Peter Stump: Wie ein deutscher „Werwolf“ zum Schrecken von ganz Europa wurde

Aberglaube sorgte in Europa im 16. Jahrhundert reihenweise für Prozesse gegen mutmaßliche Hexen und Werwölfe. Die Hinrichtung von Peter Stump war eine der bekanntesten – und womöglich die grausamste.

Von Isabel Hernández
Veröffentlicht am 31. Okt. 2022, 08:32 MEZ
The werewolf

Der Werwolf oder „Der Kannibale“ von Lucas Cranach dem Älteren zeigt ein schreckliches Gemetzel, das durch einen Werwolf verursacht wurde.

Foto von Metropolitan Museum, Scala, Florence

Es ist der 31. Oktober 1589. In der Kleinstadt Bedburg, in der Nähe von Köln, ereignet sich an diesem Tag eine der schrecklichsten Hinrichtungen Deutschlands. Angeklagt ist der 50-jährige Bauer Peter Stump aus Epprath, der unter Folter gestanden hat, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein. Ihm wird vorgeworfen, er sei in der Lage, sich in einen Werwolf zu verwandeln. Zu seinen angeblichen grauenvollen Verbrechen werden mehrfacher Mord und Kannibalismus gezählt. Unter den 16 Menschen, die er getötet haben soll, waren 13 Kinder – auch sein Sohn, dessen Gehirn er angeblich verspeist haben soll. Vor seiner Hinrichtung gesteht Stump außerdem, eine sexuelle Beziehung zu seiner Tochter und mit einem Sukkubus, einer Dämonin, gehabt zu haben. 

Die Hinrichtung von Stump, der in manchen Quellen auch als Stubbe oder Stumpf auftaucht, geht daraufhin äußerst brutal vonstatten. Er wird gerädert und lebendig gehäutet. Seine Knochen werden gebrochen. Anschließend wird er geköpft und sein Körper auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als Abschreckung und Warnung wird sein Kopf später auf einem Pfosten in der Mitte der Kleinstadt aufgespießt.

Werwölfe und Hexen

Doch Stump war weder der erste noch der einzige, der in den Werwolf- und Hexenprozessen hingerichtet wurde. Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert ließen Hungersnöte, Plagen, Kriege und religiöse Kämpfe die Bevölkerung zunehmend abergläubisch werden. So verbreitete sich die Angst vor Hexen, hauptsächlich Frauen, und Werwölfen, typischerweise Männer. Dass Menschen der Lykanthropie beschuldigt wurden, wie die Verwandlung in einen Werwolf bezeichnet wird, kam jedoch seltener vor als die Anschuldigung, eine Hexe zu sein. 

Vor allem aber in Deutschland oder Frankreich, in Regionen mit viel Waldfläche und ausgeprägter Viehzucht, vermischte sich die Angst vor realen Wölfen mit der Angst vor Werwölfen. „Verbrechen“, die durch das Verhalten tollwütiger Wölfe anfielen, wurden damals mangels Erklärungen oft Werwölfen zugeschrieben. So ist die Liste der Werwolfprozesse in diesen Gegenden länger. In Deutschland sind beispielsweise rund 300 Fälle aufgezeichnet worden.

Gedruckte Texte über Stumps Prozess waren in Deutschland und Europa sehr beliebt. Viele von ihnen sind mit der Zeit verloren gegangen. Einer der wenigen erhaltenen Texte ist ein 16-seitiges illustriertes Pamphlet, das 1590 in London publiziert wurde. Es wurde zur Hauptinformationsquelle über Stumps Prozess.

Foto von British Library

Die meisten der Angeklagten waren also männlich – und oftmals Schäfer. „Wölfe wurden als stark, gewalttätig und aggressiv gesehen. Eigenschaften, die üblicherweise mit Männern assoziiert werden“, sagt Brian Levack, Historiker an der University of Texas in Austin. Er erklärt, dass Werwölfe in der Geschichte außerdem immer ein bestimmtes Instrument nutzten, um ihre Transformation zu initiieren. Dies sei ein typisches Merkmal männlicher Zauberei. Stump trug laut der meisten zeitgenössischen Berichte einen Gürtel aus Wolfsfell, der ihm angeblich vom Teufel gegeben wurde. 

