Wer war Kyros der Große?

Kyros II. ging als einer der barmherzigsten Eroberer aller Zeiten in die Geschichte ein. Seine Herrschaft gilt als eines der frühesten Beispiele für Pluralismus und Toleranz.

Von Kristin Baird Rattini
Veröffentlicht am 14. Juni 2019, 16:46 MESZ
Ein Kupferstich zeigt Kyros den Großen. Er fiel schon zu Lebzeiten durch seine Toleranz und Gnade als Herrscher auf – ein Ruf, der die Jahrhunderte überdauerte.
Foto von Bettmann, Getty

Wie viele mächtige Herrscher der Antike stammte der persische Eroberer Kyros der Große (eigentlich Kyros II., ca. 590 – 530 v. Chr.) aus einer Königsfamilie. Nach dem Tode seines Vaters, Kambyses I., wurde Kyros zum König der Achämeniden-Dynastie und baute das Reich seiner Vorväter zu einem gewaltigen Imperium aus. Allerdings verdankte er sein Ansehen nicht nur seinen militärischen Siegen, sondern auch seiner bemerkenswerten Toleranz und Gnade gegenüber jenen, die er besiegt hatte.

Der brillante Militärstratege Kyros unterwarf den König der Meder und gliederte sämtliche iranische Stämme in sein Reich ein. Die geschickten Reiterkrieger verliehen seiner Armee eine beachtliche Mobilität. Sein Triumph über Lydien an der Mittelmeerküste Kleinasiens füllte die Schatzkammern seines Reiches.

Nachdem er die Ländereien rund um Mesopotamien eingenommen hatte, marschierte Kyros schließlich auf Babylon. Für die Einwohner der Stadt war das historischen Berichten zufolge allerdings gar kein so großes Problem: Sie waren den Stadtherren aufgrund von Zwangsarbeit und der Herabstufung ihres Stadtgottes Marduk ohnehin nicht wohlgesonnen. Die Babylonier sahen keinen Grund, sich Kyros entgegenzustellen, der dafür bekannt war, jene zu verschonen, die sich ihm ergaben. Im Jahr 539 öffneten sie daher die Tore für die Perser, die die Stadt „in Friede und inmitten von Freude und Jubel“ betraten, wie es in einer Inschrift heißt, die Kyros’ Triumph beschreibt.

“Er würdigte seine Untertanen und kümmerte sich um sie wie um seine eigenen Kinder, und sie wiederum verehrten ihn wie einen Vater.”

von XENOPHON, AUTOR DER „KYRUPÄDIE“

Ein Mann der Gnade

Kyros’ gütige Natur zeigte sich während seiner Herrschaft auf vielerlei Art. Er beschwichtigte die einst mächtigen Meder, indem er sie in die Regierungsgeschäfte einbezog. Er übernahm in seiner Kleidung und seinem Schmuck Elemente des Reiches Elam, dessen politische Unabhängigkeit mit Kyros’ Eroberungen ein Ende fand. In seinem ganzen Reich gab er der Bevölkerung Götterbildnisse zurück, die während früherer Gefechte gestohlen und nach Babylon gebracht worden waren. Und in Babylon selbst huldigte er der Stadtgottheit Marduk, die von den Einwohnern verehrt wurde.

Sein bekanntester Akt der Gnade war aber vermutlich die Befreiung der Juden, die nach der Eroberung Jerusalems vom König Nebukadnezar II. ins Exil nach Babylon geschickt worden waren. Kyros gestattete ihnen, in ihr gelobtes Land zurückzukehren. Die Juden priesen den persischen Herrscher in ihren Schriften als Retter an, dem Gott Macht über andere Königreiche verliehen hatte, um ihnen die Rückkehr nach Jerusalem zu ermöglichen, wo sie ihren Tempel wiederaufbauen konnten.

