Japans heilige Bärenjagd
Der Fotograf Javier Corso verbrachte zwei Wochen mit den Matagi, um ihre alte, aber kontrovers diskutierte Tradition zu dokumentieren.
Tief im Hochland im Norden der japanischen Hauptinsel Honshū beginnen die Matagi mit ihrer Winterjagd. Sie beten, bevor sie die heiligen Gefilde des Berges betreten. Dann bringen sie Stunden damit zu, zu lauschen, zu warten und zu beobachten. Sie bemerken kaum wahrnehmbare Anzeichen dafür, dass der Kragenbär in der Nähe ist.
Die Gruppe von Männern teilt sich auf. Die einen fungieren als Wächter, die anderen als Lockvögel. Langsam kommen sie näher, bis der Schütze feuert. Auf dem jungfräulichen Schnee zeichnen sich rote Blutflecken ab, als der Leichnam des Bären zu einer Ebene in der Nähe gezogen wird, wo er mit traditionellen Matagi-Messern ausgenommen und zerteilt wird. Ein Teil seiner Inneren wird als Opfer an die Göttin des Berges zurückgelassen.
Die Formalität und die spirituelle Präzision sind es, die diesen Akt des Tötens von der modernen Jagd unterscheiden. Die Matagi sind eine Gemeinschaft von Jägern, deren Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Jede Siedlung im Norden von Honshū hat ihren eigenen Charakter, aber sie alle verstehen sich als besondere Wächter des natürlichen Gleichgewichts. Aber seit die japanische Unterart des Kragenbären (Ursus thibetanus japonicus) – ihr Hauptbeutetier – als gefährdet gilt, hat sich eine Kontroverse um ihre Jagd entsponnen.
Javier Corso hat 15 Tage mit den Matagi verbracht. Seine Aufnahmen veranschaulichen, dass ihre Praktiken in 400 Jahren Geschichte verwurzelt sind. Corso arbeitete als Teil der Produktionsfirma OAK stories an dem Projekt. Die Agentur von Journalisten, Fotografen und Filmemachern konzentriert sich auf lokale Geschichten. Er arbeitete mit Alex Rodal zusammen, dem Forschungsleiter von OAK, der vor dem Beginn der Aufnahmen sechs Monate lang Recherchen über die Matagi angestellt hat.
„Ich wollte die Ursprünge dieser Gemeinschaft zeigen, damit die Menschen verstehen können, was sie tun und warum sie es tun“, sagt Corso. „Ich wollte die Gelassenheit der Jagd und ihre Verständigung mit dem Berg zeigen.“
Neben der Rohheit der Tötung vermitteln Corsos Porträts auch eine Identität, die eng mit dem Land und den Tieren, die sie jagen, verbunden ist.
Die Jagd ist eine so ungemein spirituelle Praktik, dass Corso – neben dem japanischen Fotografen Yasuhiro Tanaka – der erste war, dem gestattet wurde, sie zu dokumentieren.
Corso und sein Team verbrachten fünf Tage mit einer Gruppe von Matagi, gewannen ihr Vertrauen und lernten mehr über ihre Kultur, bevor sie auf den Berg eingeladen wurden. „Ich war von der Art, wie sie jagen, sehr beeindruckt“, sagt Corso. „Es war sehr respektvoll.“ Obwohl sie moderne Kleidung tragen, jagen viele Matagi mit denselben Waffen, die ihre Vorfahren schon vor sieben Generationen benutzt haben.
In den letzten Jahren wurde ihre Jagd allerdings extrem eingeschränkt. Nach der atomaren Katastrophe in Fukushima 2011 erlegte der Staat den Matagi-Gemeinden sechs Jahre lang ein Verbot für den Verkauf von Bärenfleisch auf, da man Angst hatte, es könnte kontaminiert sein. „Sie mussten andere Möglichkeiten finden, um sich zu versorgen“, so Corso.
Zusätzlich gibt es viele bürokratische Hürden bei der Jagd. „Die Lizenz für die Jagd eines Kragenbären zu erhalten, ist ein sehr mühsamer und teurer Prozess, und sie muss alle drei Jahre erneuert werden, selbst wenn man nicht direkt an der letztendlichen Tötung beteiligt ist“, sagt Alex Rodal. „Das schreckt die jüngeren Leute ab.“
Ihre kulturellen Praktiken sind bedroht. „Wenn der japanische Kragenbär eines Tages ausstirbt, werden die Matagi nicht der Grund dafür sein“, sagt Rodal. „Ich glaube, die Matagi werden eher verschwinden als der Bär.“
Mehr von seiner Arbeit kann man sich auf seiner Webseite ansehen.