Dark Events: Warum wir uns vom Tod angezogen fühlen
Ob Orte, an denen wir uns fürchten, oder Feste, die den Tod zelebrieren: Die Faszination der Menschen mit dem Tod schlägt sich in vielen Lebensbereichen nieder. Warum Dark Events beliebt sind und es wohl auch immer bleiben werden.
In den meisten Menschen löst der Tod vor allem eines aus: Angst. Dennoch suchen viele Menschen absichtlich Kontakt mit ihm – warum ist das so?
Veranstaltungen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen, sind in der Geschichte der Menschheit schon lange beliebt. Öffentliche Hinrichtungen und Gladiatorenkämpfe zum Beispiel. Diese gibt es heute zum Glück nicht mehr, dafür besuchen Menschen Stierkämpfe und setzen sich in Geisterbahnen. Auch Schauplätze vergangener tödlicher Tragödien wie Schlachtfelder, Gulags oder Konzentrationslager werden von Menschen bis heute in Scharen besucht. Denn viele Menschen fühlen sich von Tod und Gewalt geradezu angezogen.
James Kennell von der University of Surrey, England, hat sich in den vergangenen Jahren wissenschaftlich mit diesem Phänomen beschäftigt. Er bezeichnet all diese Veranstaltungen mit dem Begriff Dark Events: „Darunter versteht man organisierte Ereignisse, die mit Tod, Tragödie und Leid verbunden sind“.
Warum Menschen von dem Tod so fasziniert sind und Dark Events sogar brauchen.
Was sind Dark Events?
Unter den Begriff Dark Events fallen nicht nur stark kommerzialisierte Veranstaltungen oder Gedenkorte. Kennell betont, dass Dark Events im Grunde alle Ortsbesuche und Veranstaltungen miteinbeziehen, die sich mit dem Tod beschäftigen. „Die ,Darkness‘ eines Ereignisses ergibt sich aus seiner Beziehung zum Tod – die vom Symbolischen, wie bei Gothic-Musik-Events, bis zum Buchstäblichen reichen kann, wo der Tod von Menschen oder anderen Lebewesen tatsächlich eintreten kann“, sagt Kennell.
Neben dem Besuch kommerzialisierter Gedenkorte oder Gruselattraktionen zählt dazu auch jegliche andere Form von Kontakt mit dem Tod wie private Beerdigungsfeiern oder frei zugängliche historische Orte oder Denkmäler. Auch bei diesen Dark Events kommen Menschen mit dem Tod in Berührung, allerdings ganz ohne Thrill und Spektakel. „Bei solchen Dark Events lernen wir etwas über den Tod und darüber, wie wir angemessen und sinnstiftend mit ihm umgehen können“, sagt Kennell.
Der Dia de los Muertos ist eine der bekanntesten Feierlichkeiten, die sich explizit mit dem Tod beschäftigen.
Dabei müssen Dark Events nicht immer negative Konnotationen haben: Mit Tagen wie Halloween, dem Día de los Muertos oder mit bestimmten Beerdigungsritualen versuchen Menschen, die Begegnung mit dem Tod positiv zu gestalten und spielerisch bis spirituell mit dem Gedanken an das Sterben umzugehen. Auch das hilft Menschen dabei, sich mit dem Tod zu beschäftigen.
Warum sind Dark Events in der westlichen Kultur beliebt?
Laut Kennell steckt hinter dem Interesse an Dark Events vor allem Eines: das menschliche Bedürfnis, dem Tod in einem sicheren Rahmen zu begegnen. „Es gibt eine natürliche menschliche Neugier auf die dunkleren Aspekte des Lebens, einschließlich Tod, Tragödie und Makabres“, sagt er. Neben dem Wunsch nach dem Thrill, den zum Beispiel Horrorfilme oder Geisterbahnen auslösen, steht dabei auch das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit im Mittelpunkt. Das wiederum kann helfen mit der Angst umzugehen, die oft mit Gedanken an den Tod verbunden ist.
Konkret gibt es zwei Erklärungsansätze, die die Beliebtheit von Dark Events noch konkretisieren. Der erste gilt vor allem für den Westen, da man hier laut Kennell besonders dazu tendiert, sich im eigenen Alltag und Umfeld von dem Thema Tod abzuschirmen. „Der Tod ist im Laufe der Zeit zu einem privaten Ereignis geworden“, sagt er. Auch unsere Vorstellung vom Tod habe sich daran angepasst. „Wir hoffen, dass der Tod am Ende eines langen Lebens eintritt, im engen Familienkreis, und dass er durch die moderne Medizin erleichtert wird“, so Kennell. In vielen Ländern sei das anders. Dunkle Ereignisse bieten alternativ eine Möglichkeit, sich öffentlich mit dem Tod auseinanderzusetzen, sei es an historischen Orten oder in Geisterbahnen, und den Tod so sichtbar zu machen.
Eine anderer Erklärungsansatz beschäftigt sich mit dem Phänomen Thanatopsis, also der Meditation über den Tod, das alle Menschen betrifft. „Hier steht die Annahme im Vordergrund, dass wir seit jeher das Bedürfnis haben, dem Tod anderer beizuwohnen, vor allem, um uns mit unserer eigenen Sterblichkeit abzufinden“, sagt Kennell. Dabei geht es konkret um das Erleben von Tod. Mithilfe dieses Ansatzes lässt sich die Beliebtheit einer ganzen Reihe von Dark Events erklären: Horrorfilme, bei denen man den Tod anderer Menschen fiktiv erlebt, aber auch Stier- oder Gladiatorenkämpfe, bei denen Lebewesen tatsächlich zu Tod kommen. Dabei fungieren diese Events wie eine Art Trockenübung für den eigenen Tod oder den von Freunden oder Familienmitgliedern.
Das Friedensdenkmal in Hiroshima, Japan, in Gedenken an den Einsatz der Atombombe im Jahr 1945. Gedenkorte wie dieser bieten Menschen einen Rahmen, um sich mit Tod und Leid auf der Welt auseinanderzusetzen. Dabei spielt auch der historische Kontext eines Ereignisses eine Rolle – und die Konfrontation damit, wie grausam Menschen miteinander umgehen können.
Wie moralisch sind solche Begegnungen mit dem Tod?
In den letzten Jahren ist Kritik an einigen Dark Events aufgekommen, vor allem am Dark Tourism, einem Teilgebiet der Dark Events. So bemängeln Expert*innen den laut ihnen unwürdigen Umgang mit Schauplätzen von Tod und Gräueltaten wie Konzentrationslagern. In den sozialen Medien findet man unter dem Hashtag #Auschwitz aktuell beispielsweise unzählige Selfies von Menschen vor Gaskammern oder Galgen. Auch True Crime Podcasts, die aus Mord und Totschlag Profit schlagen, stehen in der Kritik.
„Es gibt eine Menge moralischer Unsicherheiten in Bezug auf die Kommerzialisierung und das Gedenken an ,dunkle‘ Vergangenheiten“, sagt Kennell. Dabei gebe es eine Skala: Von Halloween und Geisterhäusern bis zum Besuch von Schauplätzen schrecklicher historischer und aktueller Ereignisse. Kennell ist wichtig, dass die Kritik nicht dazu führt, Dark Events generell als moralisch verwerflich abzustempeln. „Wir müssen versuchen, die Faszination mit dem Tod besser zu verstehen und Dark Events auf verantwortungsvolle Weise zu verwalten und zu entwickeln.“ Nur so könne man das Verhältnis zum Tod innerhalb unserer Gesellschaft besser verstehen.
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