Das vernebelte Gehirn

Brain Fog macht das Denken schwer und das Gehirn träge. Bei der Suche nach einer Definition des Phänomens, nach Ursachen und Therapien, irrt die Forschung selbst im Nebel. Was bisher bekannt ist.

Von Natalia Mesa
Veröffentlicht am 2. Mai 2025, 14:20 MESZ
Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit: All dies sind Symptome, die mit Brain Fog in ...

Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit: All dies sind Symptome, die mit Brain Fog in Verbindung stehen, der verschiedene Ursachen haben kann.

Foto von simarik, Getty Images

Die COVID-19-Infektion war überstanden, trotzdem war es nicht wie vorher. Nach der akuten Krankheitsphase hatten viele Betroffene mit neuen Problemen zu kämpfen: Schwierigkeiten mit der Konzentration, dem Denken, dem Gedächtnis und dem Meistern alltäglicher Aufgaben. Über allem lag ein Gefühl der Trägheit.

All diese Symptome lassen sich unter dem Begriff Brain Fog – zu Deutsch Gehirnnebel – zusammenfassen. Zwischen 20 und 65 Prozent aller Long COVID-Patient*innen leiden darunter. Dass der Schätzbereich so groß ist, zeigt, wie wenig man bisher über Brain Fog weiß. Während das Phänomen vor allem seit der Corona-Pandemie bekannt ist, wurde es schon lange davor dokumentiert: bei Personen mit chronischen Krankheiten.

Begleiterscheinung chronischer Krankheiten

Fibromyalgie, Chronisches Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) und Lupus sind drei solche chronischen Erkrankungen, bei denen Brain Fog auftreten kann. Aber auch eine Chemotherapie oder die Einnahme bestimmter Medikamente, zum Beispiel mancher Schmerzmittel, kann ihn auslösen. Außerdem besteht offenbar eine Verbindung mit psychischen Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie.

So unterschiedlich die Erkrankungen auch sind, in dessen Rahmen Brain Fog auftritt, so sehr ähneln sich die Symptome, von denen Betroffene berichten. Laut Jacqueline Becker, Neuropsychologin an der Icahn School of Medicine Mount Sinai in New York, leiden sie unter Konzentrationsschwäche, vergessen ständig Dinge und sind verwirrt. Für Patient*innen mit chronischen Krankheiten gehört Brain Fog zu den Begleiterscheinungen, die ihren Alltag am meisten erschweren. „Er kann wirklich das gesamte Leben bestimmen“, so Becker.

Häufig kann nur schwer oder gar nicht geklärt werden, was den Gehirnnebel auslöst. In der letzten Zeit – und vor allem im Zusammenhang mit Long-COVID-Forschung – wurden bei der Suche nach Ursachen jedoch große Fortschritte gemacht. Diese könnten dabei helfen, Brain Fog in Zukunft effizienter zu behandeln.

Gehirnnebel oder kognitive Störung?

Auf eine allgemeingültige Definition für Brain Fog hat man sich bisher nicht einigen können. Für die meisten Wissenschaftler*innen ist er keine Diagnose, sondern vielmehr eine Reihe von Symptomen, die gleichzeitig im Rahmen bestimmter Erkrankungen auftreten. Laut Becker ist Brain Fog derzeit „ein Sammelbegriff für verschiedene neurologische Symptome, die durch Krankheiten wie Long Covid hervorgerufen werden“.

Aber wie kommt es, dass so viele unterschiedliche Erkrankungen diese Symptome mit sich bringen? Laut Avindra Nath, klinischer Leiter des Institute of Neurological Disorders and Stroke in Bethesda, Maryland, liegt das daran, dass Betroffene generell oft Defizite in kognitiven Bereichen aufweisen. „Und wenn das Gehirn nicht mehr richtig funktioniert, nennen die Leute das eben Brain Fog“, sagt er.

Expert*innen machen jedoch einen Unterschied zwischen Brain Fog und kognitiver Störung. Letztere ruft einen messbaren kognitiven Leistungsabfall im Bereich der Aufmerksamkeit oder des Gedächtnisses hervor. Brain Fog-Patient*innen hingegen berichten zwar von diesen Problemen, Ärzt*innen scheitern aber oft daran, sie mit Messungen zu belegen. Nicht selten werde eine ganze Reihe von Tests mit unauffälligen Befunden durchgeführt, was, so Becker, „für die Betroffenen extrem frustrierend sein kann“.

Brain Fog wird darum nicht selten als rein psychologisches Phänomen abgetan. Das gilt vor allem für Patient*innen mit chronischen Erkrankungen wie Long COVID, die laut Becker oft das Gefühl haben, von Ärzt*innen nicht ernst genommen zu werden. Eine häufige Sicht der Dinge ist, dass Long Covid einen rein psychiatrischen Ursprung habe, so Becker. „Ich finde es wichtig, dagegen anzugehen.”

