Was eine dänische Moorleiche über historische Bräuche verrät

Im Moor im dänischen Edegal haben Archäologen die Überreste eines Menschen gefunden. Sie geben Hinweise darauf, dass im dortigen Sumpfgebiet in der Vergangenheit religiösen Rituale stattgefunden haben.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 4. Jan. 2023, 09:12 MEZ
Anhand der gefundenen menschlichen Überreste und weiterer Fundstücke vermutet das Team um Archäologe Christian Dedenroth-Schou, dass ...

Anhand der gefundenen menschlichen Überreste und weiterer Fundstücke vermutet das Team um Archäologe Christian Dedenroth-Schou, dass es sich um die konservierten Zeugnisse einer rituellen Opferstätte handeln könnte.

Foto von Lea Mohr Hansen, ROMU

Die kleine dänische Kommune Egedal unweit der Hauptstadt Kopenhagen soll wachsen. Aus Sorge, das große Bauvorhaben könnte etwaige Belege der Geschichte der Region für immer zerstören, wurde im Vorhinein ein archäologisches Team des ROMU Museums herangezogen, um die ehemalige Moorlandschaft zu untersuchen.

Dabei rechneten die Archäologinnen und Archäologen zu Beginn der Arbeiten allerhöchstens mit den üblichen Funden, die bei einer solchen Vorsorgeuntersuchung zutage kommen: Tonscherben, Tierknochen, vage Belege für konservierte menschliche Aktivitäten. Zur großen Überraschung aller Beteiligten kamen bei den Grabungen allerdings menschliche Überreste zum Vorschein.

Historischer Platz für rituelle Zeremonien?

Die sensationelle Entdeckung machte das Team im Herbst 2022. Dem Archäologen Christian Dedenroth-Schou fiel bei seinen Grabungen in den Erdschichten des Moors zunächst ein Oberschenkelknochen auf. Diesem folgten ein Kiefer, der Großteil zweier Beinknochen und ein Becken – Funde, die sehr wahrscheinlich alle von einem Menschen stammen. Unweit der gut konservierten Knochen wurden zudem Gegenstände entdeckt, die darauf schließen lassen, dass es sich bei dieser Person um ein Opfer eines Rituals handeln könnte.

„Ungefähr einen Meter entfernt fanden wir eine Feuersteinaxt aus der Steinzeit, und zehn bis 15 Meter entfernt fanden wir eine Ansammlung von Tierknochen und Keramik“, so Dedenroth-Schou. „Der Fund fügt sich in eine bewährte Tradition ein, sowohl Gegenstände als auch Menschen und Tiere rituell im Moor zu bestatten. Dies wurde in der Antike weit verbreitet, und das nun gefundene Individuum ist höchstwahrscheinlich ein Opfer eines solchen Rituals“, ergänzt sein Kollege Emil Winther Struve, ebenfalls Archäologe des ROMU. Eine mögliche Gewalttat oder eine Hinrichtung kann Winther Struve anhand der wenigen erhaltenen Überreste allerdings nicht bestätigen.

Die Archäologin Lea Mohr Hansen reinigt die nahe dem menschlichen Skelett gefundenen Tierknochen.

Foto von Christian Dedenroth-Schou, ROMU

Der gefundene Axtkopf zeigt keinerlei Gebrauchsspuren, weil ein abschließender Schliff der Klinge fehlt. Ein weiterer Hinweis auf den rituellen Charakter der Funde. „Er ist ein Handelsobjekt, das als wertvolle Opfergabe in den Sumpf gelegt wurde. Ungeschliffene und fertige Axtköpfe sind einige der häufigsten Objekte für rituelle Opfergaben in Moorgebieten im dänischen Neolithikum“, so der Archäologe. 

Analysen werden Gewissheit bringen

Nun liegt es an Analysen der Überreste, Gewissheit über das Alter und das Geschlecht der Person zu erlangen – und darüber wie sie starb. Dazu werden die gefundenen Knochen nun behutsam gereinigt und untersucht. 

Christian Dedenroth-Schou sieht diesem Prozess mit Spannung, wenn auch etwas wehmütig entgegen: „Man denkt darüber nach, ob diese Person glücklich wäre, gefunden zu werden, oder ob sie lieber in Frieden geruht hätte. Schließlich wissen wir nicht viel über ihre Religion. Vielleicht stören wir eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod.“ 

Deshalb haben er und sein Kollegium die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Überreste eines Menschen nicht einfach „mit einem Bagger ausgegraben werden und in einem großen Erdhaufen enden“, so der Archäologe. Zudem habe das Museum die gesetzliche Verantwortung, die Erhaltung von wertvollen historischen Belegen für die nachfolgenden Generationen sicherzustellen. 

Ehemaliges Moorgebiet mit weitreichender Geschichte 

Das Skelett ist der neuste einer ganzen Reihe geschichtsträchtiger Funde, die die Moore Dänemarks hervorgebracht haben. Ganz in der Nähe der jetzigen Ausgrabungsstätte gab der Boden bereits im Jahr 1947 menschliche Überreste frei. Ein Kinderschädel war beim Torfabbau entdeckt worden. Deshalb hatte Winther Struve die nähere Umgebung bereits im Vorfeld der neuesten Untersuchungen im Blick.

Außerdem führte genau hier, etwas nordwestlich von Kopenhagen, bereits in der Antike eine der Haupthandelsrouten der Region entlang. Das hügelige Land eignete sich zudem sehr gut als Baugrund für Siedlungen. „Wir haben hier bereits in der Vergangenheit Siedlungen aus alten Zeiten gefunden, sodass wir wissen, dass hier Menschen gelebt haben“, so Winther Struve. 

Diese Vergangenheit untermauert laut ihm auch den Verdacht, dass die aktuellen Funde im Zusammenhang mit rituellen Opfergaben stehen. „Ein wichtiger Teil des Lebens damals war es, Opfer zu bringen”, sagt er. Das sumpfige Gebiet zwischen den Siedlungen sei generell vermutlich oft für religiöse Zwecke genutzt worden – möglicherweise auch in diesem neu entdeckten Fall.

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