Edmontosaurus-Steckbrief: Das Leben der Mumie Edmond

Edmontosaurus zählte zu den häufigsten Dinosauriergattungen der späten Kreidezeit Nordamerikas. Dank jahrzehntelanger Forschung und neuer Technologien weiß man heute, dass er in riesigen Herden lebte und von Tyrannosauriern gejagt wurde.

Von Stephanie Glasa
Veröffentlicht am 20. Aug. 2019, 10:53 MESZ
Edmontosaurus annectens (etwa: die verbundene Echse aus Edmonton)
Edmontosaurus annectens (etwa: die verbundene Echse aus Edmonton)
Foto von Shutterstock

Wer sich das Bild eines Edmontosaurus anschaut, kann dort viele Tiere erkennen: Der Schwanz sieht aus wie der einer Echse, die Schnauze erinnert an den Schnabel einer Ente. Auf dem Kopf der Männchen prangt ein Kamm ähnlich dem eines Huhns. Dass Forscher heute Tiere beschreiben können, die vor vielen Millionen Jahren ausgestorben sind, ist ihren sterblichen Überresten zu verdanken, die rund um den Globus gefunden wurden.

Hinter jedem starren Dinosaurierskelett steckt die Geschichte eines Lebewesens. Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher daran, besser zu verstehen, wie das Leben dieser Tiere wohl aussah – so auch in Frankfurt. Dort kann man im Senckenberg Naturmuseum die versteinerte Mumie eines Edmontosauriers ansehen. Sein Projektname: Edmond.

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Welche dramatischen Szenen sich im Leben von Edmond abgespielt haben, wird sich nie ganz genau sagen lassen. Doch dank akribischer Forschung und immer besserer Technologie kann heute viel detaillierter rekonstruiert werden, wie er und seine Verwandten lebten und welchen Herausforderungen sie wahrscheinlich begegneten.

BELIEBT

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    Neben der seltenen Edmontosaurus-Mumie wurden in der Lance-Formation auch die versteinerten Überreste von Tyrannosauriern und Triceratops gefunden. Probegrabungen aus dem Jahr 2018 zeigten, dass die Sedimentschichten neben den Zähnen von urzeitlichen Säugetieren und Haien darüber hinaus auch Bernsteine, Pollen und Holzkohle enthalten.
    Foto von Senckenberg Naturmuseum

    Name: Edmontosaurus annectens (etwa: die verbundene Echse aus Edmonton)
    Alter: 66 – 69 Mio. Jahre
    Größe: bis zu 15 Meter lang und mehr als 5 Meter hoch
    Gewicht: bis zu 10 Tonnen
    Fundort: Nordamerika
    Lebenserwartung: > 30 Jahre
    Engster Verwandter: Edmontosaurus regalis
    Ernährungstyp: Pflanzenfresser
    Fressfeinde: Tyrannosaurus rex (und andere)
    Lebensweise: Herdentier/Nistkolonien

    Die Existenz von Edmond dem Edmontosaurier begann wie das Leben aller Landdinosaurier in einem Ei. Mit einem Volumen von etwa zwei Litern stellen die etwa 30 Zentimeter hohen Edmontosaurus-Eier auch die größten Eier unserer heutigen Zeit in den Schatten – nämlich die Eier des Straußes, die nur etwa 1,4 Liter fassen. Zusammen mit seinen Geschwistern schlüpfte er wahrscheinlich vor über 66 Millionen Jahren auf dem Gebiet des heutigen Nordamerika. Damit wurde Edmond mitten in eine Zeit hineingeboren, die wir heute als Maastrichtium bezeichnen – der letzte Abschnitt der Oberkreide, der mit dem großen Massenaussterben der Dinosaurier (mit Ausnahme der Vögel) endete. Edmonds Überreste stammen aus der Lance-Formation im US-Bundesstaat Wyoming – jener Ort, an dem er viele Jahre nach seiner Geburt verstarb. Fossilien seiner Artgenossen fand man aber auch an anderen Orten in den USA und Kanada.

    Nach dem Schlüpfen verbrachte der kleine Edmond wohl noch einige Zeit in seinem Nest am Boden und wurde von seiner Mutter mit pflanzlicher Nahrung versorgt. In diesem Lebensabschnitt waren die wehrlosen Jungtiere besonders gefährdet, sodass davon auszugehen ist, dass in jeder Saison etliche von ihnen Fressfeinden zum Opfer fielen, die unachtsame Momente der ausgewachsenen Edmontosaurier ausnutzten.

    Galerie: Edmonds Urzeitreich: Zwischen Knochen und Kettensägen

    Allerdings genossen Edmond und seine Geschwister den Schutz ihrer Herde – und deren Größe konnte sich sehen lassen: Allein in der Lance-Formation wurden 10.000 bis 25.000 fossile Überreste von Edmontosaurus entdeckt. Forscher gehen davon aus, dass sich die gewaltigen Reptilien in Herden von teils mehreren Tausend Tieren fortbewegten.