Obwohl Brain Fog sich bei vielen Erkrankungen auf dieselbe Weise äußert, sind sich Forschende laut dem Psychiater Peter Denno, klinischer Stipendiat am Imperial College London, inzwischen einig, dass die Ursachen unterschiedlich sind. Das ist wichtig, denn die Ursache entscheidet darüber, ob und wie Gehirnnebel behandelt werden kann.

Neuroinflammation: Entzündung im Gehirn

Neue Wege für die Diagnostik und Behandlung hat zum Beispiel die kürzliche Feststellung eröffnet, dass bei verschiedenen Erkrankungen Brain Fog in Zusammenhang mit Neuroinflammationen, also entzündlichen Reaktionen des Gehirns oder des Knochenmarks, auftritt. „Das ist eine der stärksten Hypothesen“, sagt Becker.

Die Hinweise häufen sich, dass COVID-19 eine überaktive oder fehlgeleitete Immunantwort auslöst, die Patient*innen auch dann noch beeinträchtigt, wenn sie die akuten Symptome der Infektion überstanden haben. Studien konnten belegen, dass eine COVID-Infektion zu einer langfristigen Aktivierung der Immunzellen im Gehirn führt und durch Brain Fog das Wachstum der Gehirnzellen hemmt. Bei manchen Betroffenen konnte die Bildung von Autoantikörpern beobachtet werden, die dem Immunsystem das Signal geben, gesunde, körpereigene Strukturen anzugreifen – darunter auch Gehirnzellen. Weitere Forschungsarbeiten legen nahe, dass durch COVID-Infektionen hervorgerufene Entzündungen zu einer langfristigen Abnahme der grauen und weißen Hirnsubstanz führen – und damit zu kognitiven Defiziten.

Forschende haben die Hypothese aufgestellt, dass verbliebene Reservoirs des Virus im Gehirn von Long COVID-Patient*innen das Immunsystem im Abwehrmodus halten, wodurch permanent Entzündungen entstehen. Ähnliche Muster wurden im Rahmen von Studien für ME/CFS, das Posturale Tachykardiesyndrom (POTS) und Chemobrain im Anschluss an eine Chemotherapie nachgewiesen.

Löcher in der Blut-Hirn-Schranke

Einen tieferen Einblick in das Phänomen Brain Fog lieferte eine Studie, die im Februar 2024 in der Zeitschrift Nature erschien. Für diese scannten Hauptautor Colin Doherty, Neurologe am irischen Trinity College in Dublin, und sein Team die Gehirne von Long COVID-Patient*innen. Neben systemischen Entzündungen stellten sie bei Brain Fog-Betroffenen außerdem durchlässige Stellen in der Blut-Hirn-Schranke fest.

Die selektive Membran-Barriere zwischen Blut und zentralem Nervensystem funktioniert wie ein Schutzwall und hält Giftstoffe, Viren und andere schädliche Moleküle vom Gehirn fern. Die Forschenden vermuten, dass durch die undichte Schranke Substanzen in das Gehirn eindringen, die Neuroinflammationen verursachen und Stoffwechselprozesse stören. Ähnliche Fehlfunktionen der Blut-Hirn-Schranke wurden in Studien bei Patient*innen mit Autoimmunerkrankungen wie Lupus und ME/CFS nachgewiesen.

Kritiker weisen darauf hin, dass Dohertys Studie aufgrund ihrer geringen Größe nicht dafür geeignet sei, konkrete Rückschlüsse zu ziehen. Laut Denno erschien im März 2024 eine Arbeit, die keinen Zusammenhang zwischen Brain Fog und Störungen der Blut-Hirn-Schranke feststellen konnte. Eine mögliche Erklärung könnte ihm zufolge sein, dass für die ältere Studie auch Proband*innen mit einer messbaren Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit untersucht wurden.

Hormone, Darmflora, Schilddrüse

Die Wissenschaft ist aber noch weiteren möglichen Auslösern des Gehirnnebels auf der Spur. Unter anderem können nämlich auch Hormone grundlegende Veränderungen im Gehirn hervorrufen. Es wird zum Beispiel vermutet, dass bei Frauen in der Menopause aufgrund des sinkenden Östrogenspiegels manche Hirnareale schrumpfen. Womöglich ist Brain Fog eine Folge davon. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion kann die Verkleinerung bestimmter Hirnregionen, vor allem aber des Hippocampus, herbeiführen. Bei Patient*innen mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT) treten ebenfalls Brain Fog-ähnliche Symptome auf, die mit einem niedrigen Wachstumshormonspiegel in Verbindung gebracht wurden.

