Archäologie: Wie gefährlich ist das Öffnen alter Grabstätten?

Ob bei Indiana Jones oder Die Mumie: In Filmen warten in Grabstätten oft gefährliche Fallen und giftige Substanzen auf Archäologen. Alles Fiktion – oder gab es solche Schutzmaßnahmen wirklich?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 14. Nov. 2023, 09:59 MEZ
Mehrere Reihen von Soldatenfiguren aus stehen mit den Gesichtern zur Kamera in den Gräben der Grabanlage ...

Die Terrakotta-Armee, die das Mausoleum des ersten chinesischen Kaisers beschützt – mit Erfolg. Seit 2.000 Jahren hat niemand seine letzte Ruhestätte betreten.

Foto von OTFW / CC BY-SA 3.0 DEED / Wikimedia Commons

Pfeile, die aus versteckten Nischen von Pyramidenwänden schießen, Falltüren in altchinesischen Grabstätten, die sich plötzlich öffnen oder große Steinkugeln in Mausoleen, die Eindringlinge unter sich begraben sollen – in Hollywood leben Archäolog*innen oft gefährlich.

Doch gab es in den Grabanlagen großer Herrscher und wichtiger Persönlichkeiten wirklich solche Fallensysteme? Und wie groß ist die Gefahr, die von ihnen für heutige Expeditionen ausgeht?

Armbrüste und Quecksilber: Qín Shǐhuángdìs Mausoleum in China

Erst Anfang 2023 machte ein über 2.000 Jahre altes Mausoleum in China Schlagzeilen, weil Archäolog*innen es nicht zu betreten wagen – aus Angst vor versteckten Fallen und giftigen Substanzen. Das Mausoleum gehört Qín Shǐhuángdì, dem ersten Kaiser Chinas. Sein berühmtestes Vermächtnis ist die dem Mausoleum vorgelagerte Terrakotta-Armee, deren 6.000 Ton-Soldaten den Kaiser auch nach seinem Tod beschützen sollten. Möglicherweise waren sie aber nicht die einzige Sicherheitsmaßnahme.

Die Terrakotta-Armee vor Qín Shǐhuángdìs Mausoleum besteht aus 6.000 Soldaten, die sich alle voneinander unterscheiden. Trotz der Bekanntheit, die die Grabstätte dadurch erreicht hat, ist sie bis heute ungeöffnet.

Foto von CC BY-SA 3.0

Das lassen jedenfalls Aufzeichnungen des chinesischen Historikers Sima Qian vermuten, der nur wenige Jahrzehnte nach Qín Shǐhuángdìs Tod geboren wurde. In seiner Schrift beschreibt er einen Abwehrmechanismus, der bei der Konstruktion der Grabstätte errichtet worden sein soll: „Kunsthandwerker wurden beauftragt, mechanische Armbrüste zu konstruieren, die, wenn jemand [das Mausoleum] betrat, sofort ihre Pfeile abfeuerten.“

Und damit nicht genug: Auch von Unmengen flüssigem Quecksilber, das beim Bau verwendet wurde, ist in Sima Qians Aufzeichnungen die Rede. Das dieses wirklich vorhanden ist, wurde in den letzten Jahren mehrfach bestätigt: Zunächst durch stark mit Quecksilber belastete Bodenproben aus der Grabstätte, 2020 dann im Rahmen der Studie eines chinesischen Forschungsteams, das das Schwermetall in hoher Konzentration in der Luft über der Grabstätte gemessen hatte. Für Menschen kann der Kontakt mit der Substanz eine gefährliche Quecksilbervergiftung auslösen.