Erschwerte historische Spurensuche

Trotz aller Aufmerksamkeit, die der Stump-Prozess damals auf sich gezogen hat, gibt es nur wenige historische Belege. Es sind keine Vernehmungsprotokolle oder Gerichtsakten aus dem Prozess erhalten geblieben. Historikerinnen und Historiker können sich dementsprechend nur auf eine Sammlung von Broschüren und Handreichungen berufen. Der längste erhaltene Text ist ein 16-seitiges englischsprachiges Pamphlet, das vermutlich aus dem Deutschen übersetzt wurde. Der Originaltext konnte bislang nicht gefunden werden.

Das englischsprachige Pamphlet enthält Illustrationen einzelner Episoden von Stumps Geschichte: Stump als Werwolf, seine Festnahme, sein Verhör und seine brutale Hinrichtung. Am Ende wurde er mit mutmaßlichen Komplizen verbrannt.

Foto von Charles Walker, Alamy, ACI

Die einzigen Informationen über Stumps Leben stammen größtenteils aus diesen Quellen, die sich teilweise gegenseitig widersprechen. Mal variiert sein Name in den vorliegenden Texten, mal seine Tätigkeit: In einem Pamphlet wird er zum Beispiel als Schäfer bezeichnet, im nächsten als reicher Grundbesitzer. Auffällig ist, dass der Fall vor allem durch ausländische Darstellungen überliefert wurde. 

Motive und Hintergründe

Aus diesen wenigen Broschüren und Illustrationen können heute potenzielle Tatmotive und Hintergründe für die Verhaftung Stumps abgeleitet werden. Übernatürliche Elemente werden beispielsweise in jeder Überlieferung als Fakten dargestellt. In einer Version wird Stump verhaftet, nachdem ein ansässiger Bauer einem Wolf bei einer Attacke die linke Pfote mit einem Schwert abschneidet. Da Stump ebenfalls die linke Hand fehlte – er hatte sie bei einem Unfall verloren –, reichte dies augenscheinlich als ‚Beweis‘ dafür, dass er und der Wolf eine Einheit bilden mussten. 

Eine Gravur von Ernst von Bayern, dem Erzbischof von Köln, aus dem Jahr 1584.

Foto von Mary Evans, Scala, Florence

Das englische Pamphlet stellt Stumps Verhaftung noch dramatischer dar: Nach einer Serie von Morden und Tötungen von Tieren, organisierten einige Stadtbewohner Streifzüge. Bei einem von ihnen sollen die Stadtbewohner Stump in seiner Wolfsform erkannt und verfolgt haben. Er soll seinen Gürtel aus Wolfsfell abgelegt und vor seinen Verfolgern wieder seine menschliche Form angenommen haben. Als seine Identität bestätigt werden konnte, wurde Stump schließlich verhaftet. 

Es ist möglich, dass Stump tatsächlich ein Mörder gewesen ist, glauben einige Historikerinnen und Historiker. Es gibt sogar die These, dass die Werwolflegenden erfunden wurden, um die Existenz von Serienmördern zu erklären. Stumps Schuld beruht auf seinem Geständnis, das unter Folter und der Androhung von weiteren Misshandlungen abgegeben wurde. „Aus Angst vor der Folter gestand er freiwillig.“ Wenn er nicht selbst für die Tötungen und Morde verantwortlich war, könnten ihm damalige reale Wolfsangriffe zugeschrieben worden sein. 

Bedburg ist eine Kleinstadt in der Nähe von Köln. Die Fotografie aus den 1930er Jahren zeigt ein Tor zum mittelalterlichen Stadtkern.

Foto von Alamy, ACI

Aber auch Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken im und nach dem Truchsessischen Krieg zwischen 1583 und 1588 könnten die Verhaftung Stumps begünstigt haben. 1589 kontrollierten die Katholiken die Region um Bedburg. Stump, seinerseits Protestant, könnte als Beispiel der Abschreckung brutal hingerichtet worden sein, um Protestanten von der Rebellion abzuhalten. 

Während einige Forschende dieses Szenario für möglich halten, ist Levack anderer Meinung: „Stump wurde nicht als Warnung für andere Protestanten verfolgt, sondern unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit – wegen angeblich moralisch verwerflichen Verhaltens.“

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