Chips fallen vor einem schwarzen Hintergrund.

Essen oder liegen lassen: Wie wahr ist die Fünf-Sekunden-Regel?

Angeblich dauert es fünf Sekunden, bis Bakterien am Boden heruntergefallene Lebensmittel besiedeln. Wer sie also schnell genug aufhebt, kann sie bedenkenlos verzehren. Was sagt die Wissenschaft dazu?

Die Uhr tickt: Sobald diese fallenden Chips den Boden berühren, bleiben nur fünf Sekunden, bis sie mit Bakterien kontaminiert sind – vorausgesetzt die Fünf-Sekunden-Regel stimmt.

Foto von Xvision, Getty Images
Von Erika Engelhaupt
Veröffentlicht am 24. Mai 2024, 15:50 MESZ

Kann man Essen, das auf den Boden gefallen ist, bedenkenlos verzehren, wenn man es nur schnell genug aufhebt? Glaubt man der Fünf-Sekunden-Regel lautet die Antwort: Ja. Doch trifft sie wirklich zu? Diese Frage, die im Privaten heiß diskutiert wird, haben Forschende in den letzten Jahren zu beantworten versucht.

Wie schnell kontaminieren Bakterien heruntergefallene Lebensmittel?

Grundlage der Fünf-Sekunden-Regel ist die Frage, wie schnell Bakterien von der Oberfläche des Fußbodens auf heruntergefallene Nahrungsmittel übergehen. Laut dem Lebensmittelwissenschaftler Donald Schaffner von der Rutgers University in New Jersey wurde bei der Bestimmung dieses Zeitfensters in der Vergangenheit oft falsch vorgegangen. Amateurhafte Studien und Untersuchungen, die im Rahmen von Fernsehsendungen durchgeführt wurden, basierten durchweg auf Experimenten, die keinerlei wissenschaftliche Voraussetzungen erfüllten.

Tatsächlich gab es vor dem Jahr 2016 nur eine ernstzunehmende Studie, die eine indirekte Aussage zur Fünf-Sekunden-Regel machte. Durchgeführt wurde sie im Jahr 2007 unter der Leitung des Lebensmittelwissenschaftlers Paul Dawson von der Clemson University in South Carolina. Die Studienautoren kommen darin zu dem Ergebnis, dass heruntergefallene Nahrungsmittel unmittelbar beim Kontakt mit der Oberfläche mit Bakterien kontaminiert werden. Diese Erkenntnis war jedoch nur eine Randinformation, da der Fokus der Studie auf der Frage lag, wie lang Bakterien generell auf Oberflächen überleben können.

Für Schaffner und seine Studentin Robyn Miranda war das Ergebnis Anlass genug, um den Vorgang mit einer größeren Zahl verschiedener Nahrungsmittel unter sich ändernden Umständen zu untersuchen. Die Ergebnisse ihrer Experimente wurden im Jahr 2016 in der Zeitschrift Applied and Environmental Microbiology veröffentlicht. Ihr Fazit: Die Fünf-Sekunden-Regel ist keine Regel. Sie hatten beobachtet, dass die Menge der Bakterien, die die Nahrungsmittel besiedelten, stieg, je länger sie in Kontakt mit der Oberfläche waren – doch schon die erste Berührung führte zu einer Kontamination.

Ein wesentlicherer Faktor als die Zeit war dabei die Feuchtigkeit. Trockene Lebensmittel wie Brot oder Weingummis wurden weniger stark von Bakterien besiedelt als feuchte Nahrungsmittel wie zum Beispiel Wassermelone. Fiel das Essen auf Teppich, wurde es weniger stark kontaminiert als wenn es auf Kacheln oder rostfreie Stahloberflächen fiel. Der Grund: Die Bakterienlösung, die die Forschenden zuvor auf den Oberflächen aufgetragen hatten, wurde vom Teppichmaterial aufgesaugt.

Seit der Veröffentlichung dieser Studie gab es einige weitere, die zeigen konnten, wie schnell sich Bakterien in der Küche verbreiten: ob über die Finger oder indem dasselbe Schneidebrett für Fleisch und Gemüse benutzt wird – unabhängig davon, ob es zwischendurch gereinigt wurde.

Ist es gefährlich, vom Boden zu essen?

Wissenschaftlich ist die Fünf-Sekunden-Regel also inzwischen widerlegt. Bedeutet das, dass man Nahrungsmittel, die Kontakt mit dem Fußboden hatten, prinzipiell nicht essen sollte? Das kommt ganz auf die Oberfläche und die Art der Bakterien an. „Wenn man sich in einem Krankenhaus befindet und dort Essen fallen lässt, sollte man es besser nicht mehr verzehren“, sagt Dawson.

In den meisten Fällen könnten das bisschen Staub und die Bodenbakterien, die auf heruntergefallene Lebensmittel übergehen, einem Menschen mit gesundem Immunsystem aber nicht viel anhaben. „In 99 Prozent der Fälle ist der Verzehr nach dem Aufheben ungefährlich“, so Dawson. Die wichtigste Lehre, die man aus den Untersuchungen ziehen könne, sei, Böden und Oberflächen gut zu reinigen und sauber zu halten.

Der Glaube an die Fünf-Sekunden-Regel wird sich vermutlich trotzdem halten. „Die Leute wollen einfach, dass sie wahr ist”, sagt Schaffner. „Weil es jeder macht – wir alle essen vom Boden.“

So hat die Fünf-Sekunden-Regel – oder auch Drei-Sekunden-Regel, wenn man etwas strenger ist – wohl eher einen psychologischen als einen mikrobiellen Hintergrund: Als Grundsatz, der abstoßendes Verhalten sozial akzeptabel macht. Indem man laut „Fünf-Sekunden-Regel!“ ruft, bevor man einen heruntergefallenen Keks vom Boden aufhebt und isst, legitimiert man sein Tun und hat die Lacher auf seiner Seite.

Wenn man sich also das nächste Mal entscheiden muss, ob man Essen vom Boden verzehrt, sollte man sich statt der Frage, ob die Fünf-Sekunden-Regel zutrifft, eine andere stellen: Schaut mir jemand dabei zu?

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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