Bone Wars – der Krieg um Dinosaurierknochen
Forschung ist trocken? Von wegen. Im 19. Jahrhundert lieferten sich Paläontologen einen regelrechten Krieg um die Entdeckung neuer Dinosaurier-Arten - Schießereien inklusive.
Rund 120 Jahre bevor der Blockbuster „Jurassic Park“ die Massen in die Kinos zog, beschäftigte ein echtes Dinosaurierspektakel die Medien. Doch nicht die atemberaubenden Funde, sondern die damit einhergehende Fehde zwischen zwei Gelehrten wurde zum Zentrum der Aufmerksamkeit.
Nachdem um 1840 der erste „Dinosaurier“ wissenschaftlich beschrieben worden war, ging in den USA unter Forschern eine regelrechte Jagd auf Fossilien los - und die Jäger waren nicht nur mit Schaufeln und Meißeln bewaffnet, sondern auch mit Revolvern: Jeder wollte der erste sein, der die nächste Art entdeckt und beschrieb. Und so wurden Kollegen zu Erzfeinden und Fundstellen bis aufs Blut verteidigt. Rücksichtslos wurden Aufschlüsse zugeschüttet, Knochenfragmente vernichtet und in manchen Fällen vermutlich ganze Ausgrabungsstätte gesprengt. Nur, um Funde vor anderen Forschern zu verbergen.
Kriegsführer: die Erzfeinde Cope und Marsh
Hauptakteure im Disput, den die Zeitungen „Bone Wars“ (Knochenkriege) tauften, waren die rivalisierenden Paläontologen Othniel Charles Marsh und Edward Drinker Cope - beide US-Amerikaner und vom Ehrgeiz getrieben. Beide Männer waren auf ihre Weise herausragend und trugen maßgeblich zur Erforschung der Dinosaurier und anderer prähistorischer Tiere bei. Allein Cope beschrieb mehr als 1.000 neue Tierarten. Dass uns viele Dinosauriernamen wie Stegosaurus, Triceratops, Brontosaurus, Camarasaurus oder Diplodocus heute so geläufig sind, haben wir ihnen zu verdanken. Dass einige Arten vielleicht für immer unentdeckt bleiben ebenso.
Die zwei konnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite Cope, ein Autodidakt aus einer reichen Quäkerfamilie, der die Schule abgebrochen hatte und es trotzdem zu über 1.400 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikeln brachte - ein Rekord, den bis heute kein anderer Wissenschaftler übertrumpft hat. Auf der anderen Seite der knapp zehn Jahre ältere Marsh, der nur durch die Hilfe seines reichen Onkels zu einer Professur an der renommierten Yale University gekommen war. Als Darwin sein Buch über die Entstehung der Arten veröffentlichte, war Marsh in seinem letzten Studienjahr und einer der ersten Gelehrten, die in den USA die Evolutionstheorie übernahmen.
Visionär vertrat Marsh schon früh die Ansicht, dass Vögel eng mit den Dinosauriern verwandt seien, eine Theorie, die erst in den 1960er Jahren wieder aufgegriffen wurde und heute gängige Lehrmeinung ist. Zudem hatte er als kluger Stratege mit politischem Geschick gute Beziehungen zu einflussreichen Kreisen.
Schicksalsträchtige Begegnung in Berlin
Cope und Marsh trafen sich zum ersten Mal 1863 in Berlin. Beide im wehrfähigen Alter, waren sie dem in den USA tobenden Bürgerkrieg nach Europa entflohen, um sich dort in Sicherheit weiterzubilden. Zunächst sollen sie gemeinsame Spaziergänge durch die Stadt unternommen haben und freundschaftlich verbunden gewesen sein. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat USA entfachte jedoch ein verbitterter Wettstreit: jeder wollte mehr neue Arten entdecken und so suchten beide im „Wilden Westen“ nach Knochen wie andere nach Goldnuggets.
