Wegweiser zur Erde: Mit dieser galaktischen Karte sollen Aliens uns finden
Die NASA schickte 1972 eine Karte mit dem Pfad zur Erde ins All. Eine neue Version ist zwar genauer, aber ist das klug?
Um Außerirdischen dabei zu helfen, die Erde zu finden, wurde ein Diagramm an Bord der Raumsonde Pioneer 10 ins All geschickt. Die Sonde ist noch unterwegs, aber Zeit und Raum wirken sich auf ihre kosmischen Koordinaten aus, weshalb ein Astronom eine neue Karte erstellt hat.
Vor fast 50 Jahren flog mit der Sonde Pioneer 10 eine Metallplatte mit eingravierter Karte ins All. Von jedem Punkt im Universum aus sollte sie den Weg zur Erde beschreiben. Wenn Außerirdische schlau genug wären, die Raumsonde abzufangen, so dachten die Absender, dann könnten sie auch die Karte entziffern und ihren Ursprungsort finden. Die Geschichte dieser Karte ist eng mit meiner Familie verknüpft; schon als Kind hatte ich von ihr gehört. Vor einigen Jahren entdeckte ich die Originalskizze im Haus meiner Eltern. Was für ein Fund!
Der Dämpfer: Die Pioneer-Karte wird nicht mehr lange stimmen – nach kosmischen Maßstäben. Innerhalb einiger Dutzend Millionen Jahre werden die darauf verzeichneten Wegmarken vermutlich verschwinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Aliens die Karte finden, ist zwar astronomisch gering – doch sollte es geschehen, würde eine veraltete Version ihnen nicht helfen. So war das nicht gedacht gewesen. Doch wie war es überhaupt zu dieser sonderbaren Idee gekommen?
Von der Idee zu den Sternen
Im Dezember 1971 stand die Pioneer 10 kurz vor dem Start. Die Raumsonde der Nasa sollte den Jupiter passieren und die ersten genaueren Daten über den größten Planeten unseres Sonnensystems liefern. Der nahe Vorbeiflug am Gasriesen würde Pioneer 10 auf eine interstellare Bahn befördern. Als erstes von Menschenhand erschaffenes Objekt würde die Sonde das Sonnensystem verlassen. Der Astronom Carl Sagan schlug mit seinen Kollegen vor, dass die Sonde eine Botschaft der Menschheit mit an Bord nehmen sollte. Die Nasa stimmte zu und gab Carl einen knappen Monat Zeit für den Entwurf. Und hier kommt einer seiner Freunde ins Spiel: der Astronom Frank Drake – mein Vater.
Er hatte sich wissenschaftlich damit beschäftigt, nach Geräuschen Außerirdischer zu suchen. Außerdem hatte er eine Gleichung entwickelt, um die Anzahl der auffindbaren außerirdischen Zivilisationen in der Milchstraße abzuschätzen. Auf einem Fachtreffen bat Carl meinen Vater, ihm beim Verfassen der Botschaft zu helfen. Sie waren sich schnell einig, was sie enthalten sollte: Strichzeichnungen eines Mannes und einer Frau, eine Darstellung des Raumschiffs – und dann „kam uns plötzlich die Idee einer galaktischen Karte, die die Position der Erde im All angibt“.
Mein Vater entwarf die Karte, die 1972 an Bord der Pioneer 10 ins All flog und im Jahr darauf auch mit der Pioneer 11. 1977 starteten die beiden Voyager- Sonden – auch sie hatten den Wegweiser zur Erde an Bord, eingraviert in die Hülle der „Golden Record“, der Datenplatte mit Bild- und Audiodateien über das Leben auf der Erde. Mein Vater hatte die Karte so konzipiert, dass sie die Position der Erde sowohl im Raum als auch in der Zeit angibt, also eine Art vierdimensionales galaktisches GPS.
Was zeigt die Karte?
Die Idee, einen Wegweiser ins All zu schicken, ist das eine. Weitaus schwieriger ist die Frage, worauf er sich stützen könnte, wenn es weder oben und unten noch Himmelsrichtungen gibt. Die Milchstraße enthält Abermilliarden Welten. Wer die Erde finden will, muss zunächst unser Sonnensystem entdecken. Die Sonne ist jedoch schwer von den mehreren Hundert Milliarden anderen Sternen in der Galaxie zu unterscheiden, die auf einer jeweils eigenen Bahn um ihr galaktisches Zentrum kreisen und dabei langsam, aber stetig ihre Position im Verhältnis zu den Nachbarn verschieben.
