Satire statt Fakten: Wie Witze überzeugen

Klimawandel und die Notwendigkeit von Impfungen sind ernste Themen – Witze darüber klären auf, zeigen Studien zu Late-Night-Shows.

Von Paul R. Brewer, Jessica McKnight
Veröffentlicht am 18. Juni 2020, 16:44 MESZ
Satire über Wissenschaft: Die Erde ist eine Scheibe?

Die Erde ist eine Scheibe? Heute gibt es dringlichere Themen zu vermitteln. Laut zahlreichen Studien kann Satire Meinung bilden und Haltungen beeinflussen.

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Stephen Colbert, John Oliver und Jimmy Kimmel zählen zu den bekanntesten und bissigsten Late-Night-Moderatoren der USA, ebenso Samantha Bee. In ihrer Sendung „Full Frontal“ nahm sie die Impfgegner aufs Korn. Deren Kampagne habe sich „schneller verbreitet als die Legionärskrankheit in der Playboy-Villa“. Behauptungen, dass die Impfstoffe schädlich seien, basierten auf fadenscheiniger Forschung, die Impfstoffe würden von der Weltgesundheitsorganisation und den US-Seuchenbehörden als sicher eingestuft. „Wem glauben Sie?“, rief Bee. „Führenden Autoritäten der medizinischen Wissenschaft oder 800 Emojis auf der Facebook-Seite Ihres Cousins?“

Die Wirkung der Satire

Witze über die Wissenschaft können starke Wirkung entfalten, das zeigen Arbeiten von Kommunikationswissenschaftlern (darunter auch die Autoren dieses Beitrags). Seit 2013 hat Paul Brewer drei Studien durchgeführt, um herauszufinden, wie Satire die Haltung der Menschen zu Themen wie Klimawandel, genetisch veränderten Lebensmitteln und Impfungen beeinflussen kann. An zweien war Jessica McKnight beteiligt. Mit anderen Kollegen testete sie kürzlich, ob Late Night Shows falsche Vorstellungen von Impfstoffen beeinflussen können. Die Forschungen haben erwiesen, dass Satire besser funktionieren kann als ein streng faktenbasierter Ansatz, um Menschen für die Wissenschaften zu interessieren und ihre Haltung zu relevanten Themen zu beeinflussen.

Viele Amerikaner kümmern sich wenig um Wissenschaften. Selbst die großen Nachrichtensender widmen solchen Themen wenig Zeit. Manche Menschen empfinden sie womöglich auch als einschüchternd und schwer verständlich. Daher meiden sie sie lieber ganz. Satire hingegen kann auch Zuschauer erreichen, die nie eine Wissenschaftssendung sehen oder NATIONAL GEOGRAPHIC lesen würden. Millionen von Menschen schalten die Late-Night-Shows im Live-TV ein, weitere Millionen streamen die Videos. Paul Brewer, seine Kollegin Barbara Ley und das Zentrum für politische Kommunikation der Universität von Delaware befragten 2016 für eine Studie eine landesweit repräsentative Anzahl von Amerikanern. Fast jeder zehnte, so das Ergebnis, informierte sich in Late-Night-Shows über wissenschaftliche Themen. Unter den Jüngeren lag der Anteil sogar noch höher. Late-Night-Talker nutzen die Wissenschaften seit Jahrzehnten für ihre Pointen. Noch ehe Carl Sagan 1980 mit der TV-Serie „Unser Kosmos“ bekannt wurde, war er zu Gast in der Sendung des legendären Comedian Johnny Carson. Weitere Wissenschaftler, die in Late-Night-Shows zu Gast auftraten, sind der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson, der Physiker Michio Kaku und die Verhaltensforscherin Jane Goodall.

Fast jeder zehnte Amerikaner informiert sich in Late-Night-Shows über wissenschaftliche Themen. Doch komplexe Wissenschaft in ein paar Minuten zu vermitteln reicht nicht aus. Im besten Fall werden die Zuschauer zum kritischen Nachdenken ermutigt.

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Die symbiotische Beziehung zwischen Satire und Wissenschaft

Warum Satire und Wissenschaften das Zeug zu einer symbiotischen Beziehung haben, ist leicht zu verstehen. Die Moderatoren machen sich gelegentlich über Wissenschaftler lustig und stellen sie als Käuze dar, die an schrägen Projekten arbeiten. Öfter jedoch fördern sie ein positives Bild. Ein Beispiel ist der Moderator Stephen Colbert, dessen Nasa-Witze die Weltraumbehörde dazu veranlassten, ein Schwerelosigkeitslaufband nach ihm zu benennen; ein anderes Jimmy Kimmel, der in seinen Sendungen wissenschaftliche Vorführungen mit explodierenden Kürbissen und fliegenden Pingpong-Bällen zeigt. Indem sie wissenschaftliche Themen auch für Zuschauer mit wenig Vorkenntnissen unterhaltsam aufbereiten, können Late-Night-Shows den Weg zur Auseinandersetzung mit den Wissenschaften ebnen. Doch selbst wenn sich Zuschauer auf die Themen einlassen: Ändert sich dann auch ihre Haltung?

