Der Wikingerschatz von Galloway

Mehr als 1000 Jahre lang ruhte der Schatz im Boden und offenbarte bei seiner Entdeckung atemberaubende Kostbarkeiten.

Von Heather Pringle
Veröffentlicht am 31. Aug. 2018, 15:19 MESZ, Aktualisiert am 4. Feb. 2022, 14:59 MEZ
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Dieser goldene Anhänger, an dem sich noch Reste des Stoffes befinden, in dem er eingewickelt war, könnte einst eine Reliquie eines Heiligen enthalten haben.
Foto von Robert Clark

Über Generationen hinweg berichteten die Geschichtenerzähler der Wikinger von riesigen Schätzen, die von feuerspeienden Drachen bewacht wurden. Tatsächliche Schatzfunde aus der Wikingerwelt sind bis heute relativ selten – aber es gibt sie.

Einer dieser spektakulären Schätze ist der Galloway Hoard, der 2014 im Südwesten Schottlands entdeckt wurde. In einem reich verzierten Metallgefäß, das im Boden vergraben wurde, befanden sich silberne Armreifen mit Runen, angelsächsische Silberfibeln, Goldschmuck, bestickte Seide und sogar wertvolle Pflanzenreste.

„Es ist eine seltsame und wundervolle Auswahl an Gegenständen“, sagte Olwyn Owen 2014 in einem Interview mit National Geographic. Owen ist eine unabhängige Wissenschaftlerin und Wikingerexpertin aus Edinburgh. Die ursprünglichen Besitzer des Schatzes „füllten das Gefäß bis zum Rand, hüllten es in mehrere Stoffschichten und vergruben es im Boden“, erklärte sie.

Mittelalterlichen Texten zufolge statteten die Wikinger den Britischen Inseln erstmals im Jahr 793 einen unwillkommenen Besuch ab. In den Folgejahren plünderten die Seefahrer aus Skandinavien die Küsten der Inseln und terrorisierten Klöster und Gemeinden. Während der drei folgenden Jahrhunderte versuchten ambitionierte Wikinger, die Gebiete der Britischen Inseln zu erobern und zu kolonisieren, bis sie und ihre Nachfahren schlussendlich besiegt wurden oder in der heimischen Bevölkerung aufgingen.

Laut den Archäologen stammt der Schatz aus dem frühen 10. Jahrhundert, wobei einige der Teile zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahrhunderte alt waren. Damals hatten die Wikinger gerade eine schlimme Niederlage in Irland erlitten. Lokale Legenden berichten „von einer Wikinger Armee, die [an einem Schauplatz nahe Galloway] von einer Armee der Schotten besiegt wurde“, erzählten Derek McLennan, der den Schatz mit seinem Metalldetektor entdeckt hat.

McLennan war von diesen Erzählungen und anderen Hinweisen fasziniert und beschloss daher, sich auf die Suche nach den Spuren der Wikinger zu machen. Am 1. September 2014 war er mit einer kleinen Gruppe Kollegen unterwegs, als er einen silbernen Armreif mit einem wikingischen Muster, ein großes Silberkreuz und zwei weitere Artefakte fand. Er benachrichtigte sofort die Behörden, die umgehend den Archäologen Andrew Nicholson vom Dumfries and Galloway Council an den Fundort schickten. Es war eine einmalige Gelegenheit.

„Hortfunde werden eigentlich nie von Archäologen ausgegraben“, erklärte Owen. Die meisten wurden „zufällig bei Straßenbauarbeiten im 19. Jahrhundert entdeckt oder [von Amateurschatzgräbern] aus dem Boden geholt“.

Eines der bemerkenswertesten Objekte des Schatzes war dieses kunstvoll gefertigte karolingische Gefäß. Es war mit Stoff umwickelt worden und randvoll mit Broschen und anderen mittelalterlichen Kostbarkeiten.
Foto von Historic Environment Scotland

Die kontrollierte archäologische Ausgrabung förderte nicht nur einen Schatz zutage, sondern gleich zwei. In der oberen Schicht grub das Team eine goldene Fibel in Form eines Vogels, 67 längliche Silberrollen und mehrere Armreifen aus, von denen viele von irischen Metallarbeitern hergestellt wurden. Die etwa fingerdicken Silberrollen dienten in der Welt der Wikinger als eine Art Bargeld: die wohlhabenden Besitzer schlugen kleine Stücke der Rollen ab, um Vieh und andere Güter zu kaufen, loyales Gefolge zu belohnen oder die Truppen der Söldnerarmeen zu bezahlen, erklärte Nicholson.

