit, nicht zuletzt die soziale Inklusion und damit Wohlbefinden“, sagt Thyrian. Gleichzeitig führen soziale Isolation und fehlender Körperkontakt bei Menschen mit Demenz zu einer Gesundheitsverschlechterung.

    Wie nah ist die Forschung an einem Heilmittel für Alzheimer?

    Doch all diese Methoden sind noch lange kein konkretes Medikament, das die Krankheit besiegen kann. Von diesem ist die Forschung laut Thyrian auch noch weit entfernt. „Absehbar ist ein Teilerfolg in der Behandlung, also eine Modifikation des Krankheitsverlaufs“, sagt er. So gebe es mittlerweile bereits Medikamente für Antikörpertherapien, die vielversprechend seien.

    Darunter fallen die Medikamente Lecanemab und Donanemab. „Diese greifen in den Krankheitsprozess ein, indem sie die Bildung von Amyloid-Plaques verhindern und bestehende Plaques abbauen“, sagt Isolatus. Es sei das erste Mal, dass eine Therapie gefunden wurde, die tatsächlich dort ansetzt, wo die Alzheimer-Krankheit entsteht. Dennoch können auch diese Medikamente die Krankheit nicht vollständig aufhalten – ein Heilmittel seien sie somit nicht. Außerdem treten bei vielen Patienten starke Nebenwirkungen auf und sind nicht für alle Betroffenen geeignet. „Die Ergebnisse sind dennoch vielversprechend“, sagt Isolatus. „Denn sie zeigen, dass der zugrunde liegende Krankheitsprozess im Gehirn bekämpft werden kann.“

    Ein kleiner Hoffnungsschimmer also im Kampf gegen die gefürchtete Krankheit. Und auch sonst gibt die Forschung nicht auf: Täglich erscheinen neue Studien zur Krankheit – deren Ergebnisse vielleicht irgendwann doch eine Heilung bringen können.

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