Hinweise auf Alzheimer bei Delfinen entdeckt

Bei der Untersuchung der Gehirne von 22 gestrandeten Zahnwalen stießen Forschende auf Anzeichen von Demenz. Ist damit das Rätsel der Massenstrandungen gelöst?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 30. Dez. 2022, 09:25 MEZ
Ein Delfin schwimmt am Meeresgrund.

Große Tümmler haben eine Lebenserwartung von 30 bis 50 Jahren. Da sie lange über ihr reproduktives Alter hinaus leben können, sind sie anfällig für altersbedingte Krankheiten. Laut einer neuen Studien könnte Alzheimer eine davon sein.
 

Foto von NOAA / Unsplash

Immer wieder stranden ganze Gruppen von Meeressäugern an den Küsten dieser Welt – doch niemand weiß genau, warum. Gängige Theorien erklären die Unglücksfälle mit Sonnenwinden, veränderten Magnetfeldern und Meeresströmungen oder ungewöhnlichen Beutetiervorkommen. Auch moderne Umwelteinflüsse wie Unterwasserlärm oder Marine-Sonar könnten dazu führen, dass die Tiere den Orientierungssinn verlieren und in zu flache Gewässer geraten. Nur die wenigsten Massenstrandungen liefern konkrete Hinweise darauf, was sie ausgelöst hat.

Auf der Suche nach einer Erklärung für das Phänomen hat Marissa Vacher, Biologin an der Universität Leiden in den Niederlanden, nun gemeinsam mit ihrem Team die Gehirne von 22 gestrandeten Delfinen untersucht. Bei der Analyse konzentrierten sich die Forschenden auf biochemische Marker, die auch bei Menschen mit Alzheimer auftreten.

Biomarker im Gehirn: Tau-Proteine und Plaques

Zu diesen Markern zählt eine erhöhte Zahl veränderter Zellen, die durch Schädigungen des zentralen Nervensystems entstehen, sowie die Bildung von Beta-Amyloide-Plaques. Diese entstehen, weil die Beta-Amyloid-Peptide bei Alzheimer-Betroffenen im Gehirn verklumpen und so vermutlich die Synapsenbildung hemmen. Bei gesunden Menschen werden die Peptide hingegen zersetzt.

Die untersuchten Gehirne stammen von fünf verschiedenen Zahnwalarten: Rundkopfdelfin, Grindwal, Weißschnauzendelfin, Schweinswal und der Große Tümmler. Bei allen getesteten Tieren, die ein gewisses Alter erreicht hatten, wurden die für Alzheimer typischen Biomarker festgestellt. Besonders stark betroffen waren drei Individuen, die ein besonders hohes Alter erreicht hatten, was durch stark abgenutzte oder fehlende Zähne und ein erhöhtes Verhältnis von weißer zu grauer Substanz im Hirngewebe deutlich wurde.

Nachträglich ist es nicht mehr möglich, einzuschätzen, wie sehr die Meeressäuger vor ihrem Tod durch die Veränderungen in ihren Gehirnen kognitiv beeinträchtig waren. Die Forschenden können darum nicht direkt eine Alzheimer-Diagnose stellen, betonen jedoch, dass derartige Anhäufungen Beta-Amyloiden sowie eine Häufung der sogenannten TAU-Proteinen bisher ausschließlich im Zusammenhang mit der Krankheit beobachtet wurden.

Menschliche Krankheiten bei Tieren

„Es ist faszinierend, wie stark die Veränderungen im Gehirn der alten Delfine denen ähneln, die bei der menschlichen Alterung und einer Alzheimer-Erkrankung auftreten, sagt Tara Spires-Jones, Mitautorin der Studie und Neurowissenschaftlerin an der Universität Edinburgh, Schottland.

Zahnwale und Menschen haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Unter anderem erreichen die Weibchen von mindestens fünf bekannten Arten die Menopause. Weil die Tiere weit über ihr reproduktives Alter hinaus leben können, sind sie – ebenso wie Menschen – anfällig für altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer. Diese am weitesten verbreitete Form der Demenz ist die am häufigsten auftretende Ursache für Behinderungen alternder Menschen. Sie beeinträchtigt das Gedächtnis, die Lernfähigkeit und die Kommunikation schwer.

„Ich wollte schon immer herausfinden, ob nur Menschen an Demenz erkranken“, sagt Studienautor Frank Gunn-Moore, Neurobiologe an der Universität St. Andrews, Schottland. „Unsere Ergebnisse liefern eine Antwort auf diese Frage. Sie zeigen, dass die mit Demenz verbundenen krankhaften Veränderungen tatsächlich auch bei anderen Spezies auftreten.“

BELIEBT

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    Todesurteil kranker Anführer

    Delfine sind äußerst soziale Tiere, die in Schulen zusammenleben. Laut den Studienautoren ist es möglich, dass andere Mitglieder des Verbunds einem Artgenossen helfen, der gesundheitlich beeinträchtigt ist. Dadurch steigen dessen Überlebenschancen, gleichzeitig kann aber die Krankheit immer weiter fortschreiten.

    Handelt es sich bei dem kranken Tier um den Anführer der Schule, hat das potenziell katastrophale Folgen für die ganze Gruppe. „Die ersten Symptome des kognitiven Verfalls im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit sind Verwirrtheit in Bezug auf Zeit und Raum sowie ein schlechter Orientierungssinn“, erklärt Marissa Vacher. „Leidet also der Anführer einer Grindwal-Schule an so einer neurodegenerativ bedingten Erkrankung, könnte er dadurch orientierungslos werden, die ganze Schule in flaches Wasser führen und eine Massenstrandung verursachen.“

    Wie groß die Rolle tatsächlich ist, die solch krankhafte Veränderungen des Gehirns im Zusammenhang mit Strandungen der Meeressäuger spielen, muss noch weiter untersucht werden. Laut Tara Spires-Jones ist dies „eine interessante und wichtige Frage für zukünftige Arbeiten.“

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