Gefahren in alten Grabstätten

Es ist vor allem diese nachweislich starke Quecksilberbelastung, die dazu geführt hat, dass Qín Shǐhuángdìs Mausoleum seit über 2.000 Jahren nicht mehr geöffnet wurde. Die Existenz von Selbstschussanlagen wird derweil stark angezweifelt. Unter anderem von Armin Selbitschka, Professor für Alte chinesische Geschichte und Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). „Sima Qians Beschreibungen sind in vielerlei Hinsicht einzigartig, was entweder dafür spricht, dass der Kaiser tatsächlich in sehr ungewöhnlicher Weise beigesetzt wurde – oder dass der Historiker seiner Fantasie recht freien Lauf ließ“, sagt er.

BELIEBT

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    In Hollywoodfilmen wie Indiana Jones - Jäger des verlorenen Schatzes sind in antiken Grabstätten oft unzählige lebensgefährliche Fallen instaliert. Im echten Leben wäre die Entdeckung solcher Mechanismen eine archäologische Sensation, denn bisher wurde kein derartiges Konstrukt entdeckt.

    Foto von Screenshot „Jäger des verlorenen Schatzes“ aus dem Jahr 1981

    Selbitschka tippt auf Letzteres und vermutet, dass die Selbstschussanlage, die in dem Text beschrieben ist, in dieser Form nicht existiert. Andernfalls wäre sie eine extreme Ausnahme in der Geschichte. „Es war generell nicht üblich, Fallen zu installieren“, sagt er. „Wenigstens nicht so, dass sie im archäologischen Befund bemerkbar wären.“ In der Archäologie seien außerdem keine Fälle bekannt, in denen Forschende auf gefährliche Sicherheitsmaßnahmen wie große runde Steinfelsen oder Selbstschussanlagen gestoßen sind. Ebenso seien keine Überreste solcher Installationen entdeckt worden.

    Vom Alten China bis ins Maya-Reich: Gefahren durch Quecksilber

    Die Gefahr, die von Quecksilberrückständen ausgeht, ist jedoch durchaus präsent – nicht nur in Qín Shǐhuángdìs Grabstätte. Die Verwendung des Schwermetalls war in antiken Zivilisationen weit verbreitet, vermutlich ohne, dass den Menschen bewusst war, wie gefährlich die Substanz sein kann. Im Falle von Qín Shǐhuángdì berichtet Sima Qian von ganzen „Flüssen und Seen aus flüssigem Quecksilber“, die in Kanälen aus Gestein fließen sollen. Zwar ist es möglich, dass diese den Kaiser tatsächlich abschirmen sollten, laut Selbitschka hatte das Quecksilber aber vielmehr die Funktion, dem Kaiser zu Ehren „einen Mikrokosmos seines Reiches samt dessen Flüssen und Bergen zu gestalten“. Zum konkreten Schutz der Toten wurde Quecksilber in Grabstätten also nicht eingesetzt. 

    Viel eher verwendete man es beim Bau und zur Dekoration – wodurch die Rückstände bis heute festgestellt werden können. So auch bei den Maya: In unzähligen ihrer Bauten und Grabstätten wurde Quecksilber nachgewiesen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 kann die Verwendung des Schwermetalls in Mittelamerika bis in das 1. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgt werden. „Archäologen haben in der gesamten Region umfangreiche Ablagerungen von Zinnober und anderen Quecksilbermaterialien in alten menschlichen Siedlungen festgestellt“, heißt es in der Studie.

    Zinnober, ein Quecksilbersulfid, das auch Cinnabarit genannt wird, kam besonders häufig zum Einsatz. Die Maya färbten damit Gegenstände oder Gräber von besonders mächtigen Menschen rot. Teilweise wurden sogar die Toten selbst mit Zinnober eingefärbt, wie man an den Überresten der sogenannten Roten Königin erkennen kann, die um 700 v. Chr. im heutigen Palenque, Mexiko, bestattet wurde. Auch aus dem Alten China ist diese Praxis bekannt: Aus dem 11. bis 8. Jahrhundert v. Chr. sind Gräber der chinesischen Oberschicht gefunden worden, bei denen ebenfalls Zinnober über Leichnamen und Särgen verteilt wurde.

