Mehr als nur ein Mythos? Die 7 schaurigsten Sagen aus dem Moor

Kaum eine Landschaftsform befeuerte den Aberglauben und die Angst der Menschen so sehr wie das Moor. Wie viel Wahrheit steckt hinter den schaurigen Mythen und Sagen aus dem Moor?

Von Heidrun Patzak
Veröffentlicht am 4. März 2025, 16:44 MEZ
Banshee

Banshees, Wiedergänger, Leichenschmatzer: Zahlreiche Mythen ranken sich um gruselige Gestalten, die angeblich im Moor auftauchen. Hier dargestellt in der Zeichnung „The Banshee appears“ des Malers R. Prowse aus dem Jahr 1862.

Foto von R. Prowse, The Banshee Appears, gemeinfrei

„Nun klettert der Nebel, und schwingt sich hinan und zieht den Birken Hemdlein an. Die stehen wie Geister, entstiegen dem Grab, und blicken weit übers Land hinab.“ Was der Maler und Schriftsteller Fritz Stöber hier in den Stimmungsbildern aus dem Moor aus dem Jahr 1910 beschreibt, drückt das aus, was Menschen jahrhundertelang über Moore dachten: Sie fanden diese nebelverhangenen, einsamen Sumpfländer unheimlich, voller unerklärlicher Geräusche und seltsamer Lebewesen. Dazu schwankte der Boden, er schmatzte und blubberte – und Wandernde fürchteten sich davor, für immer in den trüben Tiefen des Morasts zu versinken. Menschenopfer, untote Seelen und verschwundene Dörfer – diese Mythen und Sagen ranken sich um die unwirtlichen Moorlandschaften Nordeuropas.

Das Irrlicht: Umherirrende Seelen, die ins Verderben führen

Bereits in der Jungsteinzeit ab etwa 9500 v. Chr. wurden Moore als rituelle Orte genutzt und galten womöglich als Tore ins Jenseits. Wenig überraschend verfestigten sich in der Folklore über Jahrtausende hinweg Sagen über verstorbene Seelen, die in den Mooren angeblich ihr Unwesen treiben – zum Beispiel sogenannte Irrlichter. Eine der bekanntesten Sagen über die Entstehung von Irrlichtern ist die von Jack O’Lantern – Jack mit der Laterne, der den Teufel mehrmals ausgetrickst haben soll und deshalb weder Zutritt zum Himmel noch zur Hölle bekam. Fortan geisterte er, ausgestattet mit einem glühenden Stück Kohle aus dem Hades, das ihm der Teufel überlassen hatte, als unsterbliche Seele auf der Suche nach Erlösung durch die Landschaft. Im sorbischen Volksglauben waren die häufig im Moor gesichteten Irrlichter Seelen verstorbener oder tot geborener, ungetaufter Kinder, die nicht ins Jenseits hinübergehen durften. Die Sumpflichter tauchten unvermittelt im Moor, in Morasten oder dichten Wäldern auf und lockten Menschen ins Verderben – begegnete man Irrlichtern, verhieß das Unheil.

BELIEBT

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    Irrlichter

    Einbildung oder echt? Irrlichter dargestellt in einem Gemälde von Hermann Henrich.

    Foto von Hermann Hendrich creator QS:P170,Q324469, Will-o-the-wisp and snake by Hermann Hendrich 1823, gemeinfrei

    Hinter Irrlichtern versteckt sich reine Naturwissenschaft: Es handelt sich um gelbliche oder bläuliche Flämmchen, die sich sogar fortbewegen und durch Sumpf- und Faulgase entstehen können. Mikrobiologische Abbauprozesse setzen brennbare Gase wie Methan und Phosphorwasserstoff frei. Kommen sie mit atmosphärischem Sauerstoff in Kontakt, können sie sich unter bestimmten Umständen entzünden, verlöschen dann aber recht schnell wieder. Daneben hält es die Wissenschaft für möglich, dass Glühwürmchen oder die Biolumineszenz von bestimmten Pilzen fälschlicherweise als Irrlicht wahrgenommen wurden.

    Hakemänner und Wiedergänger: Bedrohung aus dem Moor

    Glaubt man den Legenden, stecken die Moore voller noch viel grauenhafterer Erscheinungen: In einigen Mooren und Flusslandschaften in Niedersachsen und Brandenburg spricht man von Hakemännern, Mischwesen aus Mensch und Fisch, die angeblich an Flüssen und Bächen auf unachtsame Menschen lauern. Mit ihren Haken ziehen sie diese unter Wasser oder in den sumpfigen Morast und halten sie dort fest, bis sie umgekommen sind – so zumindest wird es in der Braunschweiger Volkskunde aus dem Jahr 1901 beschrieben.

    Wiedergänger

    Dem Sarg entstiegen, weil sie sich laut Volksglaube für erlittenes Unrecht rächen wollen: die Wiedergänger.

    Foto von Unbekannter Künstler, Wiedergaenger, gemeinfrei

    Auch Wiedergänger tummeln sich angeblich in den einsamen und unwegsamen Weiten des Moores. Gemeint sind Untote, die aus ihrem Sarg steigen und unter den Lebenden ihr Unwesen treiben. Schon in der Eisenzeit und bis ins 20. Jahrhundert hielt sich dieser Volksglaube in Deutschland. Zeugnisse findet man an einigen der Moorleichen, die meist beim Torfabbau gefunden wurden. Teils wurden sie gefesselt, angepflockt oder mit einem Stein beschwert aus dem Morast geborgen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass man sich vor Wiedergängern fürchtete. Eine eher profanere Erklärung: Man versuchte schlicht, das Auftreiben der Leichen im Sumpf zu verhindern.

    Verstümmelte Körper und Moormumien: Die gewaltvolle Vergangenheit der Moorleichen

    Allein in Schleswig-Holstein sind es sechzig, europaweit wurden bislang sogar mehr als zweitausend Leichen aus dem Moor geborgen. Das Besondere an ihnen: Durch den Licht- und Luftabschluss im Moorboden sind Haut, Knochen und innere Organe selbst nach Jahrhunderten noch gut erhalten. Die meisten der heute bekannten Moorleichen stammen aus der Zeit 500 vor bis 500 nach Christus. Der Großteil von ihnen wurde in Mittel- und Nordeuropa gefunden. Auffällig viele dieser Moorleichen tragen Spuren von Gewalt. Sie wurden erdrosselt, geknebelt, mit Stichwunden im Herzen oder abgerissenen Gliedmaßen im Moor versenkt.

    Vor etwa 2.400 Jahren wurde der Tollund-Mann mit einer Lederschlinge erwürgt und in einen dänischen Sumpf ...

    Vor etwa 2.400 Jahren wurde der Tollund-Mann mit einer Lederschlinge erwürgt und in einen dänischen Sumpf geworfen.

    Foto von Robert Clark, Nat Geo Image Collection

    Eine der berühmtesten deutschen Moorleichen ist das „Kind von Windeby“. 1952 entdeckte man im Domlandsmoor bei Eckernförde die sehr gut erhaltenen Überreste eines etwa 16-jährigen Jugendlichen. In den Jahren des Fundes verbreitete sich der Mythos, dass die Moorleiche ein Mädchen sei, das eine Romanze mit einem Mann gehabt hätte. Dessen Leiche wurde wenige Meter entfernt gefunden. Als Strafe für ihren Ehebruch sei das Mädchen im Moor versenkt worden, hieß es. Die Wissenschaft konnte diese Deutung inzwischen aber entkräften. Heute weiß man: Der zartgliedrige junge Mann starb aufgrund von Mangelernährung und einer Zahninfektion. 

    Deutlich grausamer ist die Geschichte des erhängten Tollund-Mannes, der mit einem Strick um den Hals nahe dem dänischen Silkeborg gefunden wurde. Er wurde tatsächlich ermordet. Laut dem römischen Dichter Tacitus wurden nur die ganz besonders schändlichen Verbrecher im Moor hingerichtet: „Verräter und Überläufer hängen die Germanen an Bäumen auf; Feiglinge, Kriegsscheue und Schandkerle ertränkt man in Moor und Sumpf“, berichtet er in seiner Schrift Germania. Häufig kam es dabei zu einem sogenannten „Overkill“: Die Hingerichteten wurden nicht nur umgebracht, sondern auch verstümmelt.

    Damit die Götter gewogen sind: die grausame Praxis der Menschenopfer 

    Oder waren die vielen Moorleichen, darunter auch der Tollund-Mann, doch Menschenopfer? Das Moor als Gebiet des Übergangs, von der Welt der Menschen in eine übernatürliche Welt, wurde mit Opfergaben – und teils auch Menschenopfern versehen. Forschende stellten deshalb die These auf, dass auch der Tollund-Mann ein solches Opfer gewesen sein könnte.

    Tollund-Mann Grab

    Der Mageninhalt des Tollund-Mannes bestand unter anderem aus: Gerste, Ampfer-Knöterich, Flachs, Windenknöterich, Sand, Leindotter, Weißer Gänsefuß,  Acker-Spark, Gemeiner Hohlzahn und Acker-Stiefmütterchen.

    Foto von : Nationalmuseet, Tollundmanden DO-10895 original, CC BY-SA 3.0

    Für diese Theorie spricht die Position, in der sein Leichnam gefunden wurde. Auf der Seite liegend, die Beine angezogen, die Augen geschlossen, mit entspanntem Gesichtsausdruck, als würde er schlafen. Untersuchungen ergaben, dass er erhängt und nicht stranguliert wurde. Zahlreiche weitere Moorleichen wurden in ähnlichen Liegepositionen gefunden, wie etwa die Frau von Elling, die nur 90 m vom Tollund-Mann entfernt lag und ebenfalls erhängt worden war sowie der Grauballe-Mann.

    Ein dänisches Forschungsteam untersuchte daraufhin den Mageninhalt des Tollund-Mannes und fand dort Reste einer Mahlzeit, die er einige Stunden vor seinem Tod zu sich genommen haben musste. Eine Mischung aus 40 verschiedenen Pflanzensamen – was den Schluss zulässt, dass es sich um eine besondere Mahlzeit handelte. Womöglich eine spezielle Speise, die mit einem bestimmten Ritual in Verbindung stand? Die These untermauert, dass bislang zwölf weitere Moorleichen aus der Eisenzeit mit einem sehr ähnlichen Mageninhalt gefunden wurden.

    Schwebende Moorjungfrauen und versunkene Dörfer in der Rhön

    Es gibt aber auch Legenden, nach denen nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Dörfer im Moor verschwanden – wie die vom Dorf Poppenrode in der Hohen Rhön. Etwa 103 Hektar misst das Rote Moor heute und ist damit das größte Hochmoor des Landes Hessen. Es liegt 800 Meter über dem Meeresspiegel und wird ausschließlich von Regenwasser gespeist. 

    Das Rote Moor in der Rhön

    Im Volksmund soll der Teufel bei der Entstehung des Roten Moores beteiligt gewesen sein. Tatsächlich entstand das Moor nach der letzten Eiszeit, als wasserstauende Sedimente wie Ton oder Lehm den Boden abdichteten und ein Regenmoor entstehen konnte.

    Foto von AAP21/Shutterstock

    Der Legende nach war Poppenrode ein Dorf mit zügellosen Bewohnern, die einmal sogar eine Gruppe Nonnen überfallen, ausgeraubt, ihren Glauben verhöhnt und sie anschließend im Dorfteich ertränkt haben sollen. Die Strafe Gottes folgte zeitnah, als besagter Dorfteich über die Ufer trat und den gesamten Ort für immer unter seinen Wassermassen begraben haben soll.

    Kurz darauf erschienen drei wunderschöne Jungfrauen auf der Kirmes des Nachbardorfs. Sie sollen gesungen und getanzt haben – nur um zum Mitternachtsschlag wieder im düsteren Moor zu verschwinden. So steht es im Deutschen Sagenbuch von Ludwig Bechstein aus dem Jahr 1853. 

    Das ging so lange gut, bis einige junge Männer die drei Besucherinnen eines Abends festhielten. Panisch sollen die Frauen zu spät in das Moor zurückgeeilt sein, von wo aus man fürchterliche Schreie hörte. Am nächsten Morgen hatte sich die Oberfläche des Moores blutrot verfärbt. Wissenschaftliche Beweise gibt es dafür nicht, doch das Rote Magellan Torfmoos oder der fleischfressende Rundblättrige Sonnentau sorgen noch heute an manchen Stellen für einen roten Schimmer über dem Moor. 

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