Experiment: Veränderte Ansichten zum Klimawandel

Unser erstes Experiment aus dem Jahr 2013 testete, inwiefern Clips aus der Daily Show oder dem Colbert Report die Ansichten der Zuschauer zum Thema Klimawandel beeinflussten. Die Zuschauer, die gesehen hatten, wie Jon Stewart („The Daily Show“) sagte, die Erderwärmung sei real, zeigten sich eher davon überzeugt, dass der Klimawandel stattfindet. Colberts Show hatte einen ähnlichen Effekt, obwohl einige Zuschauer seinen trockenen Humor missverstanden und fälschlich annahmen, dass der Moderator zu den Klimazweiflern zählte. Bei einer Folgestudie aus dem Jahr 2015 kam heraus, dass der Late-Night-Humor Einfluss darauf haben kann, wie Zuschauer die Klimawissenschaft selbst wahrnehmen. Diesmal testeten wir die Wirkung einer Episode, in der Moderator John Oliver und sein Gast Bill Nye, Moderator einer Wissenschaftssendung für Kinder, eine „statistisch repräsentative Klimadebatte“ abhielten, um den wissenschaftlichen Konsens in dieser Frage zu veranschaulichen. Das Ergebnis: Die Studienteilnehmer verstanden, dass Wissenschaftler an den vom Menschen verursachten Klimawandel glaubten – was wiederum die Teilnehmer in ihrer eigenen Annahmebestärkte, dass die Erderwärmung stattfindet. Am deutlichsten war dieser Effekt bei denjenigen, die am wenigsten Interesse an Wissenschaften hatten.

Wissen kompakt: Klimawandel mit Bill Nye

Late-Night-Talker haben Positionen verspottet, die eine einzige diskreditierte Studie heranziehen, um zum Beispiel Autismus mit Impfstoffen in Zusammenhang zu bringen, oder die dafür plädieren, Kreationismus an öffentlichen Schulen zu lehren. In der eingangs genannten „Full Frontal“-Sendung von Samantha Bee zeigte ein Sketch fiktive Oberschüler, die sich über Behauptungen von Impfgegnern lustig machten („Wow, bei Ihnen klingen Impfungen so cool; vielleicht ist es schlecht, Krankheiten aus dem Mittelalter zu bekommen“). Die Umfrage, die Paul Brewer zusammen mit Barbara Ley im Jahr 2016 durchführte, zeigte, dass Late-Night-Zuschauer eher mit Wissenschaftlern übereinstimmen als Nichtzuschauer, selbst abzüglich diverser weiterer Faktoren, die die Einstellung zur Wissenschaft beeinflussen. Late-Night-Humor kann besonders effektiv dazu beitragen, Missverständnisse zu entlarven, da Gegenreaktionen ausbleiben, die herkömmliche wissenschaftliche Kommunikationsbemühungen oft provozieren. Eine landesweite Umfrage der Forscher Lauren Feldman, Anthony Leiserowitz und Edward Maibach kam zu dem Schluss, dass Satiresendungen am meisten Wirkung bei den am wenigsten gebildeten Zuschauern entfalten und somit dazu beitragen, die Aufmerksamkeitslücke für die Wissenschaften zu verringern.

Die Grenzen der Show

Late-Night-Shows stoßen jedoch an Grenzen. Wissenschaft ist komplex. Dies in wenigen Minuten zu vermitteln und dabei Witze zu reißen, kann eine Herausforderung darstellen. Im besten Fall ermutigt Satire die Zuschauer nicht nur dazu, sich mit wissenschaftlichen Themen zu befassen, sondern auch kritisch darüber nachzudenken. Eine Episode der Sendung „Last Week Tonight“ verdeutlichte dies mit einer kleinen Spitze Richtung Nachrichtenkanäle und deren Art, über Wissenschaftsthemen zu berichten. Moderator John Oliver warnte davor, zu glauben, die Wissenschaft sei „ein À-la-carte-Menü, und wenn einem die eine Studie nicht gefällt, keine Sorge – die nächste wird bald folgen“. Er spöttelte über simplifizierende und sensationsheischende Medienberichterstattung, die Statistiken missbraucht und Wunschergebnisse herausgreift. Dann parodierte er solche Darstellungen mit seiner eigenen Marke „TODD Talks“ – Trends, Beobachtungen und riskantes Gerede. Seine Zuschauer mögen lachen. Aber sie scheinen dabei zu lernen.

Aus dem Englischen von Anne Sander

Paul R. Brewer ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der University of Delaware sowie Chefredakteur des „International Journal of Public Opinion Research“. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Wissenschaftskommunikation und öffentlicher Meinung. Jessica McKnight ist Doktorandin an der Ohio State University. Ihre Forschung konzentriert sich auf wissenschaftliche und politische Themen, die Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen haben, darunter öffentliche Gesundheit und ökologische Nachhaltigkeit.

 

Der Artikel wurde ursprünglich in der Juni 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen!

 

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