Angststörungen: Neues Forschungsergebnis macht Hoffnung

Eine Studie aus London zeigt, wie das Gehirn unverhältnismäßige Angstreaktionen unterdrücken kann. Ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung von Angststörungen.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 14. Feb. 2025, 16:32 MEZ
Frontalschnitt des Gehirns mit gelb, pink und türkis leuchtenden Bereichen.

Ein Frontalschnitt des Gehirns. Die leuchtenden Bereiche sind Verbindungen, die an der Unterdrückung von instinktiven Angstreaktionen beteiligt sind.

Foto von Sainsbury Wellcome Centre

Angststörungen gehören in Deutschland zu den häufigsten psychischen Erkrankungen: Rund 15 Prozent der Bevölkerung leiden darunter. Betroffene reagieren übermäßig ängstlich in Situationen, in denen keine reale Gefahr besteht – zum Beispiel, wenn sie eine ungefährliche Spinne sehen oder in engen Räumen unterwegs sind. Die gute Nachricht: Solche instinktiven Ängste kann man offenbar verlernen. 

Das zeigt eine aktuelle Studie des Sainsbury Wellcome Centre (SWC) am University College London (UCL), die in der Zeitschrift Science erschien. Das Forschungsteam um Neurowissenschaftlerin Sonja Hofer fand heraus, dass das Gehirn lernen kann, Angstreaktionen auf eigentlich harmlose Situationen zu unterdrücken. Die Ergebnisse machen Hoffnung auf neue Therapieansätze für Menschen mit Phobien, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). 

Das Gehirn kann instinktive Ängste verlernen

„Menschen werden mit instinktiven Angstreaktionen geboren, etwa auf laute Geräusche oder sich schnell nähernde Objekte“, erklärt Sara Mederos, Forschungsstipendiatin im Hofer-Labor am SWC. „Doch durch Erfahrung können wir diese Reaktionen überwinden.“ Dabei spiele ein Lernprozess im Gehirn eine zentrale Rolle. Wo genau dieser stattfindet, war bislang jedoch nicht ganz klar. 

“Unsere Ergebnisse stellen gängige Annahmen über Lern- und Gedächtnisprozesse infrage.”

von Sonja Hofer
Sainsbury Wellcome Centre, University College London

Mithilfe von Mäusen gingen die Forschenden dem Prozess näher auf den Grund. Dazu wurden die Tiere immer wieder mit einem sich ausdehnenden Schatten von oben konfrontiert – ein visuelles Signal, das einen herannahenden Greifvogel nachahmen sollte. Anfangs suchten die Mäuse noch Schutz vor dieser vermeintlichen Bedrohung, doch nachdem die Gefahr wiederholt ausblieb, nahm auch ihre Angstreaktion ab. Sie versteckten sich nicht mehr.

Die Veränderung im Verhalten der Tiere zeigte, dass ein Lernprozess in ihren Gehirnen stattgefunden haben musste. Die Mäuse lernten, auf gefahrlose Reize nicht mehr mit Angst zu reagieren. Man könnte also sagen: Sie verlernten ihre Angst.

Tiefliegende Hirnregion fungiert als Angst-Schalter

Aus vorangegangener Forschung wusste das Team bereits, dass eine tief im Gehirn gelegene Struktur, der ventrolaterale Nucleus geniculatus (vLGN), Angstreaktionen unterdrücken kann. In der neuen Untersuchung fanden die Wissenschaftler*innen dann heraus, dass diese Struktur auch eine zentrale Rolle beim nachhaltigen Verlernen von Angstreaktionen spielt. 

„Unsere Ergebnisse stellen gängige Annahmen über Lern- und Gedächtnisprozesse infrage“, sagt Studienleiterin Hofer. „Lange Zeit galt die Großhirnrinde als zentrales Gehirnareal für Lernen, Gedächtnis und Verhaltensflexibilität. Wir haben allerdings festgestellt, dass nicht die visuelle Rinde, sondern der subkortikale vLGN diese entscheidenden Erinnerungen speichert.“

So lässt sich nun auch besser erklären, warum Betroffene ihre Angststörung in den seltensten Fällen durch einfaches Reflektieren loswerden: Die Erinnerungen an die instinktiven Ängste sitzen tief im Gehirn – und können erst durch einen Lernprozess nachhaltig verändert werden. 

BELIEBT

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    Gehirn mit markierten Arealen vor einem verpixelten pinken Herz.

    Botenstoffe lösen (Ver-)Lernprozess aus

    Eine wichtige Rolle dabei spielen sogenannte Endocannabinoide – Botenstoffe, die der Körper selbst herstellt. Sie helfen dabei, unsere Stimmung und unser Gedächtnis zu stimulieren und lösen einen Lernprozess aus. Ihre Ausschüttung führt zu einer erhöhten neuronalen Aktivität in der tiefliegenden Gehirnregion, wodurch wiederum die Angstreaktion auf harmlose Reize unterdrückt wird. 

    Positiv ist: Diese Mechanismen existieren nicht nur in Mäuse-, sondern auch in Menschengehirnen. Die Ergebnisse könnten deshalb zu einem besseren Verständnis von Personen mit Angststörungen beitragen, bei denen die Regulation von Angstreaktionen im Gehirn falsch abläuft. 

    „Dies könnte neue Therapieansätze eröffnen, indem gezielt vLGN-Schaltkreise oder lokale Endocannabinoid-Systeme adressiert werden“, sagt Hofer. Dazu will das Forschungsteam nun das menschliche Gehirn näher untersuchen.

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