Lepra im Mittelalter: Haben Eichhörnchen die Krankheit übertragen?

Forschende aus der Schweiz haben Ähnlichkeiten zwischen Lepra-Bakterien von mittelalterlichen Eichhörnchen und Menschen aus England festgestellt. War die chronische Infektionskrankheit eine Zoonose?

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 10. Mai 2024, 15:39 MESZ
Mittelalterliche Illustration: Eine Frau spielt mit einem Eichhörnchen.

Eine Dame spielt mit einem Eichhörnchen, das ein Halsband trägt. Haben die damaligen Haus- und Nutztiere womöglich Lepra auf den Menschen übertragen? 

Foto von British Library Board Ms Add. MS 42130 f. 33r

Verformte Nasen, ausfallende Haare, fehlende Finger oder auffällige Hautflecken: Die Symptome von Lepra sind vielfältig. Die chronische Infektionskrankheit, die hauptsächlich vom Bakterium Mycobacterium leprae ausgelöst wird, zählt zu den ältesten bekannten Krankheiten der Menschheitsgeschichte. 

Auch in Europa war Lepra bis ins 16. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Schon im Mittelalter existierten alle der heute bekannten Erreger. 2018 stellte ein internationales Forschungsteam sogar die These auf, dass die Krankheit ihren Ursprung im westlichen Eurasien haben könnte. Bis heute weiß jedoch niemand, wie sich Lepra derart verbreiten konnte.

Das könnte sich nun ändern: Ein Forschungsteam der Universität Basel und der Universität Zürich hat Rote Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) als Wirt für M. leprae im Mittelalter identifiziert – und sogar einen Zusammenhang mit den Lepra-Erregern in der mittelalterlichen britischen Bevölkerung entdeckt. War die Krankheit also eine Zoonose? 

Enge Beziehung zwischen Eichhörnchen und Menschen

Ein 24-jähriger Mann aus Norwegen mit Lepra. Die Aufnahme entstand im Jahr 1886.

Foto von Pierre Arents / Public Domain / Wikimedia Commons

Bisher habe man Tiere als Überträger von Lepra im Mittelalter nicht erforscht, heißt es in der Studie, die in der Zeitschrift Current Biology erschien. Dabei kamen vor allem Eichhörnchen den mittelalterlichen Menschen ziemlich nah. Zum einen durch den Pelzhandel: Im 11. und 12. Jahrhundert stellte man Mäntel unter anderem aus dem Fell von Eichhörnchen her. Zum anderen lebten die Nager auch als Haustiere nah am Menschen – zum Beispiel in Nonnenklöstern. 

Aus diesem Grund erforschte das Team um Paläogenetikerin Verena Schünemann, Professorin an der Universität Basel, ob das Rote Eichhörnchen als mittelalterlicher Wirt der Lepra infrage kommt. Bei ihren Untersuchungen konzentrierten sich die Forschenden auf die mittelalterliche Stadt Winchester im Süden Englands. Diese war für ihr Leprosarium, eine Pflegeeinrichtung für Leprakranke, und ihre Verbindung zum Pelzhandel bekannt. 

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    Das Treiben der Eichhörnchen

    Dort gab es also ausreichend mittelalterliche Funde, die für die Genanalysen des Teams geeignet waren: Die 25 untersuchten menschlichen Überreste stammten aus dem Leprosarium, die 12 tierischen Proben aus einer früheren Kürschnerwerkstatt, wo einst Tierfelle zu Mänteln verarbeitet wurden. 

    Lepra in England: Eine mittelalterliche Zoonose

    Nach der Analyse der DNA stand fest: Rote Eichhörnchen trugen Lepra-Erreger im Mittelalter bereits in sich. Und: Die Leprabakterien der mittelalterlichen Eichhörnchen sind mit denen aus menschlichen Skeletten derselben Region sehr nah verwandt – sogar enger, als mit heute bekannten Bakterienstämmen, die moderne Rote Eichhörnchen in England immer noch in sich tragen. 

    „Diese Ähnlichkeit zeigt uns, dass es wahrscheinlich einen Austausch der Bakterien zwischen Tier und Mensch zu dieser Zeit gab“, sagt Schünemann. Es handelte sich bei der mittelalterlichen Lepra in England also um eine Zoonose – eine Infektionskrankheit, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden kann. Unklar bleibt jedoch weiterhin, ob die Tiere damals die Menschen infizierten oder andersherum. 

    Ursache der Übertragung könnte zur Ausrottung von Lepra beitragen

    In einer Zeit, in der Zoonosen beinahe 70 Prozent aller neu auftretenden Krankheiten und bekannten Pandemien ausmachen, ist die Forschung der Schweizer*innen mehr als relevant. Gerade für das Verständnis von Lepra, deren Übertragungsweg weiterhin im Dunkeln liegt, sind die Ergebnisse von großer Bedeutung. 

    „Indem wir alte tierische und menschliche Stämme direkt vergleichen, können wir potenzielle Übertragungsereignisse im Laufe der Zeit rekonstruieren und damit Rückschlüsse auf das langfristige zoonotische Potential der Krankheit ziehen“, sagt Schünemann. Damit besteht sogar die Chance, die Krankheit, von der laut der Fachzeitschrift MSD Manual im Jahr 2020 weltweit etwa 130.000 neue Fälle gemeldet wurden, künftig auszurotten. 

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