Der Kyros-Zylinder, der aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Stammt, gilt als erste Erklärung der Menschenrechte.
Foto von Babak Tafreshi, Nat Geo Image Collection

Ein Vermächtnis der Menschlichkeit

Kyros II. starb ungefähr 529 v. Chr. während einer Kampagne gegen die Nomadenvölker rund um das Kaspische Meer. Welchen bleibenden Eindruck „der Große“ hinterlassen hatte, zeigte sich auch darin, dass die Griechen ihm noch in späteren Jahren große Hochachtung entgegenbrachten – und das trotz der erbitterten Kriege, die sie mit seinen persischen Nachfolgern führten. Mehr als 150 Jahre nach Kyros’ Tod verewigte der griechische Gelehrte Xenophon den Herrscher in seiner „Kyrupädie“:

„Er würdigte seine Untertanen und kümmerte sich um sie wie um seine eigenen Kinder“, schrieb Xenophon, „und sie wiederum verehrten ihn wie einen Vater.“

Diese Worte inspirierten mindestens einen der amerikanischen Gründerväter. Thomas Jefferson besaß nicht nur eine, sondern gleich zwei Ausgaben der „Kyrupädie“.

Wissen kompakt: Mesopotamien

Auch in der heutigen Zeit wird Kyros noch eine beträchtliche Anerkennung zuteil, nämlich im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York City. Dort wird eine Nachbildung des sogenannten Kyros-Zylinders ausgestellt. In babylonischer Keilschrift ist darauf seine „Eroberung“ Babylons festgehalten, samt den barmherzigen Entscheidungen, die er zugunsten der Babylonier traf. So heißt es darauf beispielsweise, dass er seinen neuen Untertanen gestattete, an ihren Traditionen festzuhalten – ein beispielloser Akt in einer Zeit, in der Herrscher sich als Besitzer des eroberten Landes und seiner Einwohner betrachteten. Der Kyros-Zylinder, der 1879 von britischen Archäologen ausgegraben wurde, gilt gemeinhin als erste Niederschrift von „Menschenrechten“, und die Herrschaft des Kyros als eine von Pluralismus und Toleranz geprägte.

Der Tempelberg und der Felsendom in Jerusalem.
Foto von SHUTTERSTOCK, Nat Geo Image Collection

Kyros als Retter des Judentums

Das Judentum ist die älteste noch praktizierte monotheistische Religion, deren Wurzeln bis ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückreichen. Für die Juden gab es nichts Wichtigeres als ihren Glauben, der auf einem Bund zwischen ihnen und ihrem Gott fußte. Die Geschichte dieser besonderen Verbindung erzählt die Tora – die ersten fünf Bücher der hebräischen Bibel.

Laut der Tora versprach Gott seinem auserwählten Volk, den Israeliten, das Land Kanaan. Sie begründeten das Königreich Juda und etablierten um das Jahr 1000 v. Chr. Jerusalem als dessen Hauptstadt. Der große Tempel in Jerusalem wurde um 587 v. Chr. vom König Nebukadnezar II. zerstört. Nachdem Kyros die Juden 538 v. Chr. aus dem babylonischen Exil befreit hatte, kehrten sie nach Jerusalem zurück, um ihren Tempel wiederaufzubauen.

Der lydische König Krösus

Zu Kyros zahlreicheren Eroberungen gehörte auch das kleinasiatische Königreich Lydien. Nur wenige antike Herrscher galten als so wohlhabend wie dessen König Krösus. In seinem Reich gab es große Vorkommen von Elektrum, einer natürlichen Legierung aus Gold und Silber. Daraus stellte er Münzen her – eine Praktik, die etwa ein Jahrhundert vor Krösus’ Herrschaft ihren Ursprung um 560 v. Chr. in Lydien und Griechenland gefunden hatte. Sein Reichtum machte ihn legendär.

Laut dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot traf Krösus einst den athenischen Staatsmann Solon und fragte ihn, ob Geld glücklich mache. Solon erwiderte: „Wer große Reichtümer sein eigen nennt, ist dem Glück nicht näher als der, der hat, was er zum täglichen Leben braucht.“ Herodot betrachtete Krösus’ Niederlage gegen Kyros als Beweis dafür, dass Reichtum noch kein erfülltes Leben garantierte.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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