In manchen Fällen könnte der Gehirnnebel aber auch auf eine Beeinträchtigung der Darmflora rückführbar sein. Im Rahmen einer kleinen Studie aus dem Oktober 2024 stellten Forschende Brain Fog bei mehr als der Hälfte aller Teilnehmenden mit Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom fest. Eine Hypothese besagt, dass bei Gehirnnebel, der in Verbindung mit Long COVID auftritt, eine Veränderung der Darmflora eine Rolle spielen könnte. Außerdem legen andere Studien nahe, dass die Entstehung von Neuroinflammationen im Zusammenhang mit einem Ungleichgewicht der Darmflora steht.

Im Fall vieler anderer Erkrankungen tappen Forschende in Bezug auf die Biologie des Brain Fog jedoch im Dunkeln. Laut Denno liegt das daran, dass bisher nur eine geringe Anzahl qualitativ hochwertiger Studien durchgeführt wurde. Und die, die sich explizit mit Gehirnnebel beschäftigt hätten, seien in ihren Ergebnissen und ihrer Methodik oft widersprüchlich. Aus diesem Grund sei beispielsweise der Zusammenhang zwischen Brain Fog und chronischen Schmerzen nach wie vor eher schwammig.

Denno zufolge ist die Medizin darum besser beraten, die kognitiven Symptome, die mit jeder Krankheit einhergehen, getrennt zu betrachten und eine einheitliche Methodik zur Untersuchung von Gehirnnebel anzuwenden.

Den Nebel lichten – Brain Fog behandeln

Auch wenn bisher kein eindeutiger Auslöser für Brain Fog identifiziert werden konnte, haben Betroffene Expert*innen zufolge trotzdem die Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Laut Becker sollten Personen, die bei sich Gehirnnebel feststellen, zunächst ihren Lebensstil genauer betrachten: Bekommt man genug Bewegung und Schlaf? Ernährt man sich gesund?

Wer unter starkem Brain Fog leidet, der auch nach einigen Wochen nicht verschwindet, sollte sich an seinen Arzt oder seine Ärztin wenden. Diese können feststellen, ob der Zustand eine behandelbare Ursache wie Schlafapnoe, Vitamin-B-Mangel, hormonelle oder Schilddrüsenprobleme hat. Laut Nath sind sie außerdem in der Lage, Anzeichen für eine Entzündung oder Neurodegeneration, also den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen, zu finden.

Personen mit signifikanten, messbaren kognitiven Einschränkungen könnten laut Becker Therapiemaßnahmen zur kognitiven Rehabilitation helfen. „Das ist eine sanfte Behandlung mit vielen positiven Effekten“, sagt sie. Nath vergleicht die kognitive Rehabilitation mit Sport für das Gehirn. „Wir trainieren dort, wo es beeinträchtigt ist.“

Medikamente und Antikörper-Therapie

Auch eine medikamentöse Behandlung könnte bald möglich sein. Laut Becker hätte einigen Patient*innen – insbesondere denen, die in Verbindung mit einer Chemotherapie Brain Fog erleben – ADHS-Medikamente geholfen. Kleine Studien haben außerdem positive Effekte bei der Gabe von Antihistaminika festgestellt. Famotidin etwa, das die Produktion von Magensäure hemmt, kann Entzündungen und damit das Auftreten von Brain Fog reduzieren.

ein Patient liegt in einem Bett auf einer Intensivstation umringt von Krankenhauspersonal.

Nath und sein Team untersuchen derzeit die Wirkung von intravenös verabreichten Immunoglobulinen. Die Antikörper werden bereits genutzt, um immunologische Erkrankungen wie Lupus und Long COVID zu behandeln. Theoretisch unterdrücken sie eine übermäßige entzündliche Antwort des Immunsystems und verhindern so, dass gesunde Zellstrukturen geschädigt werden. Auf diese Weise könnte der Nebel im Gehirn gelichtet werden. Ähnlich wirken Checkpoint-Inhibitoren (ICIs), die bei Krebspatient*innen, teilweise aber auch bei Personen mit Long COVID eingesetzt werden, um die Immunantwort zu stärken. Die Wirksamkeit dieser Medikamente gegen Brain Fog wollen Nath und seine Studienkolleg*innen als nächstes testen.

Expert*innen sind sich jedoch einig: Bevor man Gehirnnebel effizient behandeln kann, muss man erst mehr darüber wissen. „In der Medizin gilt es als Versagen, wenn man es nicht schafft, ein Symptom unter einem lateinischen Medizinbegriff einzuordnen“, sagt Doherty. Ihm zufolge sollte man diesen Umstand besser als Anreiz nehmen, die Forschung weiterzuführen.

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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