Copes öffentliche Demütigung
Cope hielt Marsh für intellektuell unterlegen und lästerte anfangs hinter vorgehaltener Hand, später öffentlich. Um den anderen auszustechen, wurden neue Funde hastig beschrieben - teilweise falsch und unvollständig. Das Wettrüsten eskalierte, als Cope ein Fehler unterlief: Bei der Rekonstruktion eines langhalsigen, marinen Reptils (Elasmosaurus) verwechselte er Schwanz und Hals des Tieres und setzte den Tierschädel unbedacht ans Schwanzende. Für Marsh die Gelegenheit, auf die er nur gewartet hatte, um das Wunderkind bloßzustellen. Dass die Schmach ausgerechnet von Marsh ausging, traf Cope doppelt hart, sah er in seinem Erzfeind doch einen „Schaukelstuhl Paläontologen“: Marsh schickte meist seine Assistenten los, um nach Knochen zu graben - und publizierte die gefundenen Stücke dann unter seinem Namen. Cope hingegen begab sich bis ins hohe Alter selbst in der Prärie.
Wettlauf um Edmontosaurus
So war Marsh auch nicht selbst vor Ort als sein Assistent zwischen 1889 und 1894 wichtige Entdeckungen in der Lance Formation machte: eine große Menge an Überresten von Horndinosauriern. In seinen Publikationen beschrieb Marsh die Gesteine die „Ceratops-Schichten“. 1892 benannte er eine neue Art eines Entenschnabeldinosauriers, die er Claosaurus annectens taufte. Cope war ihm dicht auf den Fersen: Durch die Eile, mit der beide Forscher ihre Entdeckungen veröffentlichten, unterliefen beiden immer wieder Fehler bei der Beschreibung der Funde. Viele neue Arten wurden nahezu zeitgleich entdeckt - und von beiden Forschern mit unterschiedlichen Namen versehen.
Cope hatte bei der Namensgebung der Dinosaurier oft das Nachsehen. Viele der Namen, die er vergeben hatte, sind heute nicht mehr gültig. Zu seinen bekanntesten Dinosauriernamen, die heute Bestand haben, gehören die Langhalsdinosaurier Camarasaurus und Amphicoelias. Amphicoelias ist vielen nicht so geläufig, da das Copesche Original entweder zerstört oder verschollen ist. In Fachkreisen gilt die Art Amphicoelias fragilis jedoch als heißer Anwärter für die Krone des größten je gefundenen Dinosauriers.
Ein Dinosaurier, der beim Versuch, die fehlerhaften Beschreibungen und Doppelbenennungen zu entwirren, besonders oft einen neuen Namen erhielt, war eben jener Claosaurus annectens. So hieß dieses Tier zeitweise Trachodon, Thespesius, Anatosaurus, Anatotitan, und schließlich seit 2011 Edmontosaurus annectens.
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Buffalo Bill als Bodyguard
Die berühmtesten Funde, die aus den Knochenkriegen resultierten, stammen von der Fundstelle Como Bluff. Sie liegt in der Morrison Formation, einer Gesteinsformation des Oberen Jura, im Westen von Wyoming, von wo aus Allosaurus, Stegosaurus, Apatosaurus und Brontosaurus zum ersten Mal beschrieben wurden. Diese Namen wurden alle von Marsh aufgestellt, genauso die Gattung Diplodocus, von dem im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt ein Originalskelett aufgestellt ist.
Die Arbeiten am Como Bluff markierten den Höhepunkt der Streitigkeiten von Cope und Marsh. Zum Schutz seines Teams - und um Bestechungsversuche abzuwehren - soll Cope Revolverhelden angeheuert haben, so wie sie aus Wild-West-Filmen bekannt sind. Es kam wohl zu kleineren Schießereien, zu ernsthaften Verletzten jedoch wohl nicht. Dafür zu bizarren Szenen: Einmal sollen sich hier die Fossiliensucher beider Lager mit Steinen beworfen haben. Für seine Ausgrabungen konnte Marsh dann zwischenzeitlich sogar den legendären William Cody für sich gewinnen, besser bekannt als Bisontöter Buffalo Bill. Der ist damit beauftragt worden, frisches Bisonfleisch für Marshs Männer zu besorgen.
Insgesamt dauerten die Knochenkriege über zwei Jahrzehnte an. Der Schaden, den die Streithähne Cope und Marsh der Wissenschaft zugefügt haben, ist heute nicht mehr abzuschätzen. Zurück ließen die Bone Wars ein Chaos an Namen für die ausgestorbenen Giganten - und zwei gebrochene Männer, die verarmt und immer noch zerstritten kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts starben.
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