Das Universum befindet sich in fortwährender Bewegung, weshalb selbst die vertrauten Sternbilder am irdischen Nachthimmel in naher (kosmischer) Zukunft nicht mehr dieselben sein werden. Außerdem bilden die Sterne von nirgendwo anders als von unserem Sonnensystem dieselben wiedererkennbaren Konstellationen. Selbst der Polarstern wird in etwa 2000 Jahren nicht mehr am Himmelsnordpol stehen – das tat er übrigens auch für die alten Ägypter, Babylonier und Chinesen nicht.
Was also tun? Gewöhnliche Sterne zeichnen sich zwar dadurch aus, dass sie gewaltige Mengen an Atomkernen verschmelzen und umwälzen, besitzen aber sonst keine charakteristischen Merkmale. Mein Vater erkannte jedoch, dass Pulsare – die Überreste von Sternen, die einst viel größer waren als unsere Sonne – eine einzigartige Signatur haben könnten. Sie drehen sich sehr schnell, oft mehrere Hundert Mal pro Sekunde. Mit leistungsstarken Radioteleskopen können Astronomen sehr präzise messen, wie schnell sie rotieren. So ist jedes dieser Sternenrelikte identifizierbar wie der Fingerabdruck eines Menschen. Mein Vater wählte 14 Pulsare aus, mit denen sich die Position der Erde triangulieren lässt, und arbeitete Daten über ihre Rotationsgeschwindigkeiten in die Karte ein.
PIONEER 10 Die Botschaft der Mensch- heit an die Sterne ist in eine 15 mal 23 Zentimeter große, mit Gold eloxierte Aluminiumplatte geätzt.Sie beschreibt dem Finder den Weg zur Erde.
Ein faszinierender Wegweiser
Entsprechend sieht die Pulsarkarte wie eine strahlenförmige Explosion gestrichelter Linien aus, die sich an der Position unseres Sonnensystems schneiden. Jede Linie verbindet die Erde mit einem Pulsar. Die Skalenstriche sind binäre Zahlen und bezeichnen die Rotationsgeschwindigkeit des Pulsars (zur Zeit der Kartenerstellung). Die Länge der Linien ist in etwa proportional zur Entfernung. Einige Pulsare auf der Karte – zum Beispiel der Krebs- und der Vela-Pulsar – liegen im Zentrum prächtig anzusehender Nebel, die sich bei der gewaltsamen Entstehung der Pulsare gebildet haben. Vermutlich würde eine Zivilisation, die clever genug ist, eine interstellare Raumsonde zu entdecken und abzufangen, auch Pulsare kennen. Über den Abgleich der Rotationsperioden auf der Karte mit den stellaren Wegweisern am Himmel wäre der Weg zur Erde für Aliens relativ leicht zu finden.
Da die von uns wahrgenommene Energie der Pulsare durch ihre Rotation entsteht, die sich im Laufe der Zeit verlangsamt, weist die Karte so auch in der zeitlichen Dimension den Weg zur Erde: Durch die Berechnung des Unterschieds zwischen den beobachteten und den dargestellten Rotationsperioden, der erst nach Tausenden Jahren erkennbar wird, könnten Außerirdische ableiten, wie viel Zeit seit der Entstehung der Karte vergangen ist. Ich vermute, es liegt etwas Faszinierendes in der Vorstellung, immer den Weg nach Hause finden zu können, selbst aus dem All. Und so wurde die Karte meines Vaters völlig unerwartet Teil der Popkultur. Sie ist auf T-Shirts ebenso zu finden wie als Tattoo.
Karte mit Verfallsdatum
Vor ein paar Jahren fand ich die Originalskizze der Pulsarkarte zusammengefaltet in einer Tomatenkiste im Haus meiner Eltern. Fast zur selben Zeit begegnete ich Scott Ransom, einem der erfolgreichsten Pulsarastronomen der Welt. Scott hatte sich mit den Voyager-Sonden, der „Golden Record“ und der Pulsarkarte beschäftigt, seit er als Kind Carls Fernsehsendung „Unser Kosmos“ gesehen hatte. Jahre später erkannte er, inzwischen Doktor der Astronomie, dass die Karte ein Verfallsdatum hat, das in der näheren kosmischen Zukunft liegt.