    Sobald die Jungtiere alt genug waren, um mit der Herde mitzuhalten, und die Vegetation rund um die Brutkolonie abgeweidet war, setzten sich die Tiere wieder in Bewegung. Auf Wanderschaft müssen die riesigen Dinosaurierherden deutliche Schneisen in der Landschaft hinterlassen haben: Vom Boden bis zu einer Höhe von etwa drei Metern waren Farne und Äste kahl gefressen, während die Hinterlassenschaften der großen Herbivoren den Boden für die kommende Pflanzengeneration düngten. In der Ferne verklang das dumpfe Trampeln abertausender Beine wohl nur allmählich.

    Hier abgebildet ist ein Abguss der Innenseite eines rechten Edmontosaurus-Unterkiefers. Am unteren Ende ziehen sich die Zahnalveolen ausgefallener Zähne wie der Abdruck einer Perlenkette über den Kieferknochen. Der dunkle Bereich darüber ist eine Zahnbatterie, auf deren Mahlfläche die zähe Vegetation für den Fermentationsprozess im Magen zerkleinert wurde.
    Foto von Senckenberg

    Wie alle großen Pflanzenfresser war wohl auch Edmond den Großteil des Tages mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Ein wichtiges Werkzeug war dabei sein charakteristischer Schnabel. Edmontosaurier gehören der Gruppe der Hadrosaurier an, die man der Form ihrer Schnauze wegen auch als Entenschnabelsaurier bezeichnet. Die flache, verbreiterte Knochenpartie der Schnauze war an ihrem Ende von einer Keratinschicht überzogen. Der vordere Teil des Schnabels war zahnlos, aber weiter hinten im Maul wartete eine Batterie von etwa 1.400 in Reihen angeordneten Zähnen darauf, selbst das zähste Pflanzenmaterial zu zermahlen. Die circa 400 Zähne, die zu jeder Zeit in Benutzung waren, nutzten sich durch die ständige Belastung schnell ab, aber es wurden fortwährend neue Zähne nachgeschoben, um die alten zu ersetzen.

    Im Gegensatz zu den schmaleren und kürzeren Vorderbeinen waren die Hinterbeine des Edmontosaurus länger, kräftiger und dicker. Ganz einig sind sich die Forscher noch nicht darüber, wie schnell und auf welche Weise er sich in bestimmten Situationen fortbewegte. Vermutlich nutzte er während des Stehens und bei langsamer Fortbewegung alle vier Beine, konnte sich aber mindestens auch auf die Hinterbeine stellen und in dieser Haltung eventuell sogar laufen. Computersimulationen legen nahe, dass die großen Echsen bis zu 50 km/h schnell werden konnten. Im Laufe seines Lebens veränderte sich die Gangpräferenz des jungen Edmond womöglich, als aus dem flinken, leichten Jungtier ein zunehmend größerer, schwerer Dinosaurier wurde.

    Wie er sich durch die Gänge des Senckenberg Naturmuseums bewegt hätte, können Besucher vor Ort mit Hilfe eines QR-Code-Scanners jederzeit selbst auf ihrem Smartphone ansehen.

    Edmontosaurus erwacht zum Leben

    Wahrscheinlich hatten nicht viele seiner Verwandten das Glück, auf eine besonders stattliche Größe heranzuwachsen. Die Edmontosaurier teilten sich ihren Lebensraum mit einer Vielzahl an Fleischfressern, darunter bis zu 2,5 Meter große Raptoren und der wohl bekannteste Vertreter der Kreidezeit, Tyrannosaurus rex. Verheilte Bissspuren an den Schwanzwirbeln eines Edmontosaurus-Exemplars aus der Hell-Creek-Formation passen genau zum Gebiss eines T. rex. Sie beweisen nicht nur, dass der Tyrannosaurier auch selbst jagte – einige Wissenschaftler vertraten zuvor die Theorie, er hätte ausschließlich Aas gefressen –, sondern auch, dass Edmontosaurier die Angriffe der „Schreckensechsen“ mitunter überlebten.

    Als Edmond starb, war er auf eine Länge von etwa sieben Meter herangewachsen. Damit sollte er bereits geschlechtsreif gewesen sein, aber noch lange nicht ausgewachsen: Erwachsene Tiere konnten mehr als doppelt so lang werden. Was genau zu seinem Tod führte, weiß niemand. Klar ist nur, dass sein Kadaver in den Sedimenten eines urzeitlichen Flusssystems der Lance-Formation so bemerkenswert gut erhalten geblieben ist, dass er noch heute zum Staunen anregt – und den Forschern jede Menge Stoff lieferte, um mehr über dieses so fremde Tier herauszufinden.

    Die Edmontosaurus-Mumie wird während des Zweiten Weltkriegs mit Sandsäcken vor Luftangriffen geschützt.
    Foto von Museum Senckenberg

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