Etwa acht Zentimeter unterhalb des Fundes entdeckten Nicholson und seine Kollegen ein großes Metallgefäß mit einem Deckel. Es war kopfüber vergraben worden, womöglich um zu verhindern, dass sich Wasser darin staut. Wie sich herausstellte, war es randvoll mit kleinen Schätzen, von denen viele in Leder und feine Stoffe gewickelt waren.

„Es wurde nichts einfach in das Gefäß geworfen“, sagte Owen.  Die Gegenstände „waren sorgsam eingewickelt und sehr eng aneinander in dem Gefäß verstaut. Das sind so besondere Gegenstände, dass sie für ihren wikingischen Besitzer ganz eindeutig sehr wichtig waren“, erklärt sie.

Schlechter Tag für die Angelsachsen

Zu den wichtigsten Funden zählte das Gefäß selbst. Es war reich verziert und aus einer Kupfer-Silber-Legierung gefertigt worden. Den Archäologen zufolge stammt es aus den Werkstätten von Metallarbeitern des mittelalterlichen Karolingerreiches, das sich von Frankreich bis Deutschland erstreckte und einst von Karl dem Großen regiert wurde.

Es sei „wirklich eine sehr seltene Entdeckung“, sagte Colleen Batey, eine Archäologin der University of Glasgow, die auf Wikinger spezialisiert ist. Nur sechs solcher karolingischen Gefäße wurden je gefunden, und viele Gelehrte vermuten, dass sie bei wichtigen Zeremonien der katholischen Kirche zum Einsatz kamen.

In dem Gefäß entdeckten die Archäologen eine atemberaubende Sammlung mittelalterlicher Artefakte. Zu den spektakulärsten Funden gehören neun Silberfibeln, von denen einige kunstvoll gearbeitet und verziert wurden. Der Großteil dieses Schmucks wurde Owen zufolge von meisterhaften angelsächsischen Metallarbeitern gefertigt. Für ihre Besitzer waren diese Stücke zweifelsfrei sehr wertvoll. Dass die Wikinger eine solche Sammlung in ihrem Besitz hatten, bedeutet, dass „irgendein angelsächsisches Kloster oder eine Siedlung einen ziemlich schlechten Tag hatte“, wie Owen es ausdrückte.

Die Restauratoren fanden noch zahlreiche andere wertvolle Gegenstände, darunter einen kleinen Goldbarren, versilberte Perlen, einen kunstvoll dekorierten Goldanhänger, in dem sich einst eine heilige Reliquie befunden haben könnte, und – seltsamerweise – zwei große Samenkapseln oder Nüsse. Wer auch immer das Gefäß gefüllt hatte, muss geglaubt haben, dass die Samen „etwas Besonderes sind und es wert waren, mit dem kostbaren Gold und Silber begraben zu werden“, so Owen.

Diese zwei Armreifen mit alten Runen stammen aus der oberen Schicht des Fundes.
Foto von Robert Clark

Selbst einige der Stoffe, mit denen die Gegenstände im Gefäß umwickelt waren, haben Seltenheitswert. Textilexperten des Anglo-Saxon Laboratory im englischen York stellten bei mehreren Proben fest, dass es sich um Samit handelt. Der luxuriöse Seidenstoff wurde von Webern in Byzanz, Nordafrika oder Südspanien hergestellt. Während des Mittelalters war das kostbare Textil in Europa größtenteils der Elite vorbehalten – Königen und Königinnen, hochrangigen Kirchenvertretern und Heiligen, die in christlichen Kirchen begraben wurden.

Wie genau diese Gegenstände in den Besitz der Wikinger gerieten und warum man beschlossen hatte, sie im Boden zu vergraben, ist noch immer nicht ganz klar. Der Wikingerschatz von Galloway ging 2017 in die Obhut der National Museums Scotland über und wird dort weiterhin untersucht.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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