Superfood aus der Steinzeit: Schon die frühen Europäer aßen Algen

Das vergessene Nahrungsmittel: Laut einer Studie aus England ernährten sich die Europäer der Jungsteinzeit bis ins frühe Mittelalter regelmäßig von Seegras und Süßwasserpflanzen.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 20. Okt. 2023, 16:19 MESZ
Eine Holzschale gefüllt mit Algen vor einem schwarzen Hintergrund.

Von den rund 10.000 bekannten Algensorten stehen etwa 145 – darunter der sogenannte Meersalat (Ulva lactuca), hier im Bild – auf dem menschlichen Speiseplan. Seegras wird vorwiegend in Asien, kaum aber in Europa gegessen. Das war aber nicht immer so. 

Foto von Hedvika / adobe Stock

Algen stecken voller Proteine, Vitamine und Mineralien. Doch während Seegras beispielsweise in Japan fester Bestandteil der Ernährung ist, tun sich die Europäer damit schwer. Zwar hat man auch in unserem Teil der Welt die Vorteile von Algen inzwischen erkannt und ihnen das Label „Superfood“ verliehen, doch die wenigsten Menschen essen sie regelmäßig – oder überhaupt.

Das war nicht immer so, wie eine Studie von Forschenden der University of York und der University of Glasgow zeigt, die in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde. Ihr zufolge waren Algen von der Jungsteinzeit bis ins frühe Mittelalter für die Menschen in Europa ein geläufiges Lebensmittel.

Was der Zahnstein verrät

Zu dieser Erkenntnis kommt das Studienteam anhand der Untersuchung von Biomarkern in Zahnstein. Dieser stammt von insgesamt 74 Individuen aus verschiedenen Zeitaltern, deren Überreste in 28 archäologischen Stätten in ganz Europa – vom Norden Schottlands bis Südspanien – gefunden wurden. In den Proben stellten die Forschenden kleinste Spuren von Rot-, Braun- und Grünalgen sowie Süßwasserpflanzen fest und werteten dies als direkten Beleg für den weitverbreiteten Verzehr.

„Die biomolekularen Beweise in dieser Studie sind über dreitausend Jahre älter als die historischen Beweise im Fernen Osten“, sagt Studienautor Stephen Buckley, Archäologe an der University of York.

Alge verliert als Lebensmittel an Bedeutung

Die Studie zeige nicht nur, dass Algen im jungsteinzeitlichen Europa vor etwa 8.000 gegessen wurden, sondern auch, „dass der Verzehr das Neolithikum überdauerte, von dem man eigentlich annimmt, dass durch die Einführung der Landwirtschaft marine Nahrungsquellen aufgegeben wurden.“ Ihm zufolge ist dies ein Indiz dafür, dass die alten Völker sich des Nährstoffreichtums und der gesundheitlichen Vorteile von Meeresalgen bewusst waren, und darum trotz anderer Optionen diese Nahrungsquelle weiter ausschöpften.

Warum die Europäer dann irgendwann keine Algen mehr essen wollten, wissen die Forschenden nicht. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere erwähnt in seinen Berichten aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.  noch Echten Meerkohl als Mittel gegen Skorbut und aus dem 10. Jahrhundert sind Gesetze zum Sammeln von Algen aus Island, der Bretagne und Irland bekannt. Spätestens im 18. Jahrhundert gilt Seegras in Europa jedoch als Lebensmittel, das nur im Notfall – etwa während einer Hungersnot – gegessen wird.

„Heute sind Algen und Süßwasserpflanzen in der traditionellen westlichen Ernährung so gut wie nicht mehr vertreten“, sagt Archäologin Karen Hardy, die an der University of Glasgow, Schottland das Projekt Powerful Plants leitet. „Der Wandel ihrer Bedeutung vom Nahrungsmittel zur Hungerressource bis hin zum Tierfutter erfolgte wahrscheinlich über einen langen Zeitraum.“

BELIEBT

    mehr anzeigen
    Wie Nahrung unser Gehirn beeinflusst

    Alte Nahrungsquellen wiederentdecken

    Die Studienautoren hoffen, dass ihre Erkenntnisse dazu beitragen, dass Algen und andere einheimische Süßwasserpflanzen wieder zu einem normalen Bestandteil unserer Ernährung werden – und den europäischen Speiseplan gesünder und nachhaltiger gestalten.

    Hardy betont das große Potenzial, das die Wiederentdeckung lokaler, nachhaltiger Nahrungsquellen hat. Würde man sie mehr nutzen, könnten dadurch die negativen gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen landwirtschaftlicher Massenproduktion bekämpft werden, die einen Großteil der heutigen westlichen Ernährung ausmachen und von denen wir in zu großem Maße abhängig seien.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved