Pirat oder Kaufmann: Das düstere Geheimnis des Klaus Störtebeker
Deutschlands berühmtester Seeräuber gibt Rätsel auf. War Klaus Störtebeker womöglich ein ehrenhafter Bürger?
Der "Störtebeker-Schädel" mit Gesichtsnachbildung im Museum für Hamburgische Geschichte
Wo heute Touristen aus aller Welt flanieren, rollten noch vor wenigen hundert Jahren die Köpfe. Die Hamburger Hafencity war im Mittelalter Schauplatz öffentlicher Hinrichtungen. Vor allem auf Piraten hatte man es abgesehen. Zur Abschreckung ließ man ihre abgeschlagenen Schädel auf ein Holzgerüst spießen. Angeblich wurde dort 1401 auch der legendäre Seeräuber Klaus Störtebeker geköpft.
Heute erinnert eine Statue an den vermeintlichen Hinrichtungsort. „Gottes Freund, der Welt Feind“, steht in Stein gemeißelt auf dem Sockel. Wer war der Mann, der offenbar mit Gott im Bunde war, aber von der Menschheit geächtet wurde? War er tatsächlich der große Freibeuter, für den man ihn heute hält? Oder war er nur einer von vielen Ganoven, die damals die Meere unsicher machten? War Störtebeker womöglich gar kein Pirat, sondern ein ehrenhafter Kaufmann?
Zahlreiche Mythen ranken sich um Leben und Tod des Klaus Störtebeker. Vermutlich wurde er 1360 in Wismar an der Ostsee geboren. Andere Quellen nennen Danzig als Geburtsort. Auch sein Name gibt bis heute Rätsel auf. Aus dem Plattdeutschen übersetzt, soll er so viel wie „Stürz den Becher“ bedeuten. Hatten ihm Zechkumpane einen Spitznamen in Anspielung auf seine angebliche Trinkfestigkeit verpasst?
Das Störtebeker-Denkmal in der Hamburger Hafencity
Störtebeker und der geheimnisvolle Piratenschädel
Im Jahr 1878 sorgte eine spektakuläre Entdeckung für Furore. Beim Bau der Hamburger Speicherstadt stieß man im Erdreich auf einen Totenschädel. Jemand hatte einen riesigen Eisennagel senkrecht durch den Schädel getrieben – offenbar, um ihn öffentlichkeitswirksam aufstellen zu können. Spätere Untersuchungen datierten den Fund auf die Zeit um 1400. Ist es der Kopf eines Piraten?
Das Museum für Hamburgische Geschichte, wo der Schädel ausgestellt ist, geht davon aus. Wahrscheinlich handele es sich um die sterblichen Überreste eines bedeutenden Seeräubers, vielleicht um den von Klaus Störtebeker. Dafür spreche, dass der Nagel „sehr sorgfältig eingeschlagen wurde“. Auf diese Weise habe man das vermutlich bekannte Gesicht des Geköpften relativ unbeschädigt und lange zur Schau stellen können.
Trotz des Rätsels um die tatsächliche Identität des Schädels: Als relativ gesichert gilt, dass er einst auf dem Hals eines Vitalienbruders saß. Und dieser Gruppe von Seefahrern gehörte wohl auch Störtebeker an.
Galerie: Historische Piratenschätze
Vitalienbrüder: Von Freibeutern zu Piraten
Die Vitalienbrüder begannen ihre Karriere wahrscheinlich Ende des 14. Jahrhunderts als Kaperfahrer im Dienst der Herzöge von Mecklenburg, die mit skandinavischen Königreichen in Krieg geraten waren. Mit Freibriefen ausgestattet, konnten die Vitalienbrüder als Freibeuter ganz legal feindliche Schiffe plündern. Doch der Friede von 1395 machte sie offiziell arbeitslos.
Laut gängiger Erzählung arbeiteten sie fortan als Piraten gesetzlos auf eigene Faust. Unter Führung von Störtebeker und seinem Weggefährten Gödeke Michels sollen sie auf der Nord- und Ostsee jahrelang Handelsschiffe ausgeraubt haben. Augenscheinlich schafften es die Vitalienbrüder immer wieder, den Kriegsschiffen der Hanse zu entkommen – jenem Bündnis von Städten und Kaufleuten, das einen sicheren Handel über Nord- und Ostsee abwickeln wollte.
Schließlich gelang der Hanseflotte aber doch noch der große Coup. In mehreren Seegefechten wurden die Vitalienbrüder entscheidend geschlagen. Nach erbitterten Kämpfen soll die Hanse am 22. April 1401 auch Störtebekers Schiff vor Helgoland besiegt haben. Ob er nach seiner Enthauptung tatsächlich noch an elf seiner Gefährten vorbeischritt, ehe er zusammenbrach? Die Legende will es so. Und sie verhalf ihm auch zu seinem bis heute anhaltenden Ruf.
Flugblatt zur Hinrichtung der Piraten Störtebeker und Gödeke Michels, um 1700
Störtebeker – ein ehrbarer Kaufmann?
Es kann aber auch sein, dass Störtebeker überhaupt nicht hingerichtet wurde. Neuere Forschungen legen nahe, dass der Pirat eigentlich Kaufmann und Kapitän war und als Johann Stortebeker zumindest bis 1413 in Danzig lebte. Daneben könnte er ein gut laufendes Geschäft als knallharter Inkasso-Dienstleister betrieben haben. Demzufolge trieb er für andere Kaufleute gewaltsam Waren und Schiffe ein. Und das völlig legal.
Denn damals gab es noch kein Gewaltmonopol auf See. Es gehörte offenbar zum üblichen Geschäft unter Kaufleuten aus verfeindeten Städten, sich gegenseitig auf See auszurauben. Der Kaufmann-Theorie zufolge war Störtebeker also kein Rebell, sondern ein ganz normaler Mensch seiner Zeit. Vermutlich ging er in der guten Gesellschaft ein und aus. Zum gesetzlosen Helden auf See hat ihn vermutlich erst die Legende gemacht – und unsere Faszination für Abenteuer und Mysterien.