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Ihr Schwachpunkt ist dieselbe Eigenschaft, die die Karte in der Zeit verortet: Pulsare werden langsamer. Diejenigen, die mein Vater aus den wenigen damals bekannten ausgesucht hatte, würden innerhalb einiger Millionen Jahre verblassen und verstummen. Zufällig hatte Scott bereits damit begonnen, eine neue, präzisere und langlebigere Pulsarkarte zu erstellen, ehe wir zusammenzogen und ein Paar wurden. Nun schreibe ich unsere Geschichte nieder, und Scott kümmert sich um die wichtigen kartografischen Details wie die Auswahl der passenden Pulsare.
Eine neue, bessere Karte zur Erde
Scotts neue Karte ist ein GPS fast für die Ewigkeit. Sie nutzt Pulsare innerhalb und außerhalb der Milchstraße für die Navigation zur Erde – und außerdem ein paar Tricks. Der neue Wegweiser stützt sich auf Millisekundenpulsare, die schneller rotieren, länger bestehen und einen kosmischen Gefährten haben, der ebenfalls einmal ein Stern war. Zweites Identifizierungsmerkmal dieser binären Pulsare ist die Umlaufzeit des Systems, die sich über Milliarden Jahre nicht verändert. Vor allem aber altern die Millisekundenpulsare wesentlich langsamer als die Pulsare der ersten Karte. Es dauert tausendmal länger, bis ihr Rotationsmuster nicht mehr zu erkennen ist.
Scott arbeitete noch auf einer weiteren Ebene Wegweiser ein: Pulsare in Kugelsternhaufen, die um die Milchstraße kreisen. Kugelsternhaufen sind prächtige, geheimnisvolle, uralte Ansammlungen von Sternen, älter als die Milchstraße. Sie sind zudem wahre Fabriken für Millisekundenpulsare. Mit den Wegweisern in den kaum zu übersehenden Sternhaufen außerhalb der Milchstraße wird die Erde mit Scotts Karte noch in Milliarden Jahren auffindbar sein – selbst dann noch, wenn die Sterne unserer Heimatgalaxie mehrmals ihr galaktisches Zentrum umkreist und dabei ihre Positionen verändert haben werden, sodass die alten Sternbilder weg sind.
Wer wird die Karte lesen?
Mein Vater findet Scotts Ansatz spektakulär. Seine Karte ist irgendwo da draußen – doch die Chancen stehen schlecht, dass die Pioneer- oder Voyager-Sonden je gefunden werden. Die nächsten Sternsysteme liegen weit entfernt, die Sonden sind winzig klein und werden in den nächsten Jahrzehnten vollkommen verstummen. So werden sie kaum mehr zu entdecken sein. Derzeit ist kein Start einer Raumsonde wie der Voyager geplant. Doch falls die neue Karte irgendwann von intelligenten Aliens gefunden wird, müssten sie sie relativ einfach lesen und ihr folgen können. Das wirft Fragen auf: Hätten außerirdische Wesen in einer solchen Entfernung überhaupt die Möglichkeit, die Erde zu erreichen? Falls ja und falls sie sich wirklich auf den Weg machten – was, wenn sie nicht in friedlicher Absicht kämen?
Carl Sagan und mein Vater ließen sich von einer Frage nicht aufhalten: Ist es eine gute Idee, unsere Adresse aufs Geratewohl in den Kosmos zu schicken? Manche Menschen haben damit kein Problem – schließlich sendet die Erde seit Erfindung des Rundfunks Signale ins All. Da sich diese Wellen mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, sind sie für jedes Wesen mit einem Radioteleskop im Umkreis von hundert Lichtjahren zu empfangen. Vorsichtiger wäre es, unsere Anwesenheit erst kundzutun, wenn wir wissen, ob die Aliens ehrbare Absichten haben.
Unsere Meinung? Wir würden die neue Karte gerne verschicken, um so vielleicht dafür zu sorgen, dass unsere Existenz in irgendeiner Form dokumentiert ist. Würde die Flaschenpost dann aus dem All gefischt, nachdem sie Millionen oder Milliarden Jahre lang durch den galaktischen Ozean getrieben ist, wüsste jemand, dass es einmal Erdlinge gegeben hat … oder, mit etwas Glück, noch gibt.
Aus dem Englischen von Susanne Schmidt-Wussow
NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin Oktober 2020
Dieser Artikel erscheint in der aktuellen Oktober-2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen!
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