
Wie viel Salz ist gesund?
Unsere Beziehung mit Salz ist kompliziert: Auf der einen Seite braucht unser Körper Salz in kleinen Mengen, um zu funktionieren, auf der anderen nehmen viele von uns viel mehr als die empfohlene Tagesration zu uns.
Salz ist ein unverzichtbares, allgegenwärtiges Würzmittel. Es ist außerdem ein essenzieller Nährstoff. Und, wenn es in zu großen Mengen konsumiert wird, Ursache schwerer Erkrankungen.
Unrealistische Empfehlung: Zwei Gramm Natrium täglich
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt gesunden Erwachsenen, täglich nicht mehr als zwei Gramm Natrium zu sich zu nehmen – das entspricht etwa einem Teelöffel Salz. Begründet wird die Grenze damit, dass das Risiko für Bluthochdruck steigt, wenn man sie überschreitet. Noch besser wäre, nur zwei Drittel der empfohlenen Tageshöchstmenge zu konsumieren. Das gilt vor allem für diejenigen, die bereits erhöhten Blutdruck haben.
Doch die Vorgabe einzuhalten ist schwieriger, als es klingt. Mit einem Burger mit den typischen Zutaten, einer Dosensuppe oder zwei Stücken Pizza ist das Limit schnell erreicht und das Salzkontingent für den Tag aufgebraucht.
Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nehmen die Menschen in Deutschland pro Tag im Schnitt 9,2 Gramm Salz zu sich – und damit rund 3,7 Gramm Natrium. Weil er durch ost- und mittelasiatische Länder, in denen viel Salz ins Essen kommt, hochgetrieben wird, liegt der globale Durchschnittssalzkonsum bei 4,3 Gramm Natrium pro Person pro Tag.
Die Wissenschaft ist sich einig, dass sich das Würzmittel negativ auf den Blutdruck auswirkt und ein exzessiver Konsum schlimme Folgen für die Gesundheit hat. Erbittert gestritten wird über eine andere Frage: Wie viel Salz ist zu viel Salz?
Was passiert im Körper, wenn man Salz isst?
Speisesalz besteht hauptsächlich aus Natriumchlorid (NaCl), wobei die positiv geladenen Natriumionen gegenüber den negativ geladenen Chloridionen den größeren gesundheitlichen Schaden anrichten können. Natrium steuert die Speicherung und Ausscheidung von Wasser, um den Salzhaushalt im Körper im Gleichgewicht zu halten. Nimmt man regelmäßig zu viel Salz zu sich, kommt dieser aber in eine Schieflage.
Gegen eine übermäßige Zufuhr von Natrium geht der Körper mit Wassereinlagerung an. Das Blutvolumen erhöht sich. Das Herz arbeitet auf Hochtouren, um die größere Blutmenge durch den Körper zu pumpen. Die Blutgefäße verhärten sich, der Druck auf die Gefäßwände steigt. Die Nieren bemühen sich, das überschüssige Salz aus dem Blut zu filtern und mit dem Urin auszuscheiden.
Nieren und Herz geraten also unter enormen Druck. Wie bei einem Autoreifen, der verschleißt, werden diese Organe, je öfter sie derart beansprucht werden, in ihrer Antwort schwächer. Mutet man dem Körper über lange Zeit zu viel Salz zu, kann das schließlich zum Nierenversagen, Herzerkrankungen oder Schlaganfall führen.
Auch andere Teile des Körpers leiden. Ein zu hoher Salzkonsum steigert das Risiko für Magengeschwüre und Krebs. Studien legen außerdem nahe, dass Salz den Knochen Kalzium entzieht, was Osteoporose – also Knochenschwund – verursachen kann. Dieser Effekt konnte jedoch nicht universell bei allen untersuchten Gruppen bestätigt werden.
Erhitzte wissenschaftliche Debatte
Weniger Salz zu sich zu nehmen, ist auch darum schwierig, weil der Körper es braucht: Mindestens 0,5 Gramm Natrium pro Tag sind für die Gesundheit unverzichtbar. Um zu garantieren, dass immer genug davon im System vorhanden ist, wird die Aufnahme mit der Ausschüttung von Dopamin belohnt. Bekommt der Körper nicht seine nötige Dosis Natrium, kann er mit Muskelkrämpfen reagieren. Auch schwerwiegende gesundheitliche Probleme wie Insulinresistenz und Atherosklerose – eine Vorstufe des Schlaganfalls, bei der es zu krankhaften Ablagerungen in den arteriellen Gefäßwänden kommt – werden so verursacht und können tödlich enden.