    Das Grab der Roten Königin. Nach ihrer Beisetzung wurden ihr Körper, Sarkophag und Grabbeigaben mit einer dicken Zinnoberschicht überzogen. Diese Bestattung lässt darauf schließen, dass es sich bei der Frau um eine überaus mächtige und reiche Maya-Herrscherin gehandelt hat.

    Foto von Héctor Montaño / Secretaría de Cultura / INAH

    Der Kontakt mit Spuren von Quecksilber kann für Forschende Gefahr bedeuten. Die Studienautoren empfehlen darum, Böden und Bauten in archäologischen Stätten der Maya vor dem Betreten genau zu untersuchen und die Quecksilberkonzentrationen zu bestimmen. So können geeignete Strategien zur Risikominderung und Schutzausrüstung zum Einsatz kommen – auch, wenn das Zinnober nicht verwendet wurde, um Menschen absichtlich von den Grabstätten fernzuhalten.

    Maßnahmen zum Schutz der Toten

    Schützen wollten die Menschen antiker Zivilisationen ihre Toten dennoch – vor allem die Angehörigen mächtiger Eliten. Die dazu eingesetzten Maßnahmen waren meist religiöser Natur. Im Alten Ägypten beispielsweise wurden Flüche oder Gebete zum Schutz der Verstorbenen in Stein geritzt. Auch Opfer- und Grabbeigaben dienten teilweise diesem Zweck.

    Laut Selbitschka wurden in China auch einige Gräber aus dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. entdeckt, in deren Zugängen Lanzen und Schilde aufgestellt waren. Diese kann man ihm zufolge als Schutzmaßnahmen gegen Eindringlinge interpretieren, sie hätten allerdings archäologischen Seltenheitswert. Außerdem seien sie alle statisch und damit für die Forschenden ungefährlich.

    Fallensysteme, die mit ausgeklügelten Mechanismen ungewollte Besucher der Grabstätte unschädlich machen, sind währenddessen weder aus dem Alten Ägypten noch dem Alten China oder antiken Zivilisationen in Süd- und Mittelamerika bekannt.

    Mythos Booby Traps

    Was aber, wenn nicht tatsächliche Funde, liegt der Idee der komplexen Konstruktionen zugrunde? Im Englischen nennt man diese Art von Fallen, die durch unbeabsichtigte Aktivierung eine Abwehrreaktion auslösen und zum Beispiel im Film Kevin – Allein zu Haus (1990) rege Verwendung finden, „Booby Traps“. Daran, dass solche Booby Traps in antiken Grabstätten vermutet werden, haben möglicherweise Aufzeichnungen wie die von Sima Qian einen Anteil – ebenso wie vereinzelte Funde von falschen Türen oder Gängen, die in Sackgassen enden, in ägyptischen Pyramiden. Diese sollten Eindringlinge vermutlich aber nicht ausschalten, sondern höchstens verwirren oder hatten möglicherweise sogar eine ganz andere Funktion, die wissenschaftlich noch abschließend ermittelt werden konnte.

    Die größte Rolle spielt also Hollywood. „Solche Sachverhalte lassen sich sicherlich toll in Spannungsbögen integrieren“, sagt Selbitschka. Beim Publikum findet sowohl die Idee, dass Grabräuber*innen aus dem Jenseits bestraft werden, als auch die Spannung, die durch die Fallen erzeugt werden kann, regen Anklang. Doch im wahren Leben wären die großen Steinkugeln und Selbstschussanlagen, die in den Indiana Jones-Filmen gezeigt werden, schon allein deswegen nicht sonderlich effektiv gewesen, weil sie nur einmal funktionieren. Die Hollywood-Szenarien sind also weit entfernt von der Wirklichkeit – und der Beruf von Archäolog*innen weitaus weniger gefährlich, als die Bilder auf der Leinwand vermuten lassen.

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