Weil die meisten Menschen aber zu viel Salz essen, ist das Risiko, durch eine salzarme Ernährung zu erkranken, gering. Manche Wissenschaftler*innen kritisieren trotzdem, dass der Salzkonsum zu stark verteufelt werde.
Im Jahr 2013 veröffentlichte das US-amerikanische Institute of Medicine – eine wissenschaftliche Nonprofit-Beratungsgruppe, die heute den Namen National Academy of Medicine trägt – eine Forschungsarbeit, die die geltende Tageshöchstmenge Salz auf den Prüfstand stellte. Ihr Ansatz: Für die Notwendigkeit der Begrenzung gäbe es keine fundierten Belege. Die American Heart Association (AHA) wies die Studie als unvollständig zurück und erkannte die Ergebnisse nicht an. Es war einer der Höhepunkt dessen, was Mediziner*innen den „Salzkrieg“ nennen.
Individueller Salzbedarf erschwert Faustregel
Die geltenden Richtwerte in die Praxis umzusetzen, ist laut Franz Messerli, Medizinprofessor an der schweizerischen Universität Bern, eine große Herausforderung. Keinem Land gelänge es, unter der von den Gesundheitsorganisationen vorgegebenen maximalen Tagesdosis zu bleiben. Er ist auf der Seite derer, die den Kreuzzug gegen Salz für übertrieben halten.
Unter anderem argumentiert er, dass neben Salz einige andere Faktoren den Blutdruck beeinflussen. Zu diesen zählen die Krankengeschichte einer Person, unter wie viel Stress sie steht, alltägliche Gewohnheiten und sogar der Beruf – Menschen, die bei ihrer Arbeit Hitze ausgesetzt sind und ins Schwitzen kommen, können es sich zum Beispiel leisten, mehr Salz zu sich zu nehmen. Das gilt auch für sportlich sehr aktive Personen, die meist einen niedrigen Blutdruck haben. All dies spricht gegen eine allgemeingültige Empfehlung.
Forschende, die sich wie Messerli gegen die aktuellen Richtlinien aussprechen, weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einer J-Kurve folgt, auf der sowohl zu viel als auch zu wenig Salz ein Gesundheitsrisiko darstellen. Konzentriere man sich nur auf die Wirkung von Salz auf den Blutdruck, übersähe man die wichtige Rolle, die Salz für den Körper spielt. Laut Messerli wird diese aber erst deutlich, wenn ein Mangel vorliegt.
Salzempfindlichkeit und Bluthochdruck
Wie stark der Blutdruck bei der Salzaufnahme steigt, ist von der Salzempfindlichkeit abhängig, die von Mensch zu Mensch verschieden ist.
„Als wirkungsstarker Elektrolyt steht Salz in Verdacht, dem Körper zu schaden“, sagt Messerli. „Doch in welchem Umfang, unter welchen Umständen und an welchen Stellen genau, ist nach wie vor unbekannt.“
Um die Salzkontroverse ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, sei eine randomisierte kontrollierte Studie, wie sie vor der Einführung neuer Medikamente durchgeführt wird, der beste Weg. Doch eine solche Prüfung, die ein großes Teilnehmerfeld und eine mehrjährige Studiendauer voraussetzen würde, hätte einige praktische Hürden zu nehmen.
Unter anderem dürfte es schwierig sein, Proband*innen zu finden, die bereit sind, sich über einen langen Zeitraum salzarm zu ernähren. Im Jahr 2019 schlugen Forschende vor, eine solche Studie in einem Gefängnis durchzuführen, wo die Mahlzeiten, die die Insassen einnehmen, streng überwacht werden können. Ein solcher Studienaufbau ist jedoch ethisch fragwürdig.
Allerdings konnten Forschende auch ohne Humanstudien zeigen, dass der Salzkonsum mehr als nur den Blutdruck beeinflusst. Laut dem Pharmazeuten Dominik Müller vom Max-Delbrück-Center in Berlin hat Salz Auswirkungen auf den Zellstoffwechsel und kann Immunzellen zur Abwehr von Krankheitserregern im Körper anregen. Müllers Studienteam fand außerdem heraus, dass der Körper offenbar als Schutzfunktion Salz im Umfeld von Hautverletzungen ansammelt. Eine zu hohe Salzaufnahme könne jedoch zu Entzündungen führen, die wiederum das Herz-Kreislauf-System zusammenbrechen und Autoimmunerkrankungen entstehen lassen.
„Bei der Definition von Salzempfindlichkeit steht vor allem der Blutdruck im Fokus“, sagt Müller. „Dabei wäre es vermutlich ratsam, sie weiter zu fassen und auf die Zellfunktion auszuweiten.“
So klappt die salzarme Ernährung
Am täglichen Konsum hat das Salz, das wir beim Kochen unserem Essen zugeben, einen relativ kleinen Anteil. Mit 70 Prozent nehmen wir das meiste Salz durch hochverarbeitete Lebensmittel zu uns. In diesen hat es zum Beispiel konservierende und stabilisierende Eigenschaften, verändert die Struktur von Lebensmitteln und sorgt dafür, dass Fleisch nicht austrocknet. Auch in Grundnahrungsmitteln, die nicht ausgewiesen salzig sind – zum Beispiel Brot –, versteckt sich oft viel Salz. Das lässt die Menge, die wir täglich zu uns nehmen, unbemerkt in die Höhe schnellen.
Mehr als jeder dritte Bürger in Deutschland hat Bluthochdruck und würde davon profitieren, sich salzarm zu ernähren. Weil die Menschen in den westlichen Ländern sich außerdem zu wenig bewegen, ist das Risiko eines Salzüberkonsums laut der Nierenspezialistin Raeeda Gheewala aus Austin, Texas, für sie besonders groß. Die derzeit geltende Empfehlung für die tägliche Salzaufnahme findet sie in Anbetracht dessen nicht zu hoch. Sie empfiehlt, selbst zu kochen statt außer Haus zu essen, um die persönliche Salzaufnahme besser kontrollieren zu können.
„Wie man einkauft, spielt dabei die entscheidende Rolle”, sagt sie. Ihr Rat: Eine Woche im Voraus planen, was man essen will, und salzige Snacks aus dem Haus zu verbannen. „Meistens sind es die Kleinigkeiten zwischen den Mahlzeiten, die uns die Grenze überschreiten lassen“, so Gheewala. Statt mit Chips und Crackern sollte man dem Hunger zwischendurch lieber mit natürlichen Alternativen begegnen: Obst, Gemüse und ungesalzenen Nüssen.
Kalium statt Natrium: Salzersatz
Wer sich natriumarm ernähren möchte, auf den Geschmack von Salz aber nur schwer verzichten kann, greift zum Salzersatz. Dieser besteht statt aus Natrium- aus Kaliumchlorid, das salzig, allerdings auch ein wenig bitter schmeckt. Wie Natrium kann auch ein Zuviel an Kalium schlecht für die Gesundheit sein, doch da die meisten Menschen von dem essentzellen Element ohnehin nicht genug zu sich nehmen, ist das Risiko einer Überdosierung gering.
Die größte bisher durchgeführte randomisierte klinische Studie, in der der Tausch von Natrium gegen Kalium erforscht wurde, stammt aus China. Sie zeigt, dass, wenn man ein Viertel des täglich aufgenommenen Natriums durch Kalium ersetzt, Herzinfarkte um 13 Prozent und Schlaganfälle um 12 Prozent seltener auftreten. Ein weiterer Effekt: Kalium gleicht die Wirkung von Natrium aus, indem es die Blutgefäße entspannt und dabei hilft, Natrium aus dem Körper zu spülen.
Sowohl Gheewala als auch Müller und Messerli behalten ihren persönlichen Salzkonsum im Blick, sind mit sich in dieser Hinsicht aber nicht zu streng. Eine salzarme Ernährung habe zwar viele Vorteile, wenn man sich aber ab und zu Chips, eine Scheibe Salami oder einen Cracker gönnt, sei das auch keine Katastrophe. Schließlich könne man diese Sünde auch einfach wieder ausgleichen: Indem man eine Runde joggt oder ins Fitnessstudio geht.
